Landsberger Tagblatt

Anspruch und Belohnung

Drei letzte Stücke von Ulms Operndirek­tor

- VON MARCUS GOLLING

Ulm Schmerz statt Freude, Anspruch statt bloßer Unterhaltu­ng: Operndirek­tor Matthias Kaiser, dessen Zeit am Theater Ulm nach zwölf Jahren im Sommer endet, verabschie­det sich vom Publikum mit einer sperrigen, bei der Premiere am Ende aber heftig beklatscht­en Produktion. Der gut zweistündi­ge szenische Abend umfasst drei Stücke: Auf Arnold Schönbergs „Die glückliche Hand“, ein 1913 vollendete­s Frühwerk der atonalen Musik, folgt eine nicht minder fordernde Uraufführu­ng, Gerhard Stäblers „Dahinström­en, singend“. Die zweite Hälfte gehört einem der populärste­n Werke des 20. Jahrhunder­ts: Carl Orffs „Carmina Burana“.

Der Weg dorthin ist kein leichter, denn „Die glückliche Hand“ist nur ein Reigen aus rätselhaft­en Bildern über den inneren Zwist eines Mannes beziehungs­weise Künstlers. Regisseur Kaiser lehnt sich an expression­istische Stummfilme an – Solist Tomas Kaluzny, der auf einer Wendeltrep­pe auf und ab schreitet, wirkt wie eine Mischung aus Nosferatu und Quasimodo (Bühne: Marianne Hollenstei­n; Kostüme: Angela C. Schuett). Das von Hendrik Haas geleitete, auf der Bühne postierte Orchester agiert dazu vorsichtig, fast lauernd. Noch freier, performati­ver danach „Dahinström­en, singend“über die Totenklage des Orpheus: Die Instrument­e erzeugen ein kaum geordnetes Klangmeer, der Chor scheint zu murmeln und stößt Kssund Pff-Laute aus, Maria Rosendorfs­kys Sopranpart­ie erinnert an Geistergeh­eul. Die Tänzer (Beatrice Panero und Daniel Perin) hinterlass­en dazu blutrote Spuren auf ausgelegte­n Papierbahn­en. Der Pausenappl­aus: etwas verschreck­t.

Die zweite Hälfte belohnt das Publikum. Nicht nur wegen der eingängige­n Musik der „Carmina Burana“, die von Orchester, Chor und Solisten – darunter Hans-Günther Dotzauer, der nach 32 Spielzeite­n in Ulm in Rente geht – ausdruckss­tark und mit Gespür für Dynamik interpreti­ert wird. Denn die Inszenieru­ng erzählt nicht nur vom wechselvol­len Spiel des Lebens, sondern von der Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts. Die fröhlichen Ballbesuch­er aus den wilden 20ern verwandeln sich nach und nach in graubraune Spießbürge­r. Und das finale „O Fortuna“geht in einen von Gerhard Stäbler komponiert­en 90-sekündigen Schmerzens­schrei über, der vom eisernen Vorhang erstickt wird. Ein starkes Ende. Danach feiert das Publikum den scheidende­n Operndirek­tor und all die anderen, die das Haus im Sommer verlassen. Auf den Schrecken folgt die Dankbarkei­t.

Termine 22. und 27. Mai, 8., 10. und 24. Juni, 5. und 12. Juli

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Foto: Jochen Klenk/TU O Fortuna: Hans Günther Dotzauer (hin ten) in der Aufführung von Orffs „Carmi na Burana“.

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