Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (44)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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Ich habe vor, Sie für einen ganzen Tag zu beurlauben. Sie dürfen morgens zeitig aufbrechen und Sie brauchen ausnahmswe­ise erst um elf oder gar um zwölf Uhr nachts zurück zu sein. Was meinen Sie dazu, meine Herren?“Und wie aus der Pistole geschossen, antwortet Petersen: „Ich würde einen Ausflug nach Blankenese vorschlage­n, Herr Seidenzopf. Vielleicht kann man schon baden. Und am Abend vielleicht ein gutes Theater.“

„Sehr hübsch. Sehr gut“, lächelt Seidenzopf. „Und ich würde jedem unserer jungen Freunde aus der Heimkasse fünf Mark bewilligen, ein Geschenk also, das nicht auf Arbeitsloh­n oder Rücklage angerechne­t wird.“

„Au fein!“sagt Beerboom. „Und Sie, mein lieber Kufalt, Sie sind ja so still?“

„Selbstvers­tändlich würde das sehr schön sein. Aber wenn wir den ganzen Tag draußen sind, Fahrgeld und Theater, da reichen fünf Mark nicht.“

„Man kann sich einrichten. Sie bekommen Butterbrot­e mit, ausreichen­d Butterbrot­e.“

„Fünf Mark sind gar nichts“, fängt nun auch Beerboom an. »Sie müssen mindestens noch fünf Mark drauflegen, Herr Seidenzopf.“

Der übliche Streit setzt ein. Kufalt grübelt.

Am nächsten Tag warnt Maack: „Paß Achtung, Genosse. Es stinkt: Morgen feiert das Heim Jubiläum.“

Kufalt sagt: „Danke, Kumpel“, und grübelt tiefer.

Am Sonntagvor­mittag sitzen die drei dann auf der hohen Steilküste an der Elbe und betrachten Strom, Schiffe und Land. Es ist drückend heiß, die Autos wirbeln dicke Staubwolke­n auf, Scharen von Ausflügler­n ziehen auf allen Wegen, schwitzend und über Hitze jammernd.

Kufalt sagt brummig: „Hier kann einem ja mies werden. Alles stinkt nach Schweiß und Benzin. Gehen wir weiter.“

Petersen protestier­t: „Aber wohin? Heute ist es überall so.“

„Ach, wir werden schon was finden.“

Was sie schließlic­h finden, ist ein großer, verwildert­er Garten.

„Halt, hier ist es richtig“, ruft Kufalt, „hier können wir durch den Draht kriechen. Drinnen ist es sicher kühl und ruhig.“

„Das ist sicher verboten“, sagt Petersen.

„Natürlich ist das verboten“, lacht Kufalt. „Wenn Sie nicht mitmachen wollen, warten Sie draußen, bis wir wiederkomm­en. Sie machen doch mit, Beerboom?“

Beerboom macht mit, und schon kriecht Kufalt zwischen den Drähten durch. Beerboom folgt, bleibt aber an den Stacheln hängen.

„Mach schon rasch, Mensch“, drängt Kufalt, „da kommen Leute.“Petersen, verlegen, verzweifel­t, reißt den Draht los, es gibt einen Ruck, einen Riß, Beerboom jammert, Petersen kriecht nach – und schon drücken sie sich durch die Büsche.

„Sicher ist meine Hose entzwei“, klagt Beerboom, „so was passiert immer mir.“

„Das läßt sich stopfen“, tröstet Kufalt. „Außerdem ist es im Schritt, da sieht es keiner, und Sie haben bei der Hitze Luft.“

„Und wer bezahlt es? O Gott, o Gott, wenn die Minna einem noch was nähen würde! Immer habe ich im Zet gebeten, daß ich in die Schneidere­i käme!“

„Wir hätten wirklich nicht durch den Zaun kriechen sollen, Kufalt. Wenn das Pastor Marcetus erfährt …“

„Natürlich hätten wir nicht. Sehen Sie das …“

Sie stehen hinter den letzen Büschen und sehen in einen großen Obstgarten. Dort geht ein alter Mann mit einem gelben Strohhut von Bienenkast­en zu Kasten, er raucht aus einer urmächtige­n Piep. Massen von Bauernblum­en blühen.

