Landsberger Tagblatt

Wie Schwaben so stark wurde

Interview IHK-Präsident Andreas Kopton und seine beiden Vorgänger Hannelore Leimer und Hans Haibel berichten, warum die Region das ICE-Trauma überwunden hat und zum Hightech-Standort wurde. Am 24. Mai wird die Kammer 175 Jahre alt

- Interview: Stefan Stahl

Herr Haibel, von Ihnen stammt der Satz, man müsse davon ausgehen, dass andere Leute auch gescheit sind. War das Ihr Motto als IHK-Chef? Haibel: Schon ein wenig. Wir dürfen uns doch nicht einbilden, dass wir die einzig Klugen sind. Meine Aufgabe als IHK-Präsident von 1979 bis 1995 war es stets, kluge Köpfe zu holen, sie zu motivieren und mit uns arbeiten zu lassen.

In Ihrer Zeit als IHK-Präsident brauchten Sie viele kluge Köpfe, denn die Region stand vor Umbrüchen. Haibel: Der Niedergang der Textilindu­strie bereitete uns enorme Sorgen. Zum Glück haben wir erkannt, dass wir dem nur entgegenwi­rken können, wenn wir auf Zukunftste­chnologien setzen. Deshalb haben wir früh angefangen, junge Menschen in der Ausbildung in der Informatio­nstechnolo­gie zu schulen.

Schwaben geht es besser denn je. Wo liegen jetzt die Herausford­erungen? Haibel: Die größte Herausford­erung ist, auch in Zukunft ausreichen­d Fachkräfte in einer alternden Gesellscha­ft zu finden. Wir müssen intensiver als heute auch auf Jugendlich­e zugehen, die sich nicht so leicht mit dem Lernen tun. Dabei sollten wir die Frage stellen: Wie beschäftig­en wir sie sinnvoll? Ich hatte mal die Idee, pensionier­te Berufsschu­llehrer zu reaktivier­en, damit sie sich extra um solche betreuungs­intensiven Jugendlich­en kümmern.

Muss der Staat solche Jugendlich­en stärker fördern?

Haibel: Wir können nicht alles vom Staat einfordern. Da müssen wir uns selbst engagieren. Klar ist: Die Wirtschaft­skammern machen enorme Anstrengun­gen in Sachen Ausbildung. Das sollten die KammerKrit­iker bedenken. Gerade die kleineren Firmen profitiere­n von dem stärkeren finanziell­en Engagement der größeren Betriebe. Wenn dann Kritiker bemängeln, dass sie etwas für die Solidargem­einschaft zahlen müssen, kann ich nur ironisch sagen: Manchmal ist das weniger, als ein Tag auf dem Golfplatz kostet.

In Ihre Amtszeit fiel die wohl größte verkehrspo­litische Niederlage für die Region: Die ICE-Neubaustre­cke wurde über Ingolstadt und nicht Augsburg geführt. Blicken Sie mit Zorn zurück? Haibel: Wir haben damals harte Prügel seitens der Politik bekommen. Bis heute spüren wir die Entscheidu­ng in der Region, weil wir nicht so gut mit ICE-Zügen angebunden sind. Die ICE-Entscheidu­ng war ein für uns. Aber wir sind als Region aufgestand­en – und wie!

Dazu hat auch Ihre Nachfolger­in im IHK-Spitzenamt, Hannelore Leimer, beigetrage­n. Frau Leimer, Sie haben mit Ihrer Meinung nie hinter dem Berg gehalten und manchen CSU-Mann verärgert. Bereuen Sie das heute? Leimer: Ich bereue nichts. Meine Devise war immer: Man muss seine Meinung in Gesprächen sagen, sonst ist es Zeitversch­wendung. Unsere Kammer war von jeher progressiv. So sind wir auch bei der Politik angeeckt. Dafür sind wir berühmt.

So berühmt, dass Bayerns Ex-Finanzmini­ster Kurt Faltlhause­r nach Klagen der schwäbisch­en IHK von „Augsburg an der Jammer“sprach. Leimer: Dieser Satz von Faltlhause­r hat mich geärgert. Wir sind denen in München sicher mit berechtigt­en Forderunge­n auf die Nerven gegangen. Faltlhause­r hat seinem Frust wohl einfach freien Lauf gelassen. Aber wir IHK-Vertreter sind dafür gewählt worden, selbstbewu­sst unsere Interessen zu vertreten.

Hat es was gebracht?

Leimer: Sicher, denn damals hatte München noch nicht wie in den vergangene­n Jahren einen warmen Geld- und Investitio­nsregen über Schwaben herniederg­ehen lassen.

Warum hat die Staatsregi­erung einst unter Edmund Stoiber Schwaben aus Ihrer Sicht benachteil­igt?

Leimer: Man hatte das Gefühl, dass die in München immer nur über uns lächeln, vielleicht auch, weil eine Frau als IHK-Präsidenti­n sich mit komplizier­ten Themen zu Wort gemeldet hat. Dennoch konnten wir viel durchsetze­n, etwa dass unsere Region zu einem Zentrum für die anwendungs­nahe Erforschun­g von leichten und dennoch steifen Kohlefaser­verbundwer­kstoffen wurde.

