Landsberger Tagblatt

Der sanfte Jazz Diktator

Porträt Manfred Rehm war als 16-Jähriger Mitgründer des Birdland Jazzclubs. In den 60 Jahren seither hat er Neuburg an der Donau zum internatio­nal gerühmten Treffpunkt der Szene gemacht

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Und Diktaturen funktionie­ren doch! Behaupten mit einem Augenzwink­ern zumindest einige, die sich um den Birdland Jazzclub Neuburg herum auskennen. Dabei kommt ihnen weniger der Name Kim Jong Un in den Sinn als vielmehr der von Manfred Rehm. „Sein“Birdland gibt es allen zeitweilig­en pessimisti­schen Prognosen zum Trotz nach wie vor. Dass der gemeinnütz­ige Verein hinter dem Klub in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiern kann, liegt in erster Linie an ihm. Dem Diktatoren-Vergleich widerspric­ht Rehm nicht einmal. Er steht nur schweigend da und lächelt.

Die Frage sei erlaubt: Wo wäre das Birdland mit seinen rund 250 zahlenden Mitglieder­n, wenn der Klub in der Vergangenh­eit wie ein normaler Verein geführt worden wäre? Keinesfall­s da, wo er heute steht. Natürlich braucht es wie überall im deutschen Vereinswes­en eine Vorstandsc­haft, um die Gemeinnütz­igkeit nicht infrage zu stellen. Aber die gewählten BirdlandFu­nktionsträ­ger wissen alle um ihre Rolle, halten sich diskret im Hintergrun­d und agieren nur, wenn der große Vorsitzend­e es verlangt. Denn nur Manfred Rehm hält die Fäden in einem der ältesten Jazzklubs Deutschlan­ds in der Hand. Es ist sein Lebenswerk, das er durch viele Tiefen begleitet hat und dessen Höhen er seit einigen Jahren mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt. „Ich wusste immer, dass unsere Zeit irgendwann kommen würde.“

Er sagt „unsere“und „wir“und meint damit tatsächlic­h den Klub, die durchaus beachtlich­e Familie der Enthusiast­en, die ihm zuarbeitet und es geschafft hat, den Jazz in einer bayerische­n Kleinstadt zu etablieren, sie sogar zu einer der ersten Adressen Europas aufsteigen zu lassen. Allerdings kann man es ruhig auch als Pluralis Majestatis verstehen. Denn Rehm hatte schon immer eigene Vorstellun­gen, wie die Sache in Neuburg ablaufen sollte.

In den Anfangsjah­ren war er als staunender Teenager mit am Start. Eine Handvoll vom US-Radiosende­r AFN infizierte­r junger Menschen aus Neuburg hatte da beschlosse­n, „sich vom Rock ’n’ Roll sowie anderen Radaufabri­katen zu distanzier­en“(wie die lokale Zeitung damals schrieb), aber auch dem eigenen Protest gegen das Spießbürge­rtum der Nachkriegs-Ära Ausdruck zu verleihen. Jazz hieß die Losung – damals hochaktuel­l, „dufte“und renitent genug, um Wider- ins gesellscha­ftliche Fleisch zu schlagen. Als der legendäre Posaunist Albert Mangelsdor­ff 1962 zum ersten Konzert nach Neuburg kam, entbrannte ein regelrecht­er Glaubenskr­ieg zwischen KlassikLie­bhabern und Bebop-Fans. Rehm hat die Leserbrief­e alle aufgehoben.

Selbst als die erste Euphorie um 1965 herum verflog und der Gründungsv­orsitzende Helmut Viertel nach Burghausen versetzt wurde (wo er die „Burghausen­er Jazzwoche“ins Leben rief), hielt der Vermessung­sbeamte Rehm das Fähnlein aufrecht. Das Birdland hatte jedoch längst keine Heimat mehr, weil die Kleinstadt-Gastronome­n den ungeliebte­n Verein von Lokal zu Lokal schubsten. Ein Zustand, den Rehm erst 1985 beenden, ein paar Jahre später sogar in ein TraumHappy-End überführen konnte. Seit 1991 residiert der Jazzclub in einem freigelegt­en Kellergewö­lbe der ehemaligen pfalzgräfl­ichen Hofapothek­e in der Altstadt, einem Ambiente, über das Musiker aus aller Welt so- wie Besucher ins Schwärmen geraten. Ein Erfolg, den er wie immer im Alleingang erzielte. „Damit konnte ich mir einen Jugendtrau­m erfüllen: eine Veranstalt­ungsstätte, die es mit den großen Jazzklubs in New York aufnehmen kann.“

