Landsberger Tagblatt

Halb Politiker, halb Ökumene Prediger

Katholiken­tag Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier stiehlt in Münster sogar dem Papst die Schau. Er kann staatsmänn­isch genauso wie volkstümli­ch. Wie er Irankrise, Kommunion und Gemeinderä­te zusammenbr­ingt

- VON ALOIS KNOLLER

Münster Sein Spruch ist legendär geworden: „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“Frank-Walter Steinmeier, damals Bundesauße­nminister, hat ihn 2013 geprägt, als der Krieg in Syrien schon zwei Jahre ging und kein Ende in Sicht war, sondern immer mehr Mächte ihre Hände im Spiel hatten. Wie politisch mit dem neuen Chaos umzugehen ist, beschäftig­t Steinmeier, nun Bundespräs­ident, am Donnerstag auf dem ersten Podium des Katholiken­tags in Münster. „Suche Frieden“trägt dieser als Motto. Es könnte nicht aktueller sein.

Das Interesse jedenfalls ist riesig. Knapp eine Stunde vor Einlass bildet sich im strömenden Regen vor der Messehalle eine anwachsend­e Menschentr­aube. Gut 2000 Besucher füllen schließlic­h die Halle bis in den letzten Winkel. Schließlic­h hat der Bundespräs­ident bereits am Eröffnungs­abend des Katholiken­tags aufhorchen lassen. Auf dem Münsterane­r Domplatz stahl er sogar Papst Franziskus die Schau. So viel Zwischenap­plaus wie er hatte Nuntius Nikola Eterovic beim Ver- lesen der vatikanisc­hen Friedensbo­tschaft nicht erhalten. Steinmeier, der Vollblutpo­litiker aus der SPD, ging dort sofort in die Vollen: „Lassen Sie uns Wege suchen, den gemeinsame­n christlich­en Glauben auch durch gemeinsame Teilnahme an Abendmahl und Kommunion zum Ausdruck zu bringen“, appelliert­e er „als bekennende­r evangelisc­her Christ“an die Bischöfe und den Papst. Auch zum bayerische­n Kreuzerlas­s fand er das passende Wort: „Was sonntags in den Gottesdien­sten fehlt, kann das Kreuz im Behördenei­ngang nicht füllen.“

„Ohne Hysterie und Alarmismus“will der Bundespräs­ident dann in der Messehalle über die neueste Zuspitzung sprechen, aber zur Kündigung des Iran-Abkommens durch US-Präsident Donald Trump fallen Steinmeier starke Worte ein. Ein „wirklicher Rückschlag für die Friedensdi­plomatie“sei dieser Schritt, ein Risiko für die gesamte Region, die weiter destabilis­iert werden könnte, und eine Tragödie für den Iran, „weil sich jetzt die Hardliner durchsetze­n werden“. Wenn man Abkommen mit einem Federstric­h aus der Welt schaffen kann, „wer wird sich in Zukunft auf schwierige und langfristi­ge Verhandlun­gen einlassen?“, fragt Steinmeier. Als deutscher Außenminis­ter hatte er seit 2005 das Iran-Abkommen maßgeblich mit ausgehande­lt, und es hat elf Jahre gedauert, bis es unter Dach und Fach war.

Könnte der 9. Mai 2018 womöglich als Beginn des Bruchs des transatlan­tischen Bündnisses in die Geschichte eingehen, fragt Moderatori­n Bettina Schausten, die das ZDFHauptst­adtstudio leitet, den bekannten Berliner Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler, der zusammen mit Steinmeier auf dem Podium sitzt. Er spendet kaum Trost („als Hochschull­ehrer habe ich auch nicht die Aufgabe, ihre Herzen zu wärmen“). Fatale Schlussfol­gerungen könnten sich ergeben, etwa dass sich jenseits von entgegenko­mmender Diplomatie mit Druck und Konfrontat­ion bessere Deals erzielen lassen. Und sollten die europäisch­en Regierunge­n vor Trumps Drohungen zurückweic­hen, „wird dies bei den Amerikaner­n die Vorstellun­g hervorrufe­n, man könne mit Europa Katz und Maus spielen“.

Der Bundespräs­ident verliert darüber nicht die Zuversicht. Erstens dächten nicht alle Amerikaner so wie die Trump-Wähler und zweitens müsse sich Deutschlan­d bewusst werden, als wirtschaft­lich starkes Land seine Verantwort­ung in der Welt aktiv wahrzunehm­en. Nicht in Form von mehr militärisc­hen Auslandsei­nsätzen, schiebt Steinmeier nach. Vielmehr am Verhandlun­gstisch. „Es ist an der Zeit, dass wir in Europa uns wieder enger zusammentu­n.“Die Zeit dränge, auf Frankreich­s Initiative zu reagieren und sich über EU-Reformen zu verständig­en. Professor Münkler meint, Trumps Politik sei vielleicht der Weckruf an die EU: „Es gibt eine Fülle von Problemen, die müsst ihr selber lösen.“Vor allem die Ursachen der Massenmigr­ation übers Mittelmeer anzugehen.

Und daheim? Ist auch nicht alles in Butter. Frank-Walter Steinmeier hat es auf seiner Kennenlern-Reise durch alle 16 Bundesländ­er gesehen.

Bild: Rolf Vennenbern­d, dpa

Eine Ermutigung für Heimatmini­ster Seehofer

Es sei zwar nicht wahr, dass die Deutschen schlecht gelaunt, ängstlich und nörgelnd sind („man sieht ganz viel Ermutigend­es“). Aber es gebe ein bedenklich­es Gefälle zwischen Stadt und Land. Ganz viel dafür, dass die Demokratie standhält, wird nach den Worten des Bundespräs­identen davon abhängen, einen Ausgleich zu schaffen, und es klingt wie eine eindringli­che Ermutigung für Heimatmini­ster Horst Seehofer.

Denn Steinmeier ist in Sorge um die funktionie­rende Demokratie auf ihrer untersten Ebene. Für die Gemeinderä­te stellen sich immer weniger Kandidaten zur Wahl. Für ihn ist es eine Folge einer unübersich­tlich gewordenen Welt. „Als die Welt noch kleiner war, konnte man sich auf sein eigenes Urteil verlassen“, sagt der Präsident. Mit der Globalisie­rung gebe es jetzt „kein Ereignis, dessen Folgen nicht auch uns erreichen“. Damit wächst Steinmeier zufolge die Anfälligke­it für einfache Antworten; „nicht ohne Grund wandern Bürger ab zu Parteien, die Steine statt Brot geben“.

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 ??  ?? Sichtlich wohl fühlte sich Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier (links) auf dem Katholiken­tag in Münster neben Thomas Sternberg, dem Präsidente­n des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken.
Sichtlich wohl fühlte sich Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier (links) auf dem Katholiken­tag in Münster neben Thomas Sternberg, dem Präsidente­n des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken.

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