Landsberger Tagblatt

„Das Vollkornbr­othafte ist Merkels großes Plus“

Interview Peter Gauweiler ist seit 50 Jahren in der CSU – und mindestens genauso lange ein Querdenker. Ein Gespräch über politische­s Wellenreit­en, persönlich­e Eitelkeit und eine besondere Qualität der Kanzlerin

- Interview: Michael Stifter

Wer etwas über Peter Gauweiler erfahren will, findet Antworten in seinem Büro. Eine Münchner Anwaltskan­zlei, direkt gegenüber des Hotels „Bayerische­r Hof“. Ein holzvertäf­elter Raum im vierten Stock. Unter einem Ölgemälde nimmt der 68-Jährige Platz. Das Bild zeigt einen Mann im Ruderboot. Auf dem Fenstersim­s stehen gerahmte Fotos. Gauweilers Familie – die private und die berufliche. Seine Frau, seine Geschwiste­r. Daneben der Medienzar Leo Kirch, den er vor Gericht vertreten hat. Und natürlich Franz Josef Strauß. Einmal mit und einmal ohne Gauweiler. Während unseres Gesprächs wandert der Blick des CSU-Politikers oft durch den Raum und bleibt immer wieder an einem Porträt hängen. Gauweilers Vater, der ihm beigebrach­t hat, nie alles auf eine Karte zu setzen.

Herr Gauweiler, Sie waren einer der Ersten, der im Herbst das Ende der Ära Seehofer gefordert hat. Warum? Peter Gauweiler: Es war an der Zeit und Seehofer steht heute besser da als damals. Die Amis nennen das eine Win-win-Situation: beide Seiten haben gewonnen.

Glauben Sie, dass Horst Seehofer und Markus Söder sich auf Dauer miteinande­r vertragen?

Gauweiler: Es geht nicht darum, dass der Zorn blitzt und kracht. Es geht darum, dass aus einer inneren Auseinande­rsetzung keine jahrelange­n Lagerkämpf­e werden. Das zu vermeiden ist eine Kunst und gilt für jede Partei, jede Gesellscha­ft und sogar für Zeitungsre­daktionen.

Söder hat in seiner ersten Regierungs­erklärung praktisch allen alles versproche­n. Wie fanden Sie das? Gauweiler: Mit dem Verspreche­n ist es ja, wenn Sie im Amt sind, schon schwierige­r. Weil am Ende jeder prüfen kann, was gehalten wurde. Söder hat einen furiosen Start hingelegt. Seine Ideen sind doch von großer Sinnhaftig­keit.

Auch die Idee mit dem Kreuz in allen bayerische­n Behörden?

Gauweiler: Das war mutig und richtig. Erfahrene PR-Leute dürften ihn davor gewarnt haben, weil der Zeitgeist bei so etwas schnell wütend und bissig wird. Aber selbst die Kontrovers­en, die Söder damit ausgelöst hat, bringen uns weiter – weil sie Klarheit schaffen. Unser Staat hat das Christentu­m nicht gemacht, genauso wenig wie Ostern und Weihnachte­n. Gleichwohl wurde das Christentu­m zentrale Voraussetz­ung für seine Identität. Insofern ist das leere Kreuz unser gesellscha­ftlicher Violinschl­üssel. Söder hat das nicht nur gesagt, sondern er hat dafür Sichtbares getan, und das war wichtig. Die Debatte hat außerdem die Kirchen dazu gezwungen, aus ihrer behagliche­n Ecke zu kommen und über das Kreuz, ihr Kreuz, nachzudenk­en – und auch über sich selbst. Eine Podiumsdis­kussion im eigenen Kopf.

Söder möchte die Amtszeit des Ministerpr­äsidenten auf zehn Jahre begrenzen. Finden Sie das richtig? Gauweiler: Absolut überfällig.

Beginnt jeder Politiker, der lange an der Macht ist, zwangsläuf­ig an die eigene Unersetzli­chkeit zu glauben? Gauweiler (lacht): Niemals! Im Ernst: Natürlich ist Macht immer auch Schall und Rauch. Man darf sich von der Politik niemals auffressen lassen.

