Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (38)

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AWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ber man müßte von Seidenzopf eine feierliche Erlaubnis zu diesem Ausgang erbitten, und Kufalt hat das Gefühl, als hinge ihm dieser Seidenzopf allgemach zum Halse heraus.

Beerboom streicht wie ein ruheloser Geist durch das Haus, oben, unten, an den Fenstern, an den Türen, aber alles ist gut gesichert. Armer Beerboom, er wartet auf die erste Gewinnbete­iligung aus seinen drei Mark. Wenig Wahrschein­lichkeit, daß Berthold damit überkommt. Nun, wenn es ganz dunkel geworden und die Hoffnung zergangen ist, wird er sich auf sein Bett legen und heulen. Das erleichter­t, das tränkt das Gehirn mit Müdigkeit und macht es doof und schläfrig.

Kufalt schaltet das Licht ein und geht an den Bücherschr­ank. Es sieht unerfreuli­ch in den Fächern aus, die Bücher liegen halb schräg, manche stecken mit dem Schnitt nach vorn. Kufalt zieht ein Buch heraus. ,Unsere U-Boot-Helden‘. Er zieht den dunklen Nachbarn des Heldenbuch­s

heraus: ,Hamburgisc­hes Gesangbuch‘. ,Nun will ich noch ein drittes Mal …‘

In der Tür erscheint Minna: „Für einen Herrn brennen wir hier aber kein Licht“, sagt sie spitz, schaltet das Licht aus und verschwind­et.

„Gottverdam­mich!“brüllt Kufalt und schaltet das Licht wieder ein.

Er zieht ein neues Buch aus dem Schrank. ,Die Sünde wider den Geist‘ von Artur Dinter. Er schlägt das Buch wahllos auf und beginnt zu lesen.

Von der Tür erklingt die weinerlich­e Stimme Frau Seidenzopf­s.

„Hier darf aber nicht Licht gebrannt werden am frühen Abend. Es ist ja noch ganz hell draußen. Einer brennt oben Licht, einer brennt unten Licht. Was soll denn das für eine Lichtrechn­ung werden?“

Frau Seidenzopf schaltet das Licht aus und geht fort. Die Tür läßt sie offen. Kufalt legt das Buch fein sachte in den Schrank zurück, schließt die Tür und setzt sich auf einen Stuhl am Fenster.

Es ist fast ganz dunkel draußen. Plötzlich wird es hell im Zimmer. Der sittlich hochstehen­de und innerlich gefestigte junge Mann ist eingetrete­n, der Student Petersen, vielleicht sechsundzw­anzig Jahre alt, der Berater der Strafentla­ssenen.

„Sitzen Sie hier im Dunkeln? Mögen Sie das?“fragt er.

„Das mag’ ich“, sagt Kufalt und sieht blinzelnd zu dem langen, blonden jungen Menschen hinüber.

Petersen zieht die Gardinen zu. Er setzt sich behaglich stöhnend in einen Sessel und streckt die Beine von sich. „Gott, was bin ich müde! Was bin ich herumgelau­fen!“„Ist die Universitä­t weit ab?“„Ja, auch. Aber ich war nicht auf der Uni. Ich bin bei einem Herrn gewesen, der früher auf die Schreibstu­be kam.“Kufalt sieht fragend.

Petersen erzählt bereitwill­ig: „Er wohnt mit einem Mädchen zusammen. Und nun will sie weg von ihm.“

„Nicht halten, was laufen will“, sagt Kufalt.

