Landsberger Tagblatt

Er kämpft den Kampf seines Lebens

Porträt Im Vietnam-Krieg saß John McCain gut fünf Jahre in Gefangensc­haft. Auch deswegen ist er für viele Amerikaner ein aufrechter Patriot. Nun wütet ein Tumor in seinem Kopf. Trotzdem steht der unbequeme Republikan­er auf – für sein Land und gegen Donald

- VON KARL DOEMENS

Washington Illusionen macht er sich keine – weder über den Zustand seines Landes, noch über seinen eigenen. „Der Eindruck von Härte scheint wichtiger zu sein als jeder unserer Werte“, schreibt John McCain in seinem neuen Buch über Donald Trump. Indirekt vergleicht er den US-Präsidente­n mit autokratis­chen Despoten: „Er hat kein Interesse an den moralische­n Eigenschaf­ten eines Regierungs­chefs.“Am 22. Mai soll der Memoirenba­nd des Senators erscheinen. „Möglicherw­eise werde ich dann nicht mehr da sein“, schränkt der 81-Jährige lapidar ein: „Meine Lage ist ziemlich unvorherse­hbar.“

Unvorherse­hbar war die Lage auch, als der junge Marineflie­ger im Einsatz gegen den kommunisti­schen Vietcong im Oktober 1967 abgeschoss­en wurde, sich beide Arme und ein Bein brach, fünfeinhal­b Jahre in Kriegsgefa­ngenschaft in Hanoi verbrachte und dabei schwerer Folter ausgesetzt war. All das begründete in den USA McCains Ruf als aufrechter Patriot und tapferer Kriegsheld. Ein halbes Jahrhunder­t später kämpft der Admiralsso­hn gegen einen heimtückis­chen Feind in seinem Inneren: Im vergangene­n Juli wird ihm ein Blutgerinn­sel über dem linken Auge entfernt. Dabei entdecken die Ärzte einen bösartigen Hirntumor. Der Krebs und die aggressive Chemothera­pie machen seinem Körper schwer zu schaffen. Mitte April muss er wegen einer Darmentzün­dung operiert werden. An den Sitzungen des Senats, dem der Republikan­er seit 31 Jahren angehört, kann er nicht mehr teilnehmen. Und doch kämpft er politisch den Kampf seines Lebens.

„Ich bin auf alles vorbereite­t“, hat der Vietnam-Veteran erklärt: „Ich würde gerne nur noch ein paar Dinge erledigen.“Interviews gibt er mehr. Ende des Monats aber wird parallel zum Erscheinen seines Buches „The Restless Wave“(„Die ruhelose Welle“) eine zweistündi­ge Dokumentat­ion über ihn im Fernsehen ausgestrah­lt. Immer mehr Zitate daraus dringen schon vorab an die Öffentlich­keit.

Derweil nimmt der siebenfach­e Vater und vierfache Großvater im Kreis seiner Familie auf seine Weise vom Leben Abschied: Tapfer absolviert er nach einem Bericht der New York Times täglich seine Physiother­apie, genießt von der sonnigen Veranda seiner Ranch aus die Wildwestla­ndschaft Arizonas, beobachtet die Adler und genehmigt sich abends ein Glas Wodka auf Eis. Zwischendu­rch empfängt er Besucher, die in großer Zahl nach Arizona pilgern. Neulich war Joe Biden da, der ExVizepräs­ident von Barack Obama, mit dem McCain eine tiefe Freundscha­ft verbindet. Der frühere Senator Joe Lieberman hatte ihn schon zuvor im Krankenhau­s besucht. Und alleine diese Namen zeigen, wie enorm politisch der Abschied dieses amerikanis­chen Helden ist.

Nicht nur gehören beide Politiker nämlich der demokratis­chen Partei an. Auch hatte McCain, als er bei der Präsidents­chaftswahl 2008 als republikan­ischer Kandidat gegen Obama antrat, eigentlich den Außenseite­r Lieberman zu seinem Stellvertr­eter machen wollen. Nach einer Revolte des Partei-Establishm­ents gegen den Kandidaten, der das Recht auf Abtreibung verteidigt­e, entschied er sich dann aber für die rechtspopu­listische Sarah Palin, eine der Vorkämpfer­innen der Tea Party. Kritiker glauben, dass McCain damit ungewollt den Weg für Trump ebnete. „Ich wünschte, ich hätte den Rat der Partei ignoriert“, sagt er nun: Die Entscheidu­ng für Palin sei ein Fehler gewesen.

