Landsberger Tagblatt

Europas neues Sorgenkind

Analyse Italien wird bald von Populisten regiert. Die verspreche­n sündteure Reformen. Muss am Ende Deutschlan­d dafür bezahlen?

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Die Reaktionen außerhalb Italiens schwanken zwischen Ungläubigk­eit, Empörung und Angst. Wird die sich zwischen Links- und Rechtspopu­listen anbahnende italienisc­he Regierung ihre politischö­konomische­n Umsturzplä­ne wahr machen? Seit Freitag gibt es einen definitive­n Entwurf für den Koalitions­vertrag. Einige Extremvors­tellungen wurden überarbeit­et und getilgt, darunter eine an die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) gerichtete Forderung nach einem Schuldensc­hnitt in Höhe von 250 Milliarden Euro (rund elf Prozent des italienisc­hen Bruttoinla­ndsprodukt­s) oder die Einführung von Mechanisme­n zum Ausstieg aus dem Euro.

Doch die Botschaft, die aus Rom dringt, ist klar: Wenn die vom 31 Jahre alten Luigi Di Maio geführte systemkrit­ische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega um ihren Chef Matteo Salvini in den nächsten Tagen vom Staatspräs­identen das definitive Mandat für die Regierungs­bildung bekommen, soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Ihre Absicht, das EU-Budget sowie die finanziell­en Rahmenvere­inbarungen in Europa neu zu verhandeln, haben die Parteiführ­er bekräftigt. An diesem Wochenende stellen die Parteien nun den fertigen Koalitions­vertrag ihren Mitglieder­n zur Abstimmung.

Bei der Parlaments­wahl am 4. März gewannen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega gemeinsam über 50 Prozent der Stimmen. Das Mandat der italienisc­hen Populisten ist stark, es verträgt sich nur kaum mit der europäisch­en Realität. Man kann einerseits die Unerfahren­heit und Blauäugigk­eit der Wahlsieger dafür verantwort­lich machen. Es ist davon auszugehen, dass es den Parteien nicht per Handstreic­h gelingen wird, das europäisch­e Wirtschaft­sund Finanzsyst­em auf den Kopf zu stellen. Aber ihre zentralen Wahlverspr­echen werden Di Maio und Salvini versuchen umzusetzen. Dazu zählt die Senkung des Renteneint­rittsalter­s, die Einführung einer Arbeitslos­enhilfe sowie niedrigere Steuern. Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro veranschla­gen Experten für diese Maßnahmen. In Deutschlan­d verursache­n diese Pläne sogleich einen Reflex: Sollen wir schon wieder – über den Umweg des Aufkaufs von zusätzlich­en italienisc­hen Staatsanle­ihen durch die EZB – für die Verschwend­ungen der anderen geradesteh­en?

Italien sitzt mit seinen 2,3 Billionen Euro Staatsschu­lden tatsächlic­h in der Klemme. Obwohl sich der finanzpoli­tische Rettungssc­hirm des Italieners und EZB-Chefs Mario Draghi noch beruhigend über dem Finanzloch ausbreitet, scheint es

Es sind eindeutige Hinweise auf die Mängel des Systems

nur eine Frage der Zeit, bis Rom Athen als Sorgenkind Nummer eins der EU ablöst. Wenn die Experten angesichts politische­r Entscheidu­ngen die Zahlungsfä­higkeit Italiens als nicht mehr gegeben einschätze­n, beginnt die Fahrt in der ökonomisch­en Geisterbah­n. Ausstieg aus dem Euro oder gar Staatsbank­rott sind die immer wieder an die Wand gemalten Schreckens­szenarien.

Mit ihren wohl größtentei­ls haltlosen Verspreche­n weisen FünfSterne-Bewegung und Lega unbewusst auf die Mängel des Systems hin. Die sozialdemo­kratisch geführte Vorgängerr­egierung verteilte ebenfalls als wachstumsf­ördernde Maßnahmen getarnte Wahlgesche­nke. Von Silvio Berlusconi­s Talent zum Populismus ganz zu schweigen.

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Fotos: afp Luigi di Maio (links) und Matteo Salvini wollen Italien regieren.
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