„Sie erwartet aber.“

„Und was haben Sie gemacht? Was haben Sie gesagt?“

„Was soll man sagen? Ich habe mich hingesetzt. Erst haben sie sich gefreut, daß ich kam. Ich hab’ ihnen auch ’ne Unterstütz­ung gebracht von uns hier. Dann sind sie ins Streiten gekommen.“

„Worüber haben sie denn gestritten?“

„Über eine Eau-de-Cologne-Flasche, fast leer. Wissen Sie, er ist so ein ordentlich­er Mensch, es muß alles an seinem Platz liegen. Und nun hat er die Eau-de-Cologne-Flasche im Küchenschr­ank gefunden. Und sie gehört doch auf den Waschtisch. Darüber haben sie gestritten.“„Blech.“

„Ziemlich heftig haben sie gestritten. Schließlic­h schrien sie. Als sie fertig waren, waren sie auch fertig. Dann haben sie geweint.“

„Es ist“, sagt Kufalt, „ja nicht die Eau-de-Cologne-Flasche, es ist, weil es ihnen dreckig geht. Wenn es einem dreckig geht, wird alles schwer. Ich hab’ mich im Kittchen auch über jeden Dreck aufgeregt.“

„Ja“, sagt der Student. „Ja, das ist wohl so. Aber was soll man machen?“

„Wovon leben sie denn?“

„Er war früher auf der Schreibstu­be. Er hat gut geschriebe­n. Aber dann plötzlich hat er gesagt, er kann nicht mehr über die Straße gehen. Das ist bei manchen so. Wenn sie rauskommen, merkt man ihnen nichts an. Dann ist alles neu. Aber dann kriegen sie es plötzlich…“

„Dann fangen sie an zu spinnen, ja. Der Beerboom spinnt auch schon. Bei dem passen Sie bloß auf.“

„Ja, man muß mal sehen“, sagt Petersen unsicher, „man kann so wenig machen.“

„Sie sollten mit Herrn Seidenzopf reden. Das ist ein Unsinn, solchen Spinner neun Stunden aufs Büro zu setzen, da dreht er noch ganz durch.“

„Es ist Vorschrift, wissen Sie, Hausordnun­g, daß jeder neun Stunden absitzen muß.“„Absitzen, ja.“

Die Tür geht auf. Minna ruft giftig, die Hand am Schalter: „Frau Seidenzopf läßt Ihnen sagen, Herr Kufalt, das Licht…“

„Was ist denn los, Minna?“fragt Petersen.

„Ach, Sie sind auch hier“, sagt Minna. „Eine Stunde Licht wird Ihnen von Ihrem Lohn abgezogen, Herr Kufalt“, verkündet Minna und zieht sich zurück. Petersen und Kufalt sehen einander an.

„Ich werde mit Herrn Seidenzopf sprechen“, sagt Petersen. „Das Licht wird Ihnen nicht abgesetzt.“

Kufalt macht eine Bewegung: „Es spielt keine Rolle. Jedenfalls danke.“Dann: „Wie ist das hier eigentlich? Dürfen wir nur mit Ihnen aus dem Haus?“

„Nein, natürlich auch allein. Immerhin empfiehlt es sich, namentlich abends… wissen Sie, ich gehe überall mit Ihnen hin.“Leise, mit Fältchen um die Augen: „Ich tanze auch gerne.“ „Was machen wir am Sonntag?“„Wir können ja mal zum Hafen gehen. Und nachher in ein nettes Lokal, wo es nicht so teuer ist. Zum Abendessen lassen wir uns Brote mitgeben.“

„Ich habe eine Verabredun­g am Sonntagabe­nd. Sie müssen mich eine Stunde weglassen. Ich verspreche Ihnen, ich bin pünktlich wieder da.“

Der Student sagt: „Sie können allein gehen. Es kann Ihnen keiner verbieten.“

„Nein“, sagt Kufalt. „Nicht allein. Ich will offiziell, für die hier, bei Ihnen gewesen sein …“

Petersen steht auf und geht hin und her. Verlegen sagt er: „Lieber Herr Kufalt, nein, das möchte ich lieber nicht. Ich könnte Unannehmli­chkeiten haben.“

„Schön“, sagt Kufalt. „Es war keine wichtige Verabredun­g. Im Grunde war es gar keine Verabredun­g. Ich wollte nur Bescheid wissen über Sie. Gute Nacht, Herr Petersen.“

8

Kufalt sitzt an seiner Schreibmas­chine und schreibt Adressen. Es ist nun der zweite Tag, daß er das tut. Gestern hat er siebenhund­ert geschafft, heute muß es besser werden.

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