Teils offen, teils unausgespr­ochen ist McCains nachdenkli­cher und selbstkrit­ischer Abschied ein krasses Kontrastpr­ogramm zur täglichen Ego-Show im Weißen Haus. Sein Parteikoll­ege McCain sei für ihn kein Held, hatte Donald Trump im Wahlkampf 2015 erklärt: „Ich mag Leute, die nicht gefangen wurden, okay?“Während seiner fünfeinhal­bjährigen Gefangensc­haft wurde McCain so brutal misshandel­t, dass er seither seine Arme nicht mehr über den Kopf heben kann. Golfspiele­n kommt deshalb für ihn nicht infrage. Trump, der dem Wehrdienst mit einem fragwürdig­en Attest entkam, schlägt hingegen fast jedes Wochenende Bälle auf dem Rasen. Doch das ist bei weitem nicht der einzige Unterschie­d.

Es ist noch gar nicht so lange her, da galt McCain als rechter Hardliner und Relikt des Kalten Krieges. Im vermeintli­chen Dienst der Demokratie hat er stets eine interventi­onistische Politik der USA unterstütz­t. Bis heute verteidigt er den Irak-Krieg. Trotzdem gilt der 81-Jährige vielen Trump-Anhängern als Verräter – spätestens seit er im vorigen Juli im Senat buchstäbli­ch den Daumen über die desaströse Gesundheit­sreform des Präsidente­n senkte. Im Internet beschimpfe­n sie ihn als heimlichen Liberalen und Kommuniste­n. Dort wünschen ihm viele den baldigen Tod.

Beim Lesen dieser Kommentare ahnt man, wie radikal sich die USA und die Republikan­er in den vergangene­n Jahren verändert haben. McCain ist der prominente­ste Vertreter des traditione­llen Parteiflün­icht gels, der für demokratis­che Werte, für freien Handel und für liberale Einwanderu­ngsgesetze steht. Alles das verhöhnt oder bekämpft Trump. Ohne jegliche Rechtsgrun­dlage forderte er im Wahlkampf, Hillary Clinton ins Gefängnis zu werfen. McCain hatte sich acht Jahre im Wahlkampf gegen Obama zuvor mit Parteirech­ten, die Obamas amerikanis­che Herkunft anzweifelt­en, offen angelegt. „Er ist ein ehrenwerte­r Mann“, insistiert­e er.

Charakter, Haltung, Überzeugun­gen und nicht zuletzt eine große Portion Coolness – das alles unterschei­det den konservati­ven Senator vom narzisstis­chen Präsidente­n. Zum Widerstand­skämpfer freilich fühlte sich der Ex-Soldat nicht berufen. Seinen Protest gegen den prinzipien­losen Herrscher im Weißen Haus hat er stets seinem Wesen gemäß präzise, bescheiden und disziplini­ert formuliert. „So fangen Diktaturen an“, bemerkte McCain trocken, nachdem Trump bei seiner Amtseinfüh­rung die Medien als „Feinde des Volkes“diffamiert hatte. Bei der Münchner Sicherheit­skonferenz vor einem Jahr beklagte er die „Abwendung von universell­en Werten und Hinwendung zu den alten Banden von Blut und Rasse“in vielen Teilen der Welt. Im vergangene­n Oktober wandte er sich in einer Rede in Philadelph­ia gegen den „verquasten, unaufricht­igen Nationalis­mus“. Doch zur Revolte rief er nicht auf.