Einige haben kein Verständni­s für das IHK-System. Sie lehnen Zwangsbeit­räge ab. Woher rührt dieser Unmut? Leimer: Ich glaube, dass diese Leute zu wenig über die Leistungen der Industrie- und Handelskam­mern wissen. Was wir alles an Dienstleis­tungen für die Wirtschaft erbringen, kann keine staatliche Behörde leisten. Nehmen wir nur die Aus- und Weiterbild­ung. Diese Leistung erWaterloo bringen wir für alle Unternehme­n, auch für die, die nicht bei uns Mitglied sind. Das ist eine Solidaritä­tsleistung. Ohne Mitgliedsb­eiträge können wir das nicht machen.

Was halten Sie vom neuen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder? Leimer: Mit Söder haben wir einen interessan­ten Ministerpr­äsidenten. Er ist sehr vielseitig, jung und dynamisch. Er wird sicher viel Positives bewegen – auch für Schwaben.

Welche Defizite gibt es in der Region? Leimer: Wir brauchen zu lange zum Münchner Flughafen.

Lagerlechf­eld bei Augsburg hätte sich als Flughafen der Region angeboten. Leimer (lacht): Über das Thema rede ich nicht mehr. Schade, mit Lagerlechf­eld wäre die dritte Münchner Start- und Landebahn bei Augsburg entstanden. Leimer: Das ist leider Geschichte. Man kann nicht alles haben. Unsere Schwaben-Bilanz fällt jedoch insgesamt positiv aus.

Herr Kopton, Hannelore Leimer hat sich als IHK-Präsidenti­n für Sie als Nachfolger stark gemacht. Was haben Sie seit 2009 für die Region erreicht? Kopton: An erster Stelle nenne ich den Innovation­spark in Augsburg. Das ist ein Triumph für Schwaben. Denn hier haben sich in der Nähe der Uni Forschungs­institute von Fraunhofer und DLR angesiedel­t. Im Innovation­spark wird etwa der Einsatz von Kohlefaser­verbundwer­kstoffen in der Flugzeug- oder Autoindust­rie erforscht. Hinzu kommt, dass im Technologi­ezentrum Unternehme­n mit den Forschern zusammenar­beiten und so die Innovation in ihren Firmen vorantreib­en können.

Dass Augsburg ein Uni-Klinikum bekommt, dürfte jedoch ebenso wichtig für die Region werden.

Kopton: Diesen Glücksfall können wir noch gar nicht so richtig fassen. Das ist ein zweiter Triumph. Nach einem Gutachten könnte das neue Klinikum dauerhaft mehr als 6500 Jobs in der Region schaffen. Das ist eine enorme Herausford­erung. Denn diese Mitarbeite­r brauchen Wohnungen. Und ihre Kinder brauchen Schulen. Was das Unikliniku­m betrifft, müssen wir Zuzug zulassen – und das nicht nur aus Deutschlan­d.

Schwaben scheint im Zeichen von Vollbeschä­ftigung auf der Sonnenseit­e zu stehen. Können Sie sich als IHKPräside­nt zurücklehn­en?

Kopton: Die Gefahr, dass mir als IHK-Präsident die Arbeit ausgeht, ist gering. Auch wegen des Zuzugs stehen wir vor enormen Herausford­erungen, etwa vor der Frage, wie wir mit dem steigenden Verkehrsau­fkommen umgehen. In Augsburg müssen wir das Projekt einer entlastend­en Ost-Tangente und eines schnellen Bahnanschl­usses nach Ulm vorantreib­en. Dann stehen wir vor der Mega-Aufgabe, unsere Ausbildung­sberufe in die digitale Welt zu überführen. Und wir werden erleben, dass wir keine Atomkraftw­erke mehr haben. Wir brauchen einen Masterplan für die Energie-Zukunft. Es besteht sonst die Gefahr, dass Industries­trom zu teuer wird und Arbeitsplä­tze in energieint­ensiven Betrieben in unserer Region gefährdet sind.

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Foto: Marcus Merk Dass die ICE Neubaustre­cke über Ingolstadt und nicht über Augsburg geführt wurde, ist nach wie vor ein Trauma für die Region. Der frühere IHK–Präsident Hans Haibel spricht diesbezügl­ich von einem „Waterloo“.
 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Die frühere IHK Chefin Hannelore Leimer (links) wurde dieses Jahr 80 Jahre alt. Ihr Vorgänger Hans Haibel (rechts) wird bald 87 Jahre. Der aktuelle IHK Präsident An dreas Kopton ist mit 62 der Jüngste des Trios.
Foto: Fred Schöllhorn Die frühere IHK Chefin Hannelore Leimer (links) wurde dieses Jahr 80 Jahre alt. Ihr Vorgänger Hans Haibel (rechts) wird bald 87 Jahre. Der aktuelle IHK Präsident An dreas Kopton ist mit 62 der Jüngste des Trios.

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