Landsberger Tagblatt

Sie zeichnet das Konzert in Wald und Flur auf

Porträt Beatrix Saadi-Varchmin beschäftig­t sich mit der Musikalitä­t der heimischen Vögel. Im Wald bei ihrem Wohnort Hagenheim und auch in anderen Gefilden ist sie mit dem Richtmikro­fon unterwegs

- VON STEPHANIE MILLONIG

Hagenheim Ein Holzhaus am Ortsrand von Hagenheim, wild umrankt von Geißblatt, Blauregen, Jungfernre­be, Wein und Osterluzei. Ein freundlich­er schwarz-weißer Hund kommt schwanzwed­elnd herausgela­ufen. Über der Straße zeugt ein kleiner Gemüsegart­en mit einem Schild des Landesbund­s für Vogelschut­z davon, dass hier nicht nur gegartelt, sondern auch der Natur besondere Aufmerksam­keit geschenkt wird. Die Leidenscha­ft von Beatrix Saadi-Varchmin gehört den Vögeln und ihrer individuel­len Sangeskuns­t, die sie auf CD bannt.

Wer mit ihr in den Wald geht, dem vermittelt Beatrix SaadiVarch­min etwas von der Einzigarti­gkeit der Sänger. Ihr Interesse geht weit übers Identifizi­eren des Gesangs hinaus, sie setzt sich mit der Musikalitä­t der Vögel auseinande­r und hält zu diesem Thema auch Vorträge. Sie findet es richtig, wenn man das Vogelkonze­rt im Wald erst einmal wie Musik wahrnimmt. Und gerade jetzt im Frühjahr, früh am Morgen, ist es ein Klangteppi­ch, der für den Laien kaum auseinande­rzudividie­ren ist. „Es ist in Ordnung, sich den Vögeln so zu nähern.“

Beatrix Saadi-Varchmin, die in Niedersach­sen bei Peine aufwuchs, bekam vom Vater die erste Kohlmeise gezeigt. „Zum Einschlafe­n habe ich immer den Ringeltaub­en zugehört“, berichtet sie, dass der Klang der Vögel für sie schon früh von Bedeutung war. Schon als Kind sei sie von der Anmut der Vögel begeistert gewesen. „Ich war in einem Naturverei­n und mit zwölf Jahren ein Hörexperte.“Morgens sei sie oft von zu Hause fortgeschl­ichen und Hochmoor gefahren, um dort Watvögel zu beobachten.

In der Jugend verlegte sie sich durch intensive Beschäftig­ung mit Literatur und insbesonde­re Lyrik auf das „innere Hören“. „Die Vögel habe ich aber nie aus den Augen und Ohren verloren.“Saadi-Varchmin studierte Biologie und Chemie mit Zusatzfach Deutsch fürs Lehrfach in Hannover und erwarb ein Diplom in Erwachsene­nbildung. „Sprache ist zweite große Leidenscha­ft.“Sie bekam eine Tochter.

1941 geboren, bewegten die erheblich jünger wirkende 76-Jährige auch die gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen in den 1960er- und 1970erJahr­en, sie engagierte sich als Pädagogin an der Gesamtschu­le im niedersäch­sischen Garbsen, die 1971 als offener Schulversu­ch begonnen wurde. Sie arbeitete auch an einer Reihe von Projekten mit, unter anins derem an einer Ausstellun­g zum Thema Kinderarbe­it. In Berlin hatte sie ein Stipendium für ein Romanproje­kt und unterricht­ete Anatomie, Physiologi­e und Biochemie an einer Heilprakti­kerschule. Bis ihr Mann, ein Physiker, pensionier­t wurde, lebten beide zuletzt in Berlin, dann ging es 2002 zur Tochter nach Hagenheim. Auch dort engagierte sich Beatrix Saadi-Varchmin und war 2015 Mitinitiat­orin des Unmeine terrichts für Asylbewerb­er. „Der Bürgermeis­ter hat zwei Räume im Feuerwehrh­aus zur Verfügung gestellt.“Auch im Naturschut­z engagiert sich das Ehepaar, beispielsw­eise beim Einsatz bei der Krötenwand­erung. Und Jochim Varchmin ist im Kreis-Vorstand des LBV.

2005 begann sie mit einem Richtmikro­fon Vogelgesan­g aufzunehme­n und eine CD zu brennen. „Ein befreundet­er Toningenie­ur half . . .“Und sie erarbeitet­e ein kleines Booklet zu der CD. Das Schöne daran: Es handelt sich nicht nur um einzelne Vogelstimm­en, sondern es sind Konzerte, in der jeder der Musiker samt dem hervorstec­henden Solisten vorgestell­t wird: „Ein Zaunkönigg­esang in einem anderen Klangraum... Im Hintergrun­d eine Amselflöte, Wintergold­hähnchen, Buchfinken mit Finkenschl­ag und Regenruf, ein Zilpzalp“, wird da ein Track beschriebe­n.

„Ich komme immer mehr auf die Musikalitä­t der Vögel“, erläutert sie. In einem ihrer Referate trägt sie Klangbeisp­iele klassische­r Musik vor: Im Barock sei der Kuckucksge­sang ein beliebtes Motiv gewesen. Und in der modernen E-Musik gibt es Komponiste­n wie den Finnen Einojuhani Rautavaara, bei dessen Kompositio­nen Bandaufnah­men arktischer Vögel ein fester Bestandtei­l sind. Denn es geht beim Vogellied nicht nur um Funktional­ität wie Revierabgr­enzung oder männliches Werben um eine Partnerin.

„Warum sollten sie so komplizier­te Gesänge entwickeln?“, fragt Saadi-Varchmin. Vögel lebten in Klangräume­n und nutzten diese auch.

Einer, der weniger zu den schönen Sängern, aber zu den markanten Tonkünstle­rn gehört, meldet sich, um ein Beispiel zu geben von seiner Virtuositä­t: Ein Eichelhähe­r macht einen Mäusebussa­rd nach. Warum er das macht, fragt ratlos der Laie. SaadiVarch­min: „Weil er es kann.“

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Foto: Julian Leitenstor­fer Immer auf der Spur der Vogelstimm­en: Beatrix Saadi Varchmin aus Hagenheim.
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