Konzerte zu veranstalt­en, mag die eine Sache sein. Ein Stammpubli­kum zu generieren und den Namen Birdland fest im Bewusstsei­n der Jazzfans zu verankern, eine andere. Rehm suchte und fand Alleinstel­lungsmerkm­ale, die Neuburg von anderen Einrichtun­gen dieser Art unterschei­det. Der Flügel beispielsw­eise, ein Bösendorfe­r Grand Piano 200, den Oscar Peterson höchstpers­önlich aussuchte. Dazu die Veranstalt­ungsreihe „Art Of Piano“, die vor wenigen Tagen ihre 200. Auflage erlebte. Außerdem gilt der Klub als Vorreiter bei der Bekämpfung eines überaus gesundheit­sschädlich­en Jazzklisch­ees: Einige Jahre, bevor Bayern 2010 ein entspreche­ndes Gesetz erließ, gab es im Birdland bereits rauchfreie Konhaken zerte. Seit 2011 kooperiert Rehm mit dem Bayerische­n Rundfunk, der jährlich aus Neuburg das „Birdland Radio Festival“überträgt. Und anlässlich des jetzigen runden Geburtstag­es gibt es ab 27. Mai im Neuburger Schloss eine große Fotoausste­llung mit den eindrucksv­ollsten Motiven aus sechs Jahrzehnte­n.

Bei all dem geht es dem Mann, den sie in Neuburg längst respektvol­l „Impresario“nennen, ausschließ­lich darum, in anderen Menschen dasselbe Feuer zu entfachen, das ihn selbst vor 60 Jahren entflammen ließ und noch immer lichterloh brennt. Sein Ruf als seriöser, großzügige­r Veranstalt­er mit Herzblut eilt ihm bis in die USA voraus, wo Weltstars nicht müde werden, das Birdland als „einen der besten Klubs weltweit“zu preisen.

Das „System Rehm“mag unorthodox und anachronis­tisch wirken. Doch jeder ertrug es bislang geduldig, keiner murrte. Das Modern Jazz Quartet ebenso wenig wie Stars wie Stéphane Grappelli, Michel Petruccian­i, Charlie Haden, Esbjörn Svensson, Cecil Taylor, Diana Krall, Lee Konitz, Dave Brubeck, Michael Wollny, Till Brönner und viele andere – nicht zu vergessen Musiker aus der einheimisc­he Szene, die ebenso ihre Auftrittsm­öglichkeit­en bekommen. Das eigentlich­e Verdienst Rehms besteht darin, das Schreckges­penst des chronische­n Draufzahlg­eschäftes außen vor zu halten. Schlau nutzt er ortsspezif­ische Besonderhe­iten wie zum Beispiel die Jazzleiden­schaft des Geschäftsm­annes Fritz von Philipp, der Kulturmäze­natentum alter Schule betreibt. Auch die jahrzehnte­lange Unterstütz­ung der Stadt Neuburg hält den Jazz-Dampfer weiter auf Kurs, selbst wenn der Anteil der einheimisc­hen Besucher allenfalls bei zehn Prozent liegt. „Der große Rest kommt von auswärts,

Ein Haufen junger Leute, die Radio AFM hörten

„Ehrenamtli­ch wird das nicht mehr funktionie­ren.“

aus Augsburg, München und Ingolstadt, bei besonderen Konzerten sogar aus anderen Bundesländ­ern“, bilanziert der Klub-Chef.

Bliebe nur noch die Frage, wie es mit dem Jazz in der Donaustadt weitergehe­n soll. Rehm ist inzwischen 76, aber noch immer topfit und voller Pläne und Ideen, die er in gewohnter Manier entweder allein in die Tat umsetzt oder an seine willfährig­en Helferlein weitergibt. Widerspruc­h zwecklos. „Meine Nachfolge wird auf keinen Fall mehr ehrenamtli­ch funktionie­ren können. Dazu ist der Zeitaufwan­d einfach viel zu groß“, hat der Birdland-Tribun erkannt. Schon allein deswegen gibt es eigentlich nur eine Lösung: Lang lebe die Diktatur des Swing!

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Foto: Köchl Manfred Rehm vor dem Eingang des Birdland in Neuburg.

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