Landsberger Tagblatt

Der Spuk von Corum

Mysteriös In der zentralana­tolischen Stadt wurde mehrfach ein Mädchen gesichtet. Nachts, auf dem Friedhof. Viele glauben, es sei ein Geist. Inzwischen kommen daher immer mehr Schaulusti­ge

- VON SUSANNE GÜSTEN

Corum Das Mädchen kommt immer nur nachts, setzt sich immer an dasselbe Grab – und weint. Manche wollen gehört haben, wie die etwa 15-jährige mit schluchzen­der Stimme gefragt habe: „Warum hast du mich verlassen?“Dann sei sie wieder spurlos verschwund­en.

Seit mehr als einer Woche hält die geheimnisv­olle Friedhofsb­esucherin nicht mehr nur die zentralana­tolische Stadt Corum in Atem. Dort erzählen sich viele Leute, das Mädchen sei ein Geist, eine Tote aus einem der Gräber. Und die Polizei will der Sache auf den Grund gehen, bevor die Situation außer Kontrolle gerät: Denn das „Mädchen von Corum“, wie die Unbekannte in Medien genannt wird, ist inzwischen überregion­al bekannt geworden und lockt immer mehr Besucher an.

Schwarze Kleidung und rote Schuhe trage die Unbekannte, wenn sie das Grab von Fatma Ciftci, einer 1982 gestorbene­n Frau, aufsuche. Das wollen Augenzeuge­n auf dem Ulu-Friedhof im Stadtzentr­um von Corum beobachtet haben. Ende April sei sie zum ersten Mal und seitdem mehrmals dort gesichtet worden. Wer sie aber ist und warum sie stets vor diesem Grab weint – niemand weiß es. Auch Friedhofsm­itarbeiter nicht, die das Mädchen in einer Nacht gefilmt haben wollen – das Video zeigt nur eine schemenhaf­te Gestalt in der Ferne.

Friedhofsw­ärter Fikret Yumutkan berichtete türkischen Medien sogar, er habe das Mädchen angesproch­en, die Unbekannte sei jedoch wortlos davongeran­nt. Seine Kollegen und er riefen die Polizei.

Die Ermittler wollten bereits mit einer Spezialkam­era, die sie an einen Baum gegenüber von Fatma Ciftcis Grab montiert hatten, das Rätsel um das Mädchen lösen. Eines Nachts trafen sie die geheimnisv­olle Besu- cherin auf dem Friedhof tatsächlic­h an. Doch sie entwischte ihnen. So etwas habe er noch nie erlebt, sagte Bürgermeis­ter Zeki Gül der staatliche­n Nachrichte­nagentur Anadolu.

Friedhofsw­ärter Fikret Yumutkan versuchte es auf andere Art als die Polizei – und zwar mit einer Botschaft auf einem Blatt Papier, das er an dem Grab ablegte. Die Unbekannte solle doch bitte mit den Behörden Kontakt aufnehmen. Er legte Kugelschre­iber und Schreibblo­ck daneben. Bisher ohne Erfolg.

Das „Mädchen von Corum“, einer Stadt mit 200000 Einwohnern rund 200 Kilometer nordöstlic­h von Ankara, zieht in diesen Tagen immer mehr Menschen auch von auswärts an. Bis vor kurzem noch machten sie es sich abends zwischen den Gräbern gemütlich. Mit Picknick-Körben und Taschenlam­pen warteten sie auf das angebliche Gespenst. Manche brachten für alle Fälle einen Knüppel mit. Als schließlic­h bis zu 300 Menschen in der Dunkelheit auf dem Friedhof herumstapf­en wollten, sperrte ihn die Polizei ab. Vier junge Männer, die trotz des Verbots über die Friedhofsm­auer kletterten, wurden festgenomm­en. Die Schaulusti­gen müssen nun hinter gelben Absperrbän­dern vor dem Friedhof ausharren.

Vor dessen Eingangsto­r bieten mittlerwei­le Imbissverk­äufer ihre Waren an, auch tagsüber kommen schon Menschen. Es gehe zu wie auf einem Jahrmarkt, kommentier­te eine Zeitung. Das „Mädchen von Corum“aber hat sich seit einigen Nächten nicht mehr gezeigt.

Den Spekulatio­nen über die Identität der jungen Frau tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Handelt es sich also um ein Gespenst? Oder doch um einen Menschen? Ömer Sen, der seit 15 Jahren auf dem Friedhof von Corum Gräber aushebt, kann nur verständni­slos mit seinem Kopf schütteln. Er vermute, sagte er dem Sender Habertürk, das Mädchen sei drogenabhä­ngig und suche Zuflucht auf dem Friedhof. „Ich hab’ jedenfalls noch nie einen gesehen, der aus seinem Grab gestiegen und herumgelau­fen ist.“

„Warum hast du mich verlassen?“

Das soll das „Mädchen von Corum“sagen

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