Die Macht der Farbe
Wer schon mal gemalt hat oder wenigstens spätnachts eine dieser einschläfernden Sendungen mit dem amerikanischen Landschaftsmaler Bob Ross gesehen hat, weiß, was Farbe bewirken kann. Da wird aus ein paar Pinselstrichen ein Baum, ein Wald und innerhalb weniger Minuten ein Kunstwerk. Ob sich die Betreiber des Münchner Olympiastadions an Ross ein Beispiel genommen haben, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass sie ebenfalls auf die Macht der Farbe setzen. Weil die altehrwürdige, orangefarbene Laufbahn im Stadion für den Schwerverkehr bei Großveranstaltungen nicht geeignet war, musste sie vor längerem tristgrauem Asphalt weichen. Der war ziemlich hässlich, wie viele befanden, also griff die Olympiapark GmbH zur Pinsel und Farbe und bemalte den Asphalt nun kurzerhand mit einer orangefarbenen Laufbahn.
Ein cleverer Schachzug – der freilich nicht ganz neu ist. Es gibt zahllose Beispiele, in denen ein neuer Anstrich einem alten Antlitz neuen Glanz verliehen oder es zumindest versucht hat. Die schäbige Eckkneipe wurde dank ein bisschen Farbe zur schicken In-Bar, der Betonklotz dank farbiger Akzente zu moderner Architektur und der moosfarbene Freund und Helfer dank blauer Uniform zum modernen Polizisten. Und auch in der Politik sind Farbenspiele ein beliebtes Handwerkszeug. Da gibt sich die ewig-gelbe FDP nach einem historisch schlechten Wahljahr einen lila Farbtupfer, um bald wieder mitreden zu dürfen. Da werden weißblaue Flaggen geschwenkt, um anti-europäische Tendenzen als pro-bajuwarische zu verkaufen. Und da werden braune Gedanken als blau-rot-weiße „Alternativen“getarnt. Bleibt zu hoffen, dass es in der Politik so läuft wie im wahren Leben: Schlechte Farbe blättert eines Tages ab. Und dann ist so ein Kunstwerk meist nicht mehr viel wert.