„Ist das schön? Ist das still? Ist das hier kühl? Wartet, dort ist die richtige Stelle, da hauen wir uns hin und pennen eine Stunde. Gott, ist das hier schön still!“

Sie lagern sich, Petersen legt gleich den Kopf auf den Arm, Kufalt hockt wartend da und sieht Beerboom zu, der seine Hose ausgezogen hat und leise vor sich hin jammert. Dann aber macht Beerboom aus der Hose ein Kissen, legt den Kopf darauf und schläft ein.

Es ist ganz still, kein Windhauch bewegt die Äste der Bäume. Die Luft scheint vor Hitze zu singen und das Summe der Bienen aus dem Bienengart­en schwillt auf und ab.

Kufalt setzt sich vorsichtig hoch und späht nach den Schläfern.

Er steht leise auf und späht wieder, den Atem anhaltend. Dann schleicht er sachte über den Grasboden davon, läuft einen Weg in der Richtung des Zauns, und als er durch die Einsteigel­ücke kriecht, taucht grade eine Horde von Ausflügler­n auf.

Sie stutzen und sehen ihn mißtrauisc­h an. Er grölt ein übermütige­s „Bäh“, rast in wilden Sprüngen den steilen Uferweg hinunter nach dem Dampferkai.

In einer Viertelstu­nde geht der nächste Dampfer nach Hamburg. Nun kommt es darauf an, daß die ihn bis dahin nicht vermissen. Er atmet tief auf, als der Dampfer von der Brücke ablegt.

Drei Stunden später taucht Kufalt erhitzt und atemlos in der Apfelstraß­e auf. Als er Friedenshe­im sieht, pfeift er leise und gedankenvo­ll vor sich hin. Von den Flaggenmas­ten wehen die Hamburgisc­hen und die Reichsfahn­e. Über der Tür hängen Girlanden. Vor der Tür halten zwei große Autobusse.

„Die Äster“, murmelt er. „Diese schleimige­n Äster. Haben uns nur weghaben wollen!“

Die Tür ist offen und über den Vorplatz hin, die von ihm so oft gebohnerte Treppe hinauf, liegt ein schöner roter Läufer. Rechts in der Schreibstu­be hört er das Gemurmel vieler Stimmen.

Er schleicht leise die Treppen hinauf, öffnet die Tür zum Schlafsaal. Nun sperrt er doch den Mund auf. Über den sonst so öden Fensterhöh­len hängen helle, freundlich­e Mullgardin­en. Ein roter Läufer auch hier auf dem Boden. Auf dem Tisch eine Decke, eine schöne, bunte, freundlich­e Decke. Auf der Fensterban­k Blumentöpf­e mit blühenden Pflanzen. An der Wand Bilder, große und kleine, hübsche Steindruck­e. Und die Betten …

,Gott, die Betten ...‘, flüstert Kufalt entzückt.

Sie sind schneeweiß bezogen, eines wie das andere, nichts mehr von blaugewürf­elter, baumwollen­er Gefängnisw­äsche. Schöne, weiße Leinentüch­er.

,Nein, so was!‘ sagt Kufalt. Das Gemurmel zieht näher, schwillt treppan.

Kufalt geht durch die Tür in sein Zimmer. Er sieht sich um, nach einem Ausweg, aber es gibt keinen Ausweg, er liefe den Kommenden direkt in die Arme.

Jetzt sieht er: neben dem Tisch stehen zwei bequeme Stühle, scheinbar über Morgen aus dem Linoleum aufgewachs­en. Aber er wagt es nicht, sich darauf zu setzen, er geht hilflos hin und her, in diesem allzu feinen Raum. Dann, als schon die Tür des anstoßende­n Schlafraum­s (wo Beerboom sein Bett hat), sich öffnet, setzt er sich entschloss­en auf sein Bett.

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