Den Überlebenden zuhören
Gedenken Im Bunker in der Welfenkaserne wird alljährlich der Befreiung vieler KZ-Häftlinge durch die Amerikaner am 27. April 1945 gedacht. Den Redner ist Erinnerungsarbeit wichtig
Landsberg Einige der Überlebenden sind wieder hinabgestiegen in den Bunker mit dem Codenamen „Weingut II“. Alljährlich wird dort in der Welfenkaserne der Befreiung vieler KZ-Häftlinge der Kauferinger Außenlager am 27. April 1945 gedacht, und die Überlebenden nehmen teil als Zeitzeugen der grauenhaften Vergangenheit.
Oberstleutnant Thomas Sandlein ist heuer als Standortältester zum ersten Mal Gastgeber: „Wir sind heute hier zusammengekommen, um des Leids und der Opfer während des Naziregimes und speziell während des Baus dieser Bunkeranlage zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu gedenken.“Die Nationalsozialisten planten unterirdische Bunkeranlagen, um dort Flugzeuge für den Kriegseinsatz bauen zu können. 20 000 bis 30 000 KZ-Häftlinge mussten für das Projekt arbeiten, fast 7000 verloren ihr Leben. „Sie haben uns alles genommen. Auch die Seele“– mit diesem Zitat von Uri Chanoch, dem 2015 verstorbenen Vorsitzenden der Vereinigung der Überlebenden der KZ-Außenlager Dachau, beginnt Landtagspräsidentin Barbara Stamm ihre Rede.
2013 hatte der Bayerische Landtag seine zentrale Gedenkfeier im Bunker begangen. Stamm erinnert daran, wie Uri Chanoch damals seine Häftlingsjacke der militärgeschichtlichen Sammlung „Erinnerungsort Weingut II“gegeben hatte. Sie wertet dies als Zeichen der Versöhnung und auch als Zeichen der Anerkennung für das, was in Kaufering und in der Welfen-Kaserne geleistet worden sei.
Das Grauen sei denen, die es am eigenen Leib erfahren hätten, eingebrannt. Und dennoch seien sie es, die bis heute helfen würden, das Gedenken wachzuhalten. „Sie hatten auch die menschliche Größe, in das Land ihrer Peiniger zurückzukehren.“Dass die Überlebenden diesen Stab der Erinnerung an die jüngere Generation weitergeben, bezeichnet Stamm als „unschätzbaren Wert“. Das Gift des Antisemitismus wirke immer noch und versuche, die Gesellschaft von verschiedener Seite her zu infizieren. „Das wollen und das dürfen wir nicht zulassen.“
Auch der Direktor der Bayerischen Gedenkstätten, Landtagsabgeordneter Karl Freller, stellt auf die Bedeutung der Erinnerungsarbeit ab. „Ihr seid nicht schuld daran, was gewesen ist, aber ihr habt Ver- antwortung dafür, was kommt“, zitiert er den 2016 gestorbenen, ehemaligen Vorsitzenden der Lagergemeinschaft Dachau, Max Mannheimer. Eine Aussage von brennender Aktualität, so Freller. Es lebe nun die vierte Generation nach dem Krieg. „Nur wer die Gefahr erkennt, kann sie bekämpfen“, so Freller. Für ihn braucht eine Demokratie wehrhafte Demokraten, und einer von ihnen ist für ihn Oberstleutnant Gerhard Roletschek, der die militärgeschichtliche Sammlung in der Welfenkaserne leitet. Den jungen Musikern des Schülerblasorchesters St. Ottilien gibt Freller mit auf den Weg, die Worte der Überlebenden in den Herzen zu bewahren. „Ihr seid mit Sicherheit die letzten Zeugen authentischer Aussagen Überlebender.“
Bernard Marks spricht als einer dieser Überlebenden. Er zeichnet seine Vita nach, vom Einmarsch der Deutschen in Polen 1939, der sein altes Leben zerstört und das Kind zur Arbeit in der Fabrik zwingt, über den mehrtägigen Transport im geschlossenen Viehwaggon bis hin in eines der Außenlager Kaufering. Er überlebt nur, weil ihn der Vater zu schützen weiß: Er gibt ihn als älter aus, preist ihn als Arbeitskraft an und bringt ihm warmes Wasser in die Baracke, als er Typhus hat. „Wir schliefen in Erdbaracken, ohne Heizung, ohne Decke, bei zehn Grad Minus.“Zwölf Stunden habe er arbeiten müssen in der Kiesgrube mit kaum etwas im Magen. Ohne Mütze und ohne Schuhe habe er am Landsberger Hauptplatz gepflastert, so die Erzählungen von Bernard Marks.
Auch er wird befreit und lebt jetzt in den USA. 1995 habe er eine Einladung vom damaligen Oberbürgermeister Franz Xaver Rößle bekommen, erinnert sich Marks. Er erzählt von der Freundschaft, die sich zu Gerhard Roletschek entwickelt hat und wie die Erinnerungsarbeit für ihn zur Aufgabe geworden ist. Vorträge in Schulen zählen dazu, aber auch die Namen von Opfern, die im Lazarett in St. Ottilien waren, herauszufinden. Die fünfeinhalb Jahre des Horrors werde er nie vergessen, aber ab 1995 seien auch Freundschaften entstanden. „Wir Überlebende haben eine Verantwortung, wir müssen unsere Geschichte erzählen, solange wir leben.“
„Eine Demokratie braucht wehrhafte Demokraten.“