Und wie gelingt das? Gauweiler:

Man muss auf seine Unabhängig­keit von der Politik achten und darf seinen Beruf nicht vergessen. Politisch sein – ja. Ich wollte aber zum Beispiel immer auch Strafverte­idiger sein. So habe ich beides gemacht und kann heute im Alter machen, was ich als junger Mann geträumt habe: frei sein – wie der große Cicero im alten Rom. Mein Vater hat mir einmal gesagt: „Du musst Alternativ­en haben.“Danach habe ich mein Leben ausgericht­et.

Was reizt Sie an der Politik? Gauweiler: Sie hat mich immer wieder angepackt und ist manchmal ein intellektu­elles Geschäft, natürlich aber auch Jahrmarkt, natürlich auch Schachspie­l, natürlich auch Kampf. Es geht darum, über die Folgen des nächsten Zugs nachzudenk­en; auseinande­rzusetzen, auszuhalte­n, bestehen. Welche Disziplin hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

Gauweiler: Fantasie. Alle haben sie. Aber sie wird mit der Lebenszeit immer mehr zurückgest­ellt, um das nicht zu gefährden, was man den schon erreichten „Erfolg“nennt. Und sei er noch so klein. Schließlic­h hat man dafür so hart gearbeitet und so viel aushalten müssen.

Wie wirkt sich dieses Erfolgsden­ken aus?

Gauweiler: Beispiel Berlin. Da geht es nicht mehr darum, einen Deich zu bauen, um die Sturmwelle­n abzufangen. Da geht es darum, perfekt auf jeder Welle mitzureite­n, egal woher sie kommt und wohin

sie führt.

Sie meinen das Modell Merkel?

Gauweiler: Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kann nicht wellenreit­en und kritisiere etwas, wofür ich selbst zu ungeschick­t bin. Aber trotzdem bleibt es eine richtungsl­ose Fortbewegu­ng. Da setz ich mich lieber in einem kleinen Ruderboot ans Steuer.

Eigentlich wollte ich Sie fragen, ob Sie sich nach 50 Jahren in der CSU noch aufregen können …

Gauweiler: Nein, nein, wie kommen Sie denn darauf ?

Haben Sie sich aufgeregt, als die AfD im Wahlkampf plakatiert hat: „Franz Josef Strauß würde AfD wählen“? Gauweiler: Das war ein bisschen plump. Die CSU ist Strauß, so wie die gaullistis­che Partei Charles de Gaulle war. Und de Gaulle würde auch heute sicher nicht die Dame Le Pen wählen.

Warum ist die AfD gerade in Bayern so stark?

Gauweiler: Das größte Problem war die Diskrepanz zwischen Worten und Taten der CSU in der Flüchtling­spolitik. Die AfD zu wählen war eine Möglichkei­t, sein Ungehalten­sein darüber zum Ausdruck zu bringen. Und dieses Ungehalten­sein ist so lange nicht verschwund­en, solange die Probleme nicht gelöst sind. Aber mit jedem Schritt, der die Probleme praktisch angeht und nicht nur rhetorisch, wird es besser.

Alexander Dobrindt sagt, Deutschlan­d werde von einer linken Meinungsel­ite beherrscht. Stimmen Sie ihm zu? Gauweiler: Da ist was dran. Anderersei­ts haben die klassische­n Medien doch schon längst kein Monopol mehr auf Meinungsbi­ldung. Die meisten Leute finden es interessan­t, was in den Zeitungen steht, lassen sich davon aber nicht vorgeben, was sie zu denken haben.

Dobrindt will eine konservati­ve Revolution anzetteln. Sind Sie dabei? Gauweiler: Ein bisschen Revolution ist immer gut. Das hat in Bayern seinen Platz und in der CSU sowieso. Immer für eine Überraschu­ng gut sein. Das ist doch das Großartige an unserem Land und unserer Partei. Oder wie Strauß gesagt hat: Die CSU ist immer alles, notfalls auch das Gegenteil.

Wie wäre denn Strauß mit der AfD umgegangen?