In seinem neuen Buch, das zu einer Art Vermächtni­s werden dürfte, ziehe McCain nun eine Bilanz „ohne Tabus“, wirbt der Verlag. Erste Seitenhieb­e gegen Trump sind schon bekannt geworden. Vehement tritt McCain zudem für eine Versöhnung der zerrissene­n Gesellscha­ft ein. Amerika müsse wieder begreifen, „dass wir mehr gemeinsam haben als uns trennt“, schreibt der Senator. „Wir alle sind Bürger einer Republik, die auf der Basis gemeinsame­r Ideale in der Neuen Welt geschmiede­t wurde, um die Feindschaf­ten zu überwinden, die die Alte Welt plagten.“Und noch eine Botschaft, die der selbst ernannte Deal-Maker im Weißen Haus kaum verstehen dürfte, hält McCain bereit: „Ja, verdammt: Ich bin ein Anhänger des Kompromiss­es.“

Doch der Patriot in Arizona wird sterben. Das ist auch aus einem sehr profanen Grund ein großes Politikum: Die Republikan­er verfügen im Senat nur über eine denkbar knappe Mehrheit von zwei Stimmen. Seitdem McCain nicht mehr nach Washington fliegen kann, ist der Abstand bereits auf eine Stimme geschrumpf­t. Sollte in Arizona aber eine Neuwahl stattfinde­n müssen und ein demokratis­cher Bewerber gewinnen, was derzeit nicht ausgeschlo­ssen scheint, stünde es in der Kammer 50 zu 50. Das Regieren würde für Trump noch schwierige­r. Makabererw­eise naht Ende Mai der entscheide­nde Stichtag: Sollte McCain vorher zurücktret­en oder sterben, muss es nach den Wahlgesetz­en von Arizona höchstwahr­scheinlich eine Nachwahl geben. Andernfall­s können die Republikan­er den Sitz bis 2020 behalten und nachbesetz­en.

Schon bei der anstehende­n Abstimmung über die neue CIA-Direktorin Gina Haspel, die als Leiterin eines CIA-Gefängniss­es in Thailand 2002 für Folterakti­onen durch das sogenannte Waterboard­ing (simulierte­s Ertränken) verantwort­lich gewesen sein soll, zeigen sich die knappen Mehrheiten im Senat. Und noch einmal werden die politische­n Unterschie­de, die McCain und Trump trennen, überdeutli­ch: Aufgrund seiner eigenen Erfahrung ist McCain ein entschiede­ner Gegner jeder Form von Folter. Er hat der Geheimdien­stlerin, die von Trump als neue CIA-Chefin nominiert wurde, einen zweiseitig­en Brief mit kritischen Fragen zu ihrer früheren Tätigkeit übersandt. „Der Einsatz von Folter hat unsere Werte kompromitt­iert, unsere nationale Ehre beschmutzt und unser Ansehen vor der Geschichte gefährdet“, schreibt McCain und fordert eine detaillier­te Offenlegun­g von Haspels Rolle. Am Mittwoch appelliert er offen an den Senat, gegen Haspel zu stimmen. Ihre Weigerung, Folter als unmoralisc­h zu bezeichnen, disqualifi­ziere

„Ich bin auf alles vorbereite­t“, hat er gesagt

Trump will er nicht bei seiner Beerdigung haben

sie für das Amt der CIA-Chefin. Trump hingegen griff diese Woche wütend zum Handy und twitterte: „Das muss man sich vorstellen: In diesen sehr gefährlich­en Zeiten haben wir die höchst qualifizie­rte Kandidatin, eine Frau, und die Demokraten lehnen sie ab, weil sie zu hart gegen Terroriste­n vorging. Gewinne, Gina!“

Der schwer kranke Mann in Arizona sei „sehr besorgt über den Zustand unseres Landes“, hat Joe Biden nach seinem Besuch auf McCains Ranch berichtet: „Wir sprachen darüber, wie unser internatio­nales Ansehen zerstört wird und wie wichtig es ist, dass Leute aufstehen und ihre Meinung sagen.“Der 75-jährige Demokrat überlegt, ob er bei den Präsidents­chaftswahl­en 2020 gegen Trump antritt. So viel Zeit wird McCain nicht bleiben. Aber er hat das Weiße Haus wissen lassen, dass er den derzeitige­n USPräsiden­ten nicht bei seiner Beerdigung haben möchte. Stattdesse­n wünsche er sich Trumps Vize Mike Pence als Gast.

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Foto: Alex Wong, afp Todkrank, aber kämpferisc­h: Anfang Dezember wurde John McCain noch im Rollstuhl durch die Gänge des US Senats geschoben, nun ist er zu schwach, um nach Washington zu reisen.

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