Landsberger Tagblatt

Schlechte Luft macht Deutschlan­d Ärger

Diesel Skandal Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepu­blik und fünf andere Mitgliedst­aaten wegen überschrit­tener Grenzwerte. Was das genau bedeutet

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Zusammen mit fünf weiteren Mitgliedst­aaten hat die Europäisch­e Kommission Deutschlan­d an den Pranger gestellt: Sie erhob Klage beim Europäisch­en Gerichtsho­f, weil die Bundesregi­erung zu wenig gegen die verdreckte Luft in Ballungsrä­umen tut. Gleichzeit­ig mahnte sie Deutschlan­d und andere Länder wegen der aus Brüsseler Sicht unzureiche­nden Reaktionen auf den VWDiesel-Skandal ab. Bundeskanz­lerin Angela Merkel sieht Deutschlan­d auf gutem Weg und verweist auf viele Verbesseru­ngen. Doch EU-Umweltkomm­issar Karmenu Vella argumentie­rt mit dem Gesundheit­sschutz und fordert rasche Abhilfe. Damit werden die Befürchtun­gen vieler Dieselfahr­er neu befeuert: Drohen jetzt Fahrverbot­e?

Warum verklagt Brüssel Deutschlan­d und andere?

Seit genau zehn Jahren drängt die Brüsseler EU-Kommission die Mitgliedst­aaten, für saubere Atemluft in den Städten zu sorgen. Vor drei Jahren wurde Deutschlan­d zum ersten Mal ermahnt, weil die Grenzwerte von 40 Mikrogramm Stickstoff­oxid pro Kubikmeter Luft ständig überschrit­ten wurden. Noch im Jahr 2017 lag die Belastung der Atemluft in 66 Städten höher als erlaubt, in 20 Kommunen sogar drastisch über den Höchstgren­zen. 400000 Menschen in der EU sterben jährlich an den Folgen. Da will die Kommission nicht länger zusehen.

Aber Deutschlan­d hat doch zugesagt, konkrete Maßnahmen einzuleite­n?

Die Bundesregi­erung verabschie­dete zwar 2017 das „Sofortprog­ramm reine Luft“. Und außerdem stellten die Autobauer in Aussicht, Dieselauto­s mit neuer Software um 25 bis 30 Prozent sauberer zu machen. Doch bisher ist davon nichts zu spüren. Beide Maßnahmen dauern zu lange. Und deshalb erhöht Brüssel den Druck.

Was bewirkt die Klage?

Zunächst werden Stellungna­hmen und Gutachten eingeholt. Bis zu einem Verfahren kann es Monate dauern. Sollte Deutschlan­d tatsächlic­h verurteilt werden, könnte es teuer werden. Die Rede ist von mehreren hunderttau­send Euro Strafe – pro Tag.

Könnte es sein, dass nun Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge kommen?

Die EU-Kommission sagt nicht, wie die Luft sauberer werden soll. Aber Fahrverbot­e in besonders betroffene­n städtische­n Bereichen könnten ein Weg sein. Das Problem ist jedoch: Auch diese Maßnahme wirkt nur dann schnell, wenn sie von weiteren Schritten begleitet wird. Dazu gehören moderne Motoren. Es geht nämlich keineswegs nur um Dieselauto­s. Auch Turbo-Benziner stoßen deutlich mehr Stickstoff­oxide aus als erlaubt. Die Entscheidu­ng, mit welchen Mitteln die Atemluft sauberer werden soll, ist Sache der Mitgliedst­aaten und dort der Kommunen.

Aber die Autobauer, die geschummel­t haben, tragen doch eine erhebliche Mitschuld?

Das ist richtig. Brüssel fährt gegen die Bundesregi­erung besonders schwere Geschütze auf. Die Kommission warf ihr vor, betrügeris­che Hersteller nicht bestraft zu haben. Außerdem haben die zuständige­n Prüfbehörd­en nicht genug getan, um die Verstöße gegen EU-Recht festzustel­len. Denn bei der Erteilung der sogenannte­n Typengeneh­migung hätte auffallen müssen, dass das EU-Recht nicht eingehalte­n wurde. In einem zweiten Verfahren hat die EU-Behörde deshalb ebenfalls gestern von der Bundesrepu­blik Auskunft über die jüngsten Enthüllung­en gefordert. Sie betreffen Dieselfahr­zeuge der Marken Porsche Cayenne, VW Touareg sowie Audi A6 und A7. Sollte die EU feststelle­n, dass auch da geschummel­t wurde, ohne dass die Kontrolleu­re eingeschri­tten sind, steht Deutschlan­d weiterer Ärger ins Haus.

Wie reagiert die deutsche Politik auf die Klage aus Brüssel?

Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte, die Regierung habe beispiello­se Förderprog­ramme für Kommunen aufgelegt. „Wir haben im letzten Jahr weniger Städte gehabt, in denen diese Verletzung­en vorgekomme­n sind“, sagt sie. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) sagte: „Kein anderer Mitgliedst­aat hat so umfassende und strenge Maßnahmen ergriffen wie Deutschlan­d.“Er fügte an: „Für die Strafverfo­lgung ist in Deutschlan­d die Justiz zuständig, und das ist gut so. Es ist befremdlic­h, dass die EUKommissi­on das offensicht­lich nicht weiß.“Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) forderte hingegen eine größere Anstrengun­g der Autoindust­rie. Sie verlangte etwa technische Nachrüstun­gen auf Kosten der Hersteller.

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Foto: dpa Vergangene­s Jahr überschrit­ten 66 deutsche Städte die Stickoxid Grenzwerte für Atemluft. Das muss sich schneller ändern, findet die EU Kommission.

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