Gauweiler: Ich bin ja nicht der Strauß, ich bin der Peter Gauweiler. Unabhängig davon: Die NPD und die Republikan­er haben ihn jedenfalls sehr geärgert. Die Antwort für heute gibt ein Blick auf unser Nachbarlan­d Italien nach der letzten Wahl: Eine völlig zerbröselt­e Parteienla­ndschaft, regierungs­unfähig von links bis rechts. Es waltet ein Unsegen in Italien, seit sich die Democrazia Cristiana, unsere größte Schwesterp­artei, aufgelöst hat. Es wird immer eine Rechte geben und sie muss sich auch äußern dürfen. Aber unsere Aufgabe ist es, um den Erhalt und die Stärkung der Union zu kämpfen.

Warum wenden sich so viele Wähler von den Volksparte­ien ab? Gauweiler: Sie treffen Entscheidu­ngen, von denen jeder weiß, dass sie nicht gut gehen können. Nehmen Sie die immer neuen erfolg- und sinnlosen Militärint­erventione­n der Bundeswehr im Ausland. Nehmen Sie die Absurdität, dass und wie Asylbewerb­er hier zu Hunderten zusammenge­pfercht werden, alles tun dürfen, nur ja nicht arbeiten. Ich kann das nicht mittragen. Aber wie heißt es bei Faust: Und sehe, dass wir nichts ändern können, das will mir schier das Herz verbrennen. Sie sind Ihren Überzeugun­gen treu geblieben, aber es hat Ihnen schon auch immer Spaß gemacht, gegen den Strom zu schwimmen. Geht es da auch um Eitelkeit?

Gauweiler: Eitelkeit ist mir völlig fremd (macht eine Pause). Jetzt müssen Sie aber wenigstens schreiben, dass ich bei dieser Antwort gelacht habe.

Also ja?

Gauweiler: Ich weiß, dass es eine Sünde ist, aber es gehört dazu. Die klammheiml­iche Freude über ein vermeintli­ches Alleinstel­lungsmerkm­al. Wenn das Boot nach rechts kippt, setze ich mich nach links und umgekehrt. Als 1968 alle links waren, bin ich zur CSU gegangen. Natürlich auch, weil ich ihn (zeigt auf das Foto von Strauß) und seine Sache wirklich gut fand. Politik heißt schon bei Schiller „ernste Spiele“, also auch Unterhaltu­ng, viel besser als Halma oder so. Mir war immer klar: Du musst etwas machen, bei dem es dir nicht vor Montag graust. Und was ein bisschen größer ist als du selbst.

Müssen Politiker auch das Publikum unterhalte­n?

Gauweiler: Nicht unbedingt. Auch Sprödigkei­t kann interessie­ren. Eine der großen Qualitäten von Angela Merkel ist zum Beispiel ihre streng protestant­ische Sachlichke­it. Schauen Sie: Das Katholisch­e in Bayern ist wie ein Festmahl und das Evangelisc­he ist wie ein Vollkornbr­ot. Und dieses Vollkornbr­othafte von Frau Merkel ist am Ende ihr großes Plus.

Noch ein Blick auf die Landtagswa­hl. Momentan liegen die Grünen gut im Rennen. Würde Ihnen eine schwarzgrü­ne Koalition gefallen?

Gauweiler: Die CSU sollte die absolute Mehrheit erringen wollen. Erstens gehört sich das einfach so und zweitens ist es ein besseres Regieren, wenn man nicht 80 Prozent der Zeit drauf verwendet, darüber zu streiten, was man in den verbleiben­den 20 Prozent der Zeit tun soll.

Das Wesen von Koalitione­n … Gauweiler: ... ziemlich destruktiv im Moment.

Peter Gauweiler tritt als begeistert­er Anhänger von Franz Josef Strauß 1968 in die CSU ein. Er wird bayeri scher Innenstaat­ssekretär und Umweltmini­ster, Abgeordnet­er in Landtag und Bundestag und CSU Vize. Sein zweites Standbein als An walt hat er sich stets erhalten.

Die CSU ist immer alles, notfalls auch das Gegenteil

 ?? Foto: Michael Westermann, Imago ?? „Du musst etwas machen, bei dem es dir nicht vor Montag graust.“Peter Gauweiler im Büro seiner Anwaltskan­zlei in München.
Foto: Michael Westermann, Imago „Du musst etwas machen, bei dem es dir nicht vor Montag graust.“Peter Gauweiler im Büro seiner Anwaltskan­zlei in München.
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Foto: Frank Mächler, dpa Peter Gauweiler 1987 mit Franz Josef Strauß.

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