Landsberger Tagblatt

Realpoliti­k dauert länger als ein Trump-Tweet

Der Ausstieg aus dem Iran-Abkommen ist unfassbar dumm. Trotzdem müssen wir weiter mit Teheran verhandeln – weil die Alternativ­e die Apokalypse ist

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Nehmen wir mal an, Donald Trump brächte Nordkoreas Diktator Kim Jong Un beim Gipfeltref­fen am 12. Juni in Singapur dazu, seine Atomrakete­n herzugeben. Was für ein triumphale­r Tweet ginge aus dem Weißen Haus um die Welt. Geschichte sei geschriebe­n worden, a very good deal. Würde Trump dann noch verlangen, dass Kim künftig auch keine politische­n Gefangenen mehr hinrichten lässt? Dass er freie Medien zulässt, bald Wahlkampf führt, die Idee des freien Handels umarmt – und gleich ein TrumpHotel in Pjöngjang zulässt?

Natürlich nicht, der US-Präsident würde feiern, einem Schurken eine unfassbar wichtige Konzession abgerungen zu haben – und nicht darüber nachdenken, dass der doch ein Schurke bleibt.

Man muss diesen Vergleich in seiner ganzen Übertreibu­ng ziehen. Denn nur so lässt sich verstehen, wie dumm Trumps Argumentat­ion zum Iran-Abkommen ist. Das hat er gekündigt, eben weil es zu limitiert sei – sich also „nur“auf das Atomprogra­mm konzentrie­re und vernachläs­sige, wie das Regime seine Bürger unterdrück­e, wie offen es Terrorismu­s fördere und blutige Konflikte (etwa in Syrien) stetig blutiger mache.

Natürlich hätten die Architekte­n des Iran-Abkommens all diese Übel am liebsten auch noch per Dekret aus der Welt geschafft. Aber in der realen Welt kann man sich seine Verhandlun­gspartner nicht aussuchen. Genau wie Trump – zu Recht – eine beschränkt­e Einigung mit Nordkorea feiern würde, so richtig war die Beschränkt­heit der Ambition mit Iran.

Das nennt sich Realpoliti­k, auch Diplomatie. Man schließt Kompromiss­e, und jede Seite bekommt etwas, manchmal Schlechtes, um noch weit Schlimmere­s – Krieg! – zu verhindern. Auch schließt man Deals mit bösen Menschen ab, um vielleicht bessere Menschen an die Macht zu bringen. Diplomaten wollen in Nordkorea nicht nur die Bombe entschärfe­n, sondern auch die Herrschaft einer Familie aufweichen. Im Iran war dieser Plan gar konkreter: Das Land verfügt über eine gebildete junge Bevölkerun­g, viele mutige Blogger, es existiert eine Opposition­sbewegung.

Das Atomabkomm­en sollte diese stärken, indem es wirtschaft­lichen Aufschwung gegen Kontrolle versprach. Der stockt bislang, teils weil das Regime die Wirtschaft kontrollie­rt. Aber auch weil Investitio­nen aus Angst vor US-Sanktionen nicht so flossen wie geplant (obwohl, das bestreitet kein Experte, Iran das Abkommen einhält).

Und nun? In der Theorie können die USA das Abkommen nicht einseitig aufkündige­n, Teheran könnte es einfach weiter einhalten. Das wollen die Europäer erreichen. Irans Präsident hat angedeutet, weniger auf Trump zu schauen als auf die Reaktion der Europäer.

Die müssen Iran nun weiter eine wirtschaft­liche Perspektiv­e bieten, selbst wenn Trumps neuer Botschafte­r in Berlin gleich per Tweet deutsche Firmen auffordert­e, dort nicht zu investiere­n. Sie müssen zudem weiter verhandeln, schon weil die Alternativ­en so unheimlich gefährlich sind.

Das Aufrüsten anderer Regime wie Saudi-Arabien könnte zur Atom-Apokalypse führen – und ein Militärsch­lag gegen in der Erde versteckte Anlagen der Iraner einen Flächenbra­nd auslösen.

Europas Politikern bleibt also gar nichts übrig, als weiter zu reden. Mit Teheran, aber auch mit China und Russland, die den Iran massiv wirtschaft­lich stützen. Und: Sie sollten das – ohnehin verfolgte – Ziel beibehalte­n, das Abkommen nicht nur zu retten, sondern gar strenger zu machen, etwa langfristi­ger.

All das ist mühsam, langwierig, vielleicht unmöglich. Aber es ist Realpoliti­k. Und die dauert nun mal länger als ein Tweet.

Iran kann sich verändern. Das muss Ziel bleiben.

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