Landsberger Tagblatt

„Unserem Land geht es hervorrage­nd“

Juli Zeh Am Dienstag erhält die Star-Autorin das Bundesverd­ienstkreuz für ihr politische­s Engagement. Was ihr das bedeutet, was sie aufregt, was ihr Angst macht – und was sie plant

- Interview: Wolfgang Schütz

Sie werden mit dem Verdiensto­rden der Bundesrepu­blik Deutschlan­d geehrt. Nach all den literarisc­hen Auszeichnu­ngen: Ist das etwas Besonderes für Sie? Ihr Vater war ja auch mal Direktor beim Deutschen Bundestag… Juli Zeh: Ganz unabhängig von meinem Vater bedeutet mir die Auszeichnu­ng viel. Wie viele andere bekennende Demokraten mache ich mir seit einigen Jahren Sorgen um Europa und unser Land. Der anwachsend­e Rechtspopu­lismus, das zunehmend irrational­e Verhalten der Staaten in der Europapoli­tik, Donald Trump… Es gibt viele Gründe, noch offener und selbstbewu­sster zur Demokratie zu stehen als sonst. Das Bundesverd­ienstkreuz ist für mich ein Symbol für dieses Bekenntnis.

In der Begründung heißt es, Sie ermunterte­n zum demokratis­chen Engagement und zum Einsatz für Bürgerrech­te. Das war ja auch Hauptthema ihres letzten Romans „Leere Herzen“– vielmehr das Gegenteil: Wenn sich immer mehr Menschen aus dem Politische­n ins Individual­istische zurückzieh­en, stärkt das die Extreme. Wie groß ist die Gefahr dafür tatsächlic­h?

Zeh: Leider ist vieles, was ich in „Leere Herzen“beschriebe­n habe, bereits wahr geworden – die Wahlerfolg­e der AfD, die wachsende Verunsiche­rung und Hilflosigk­eit der Bürger.

Wie kann man gegenhalte­n?

Zeh: Wir müssen uns darauf besinnen, worum es tatsächlic­h geht. Wir dürfen uns nicht blenden lassen von medial aufgeheizt­en Diskursen und Szenarien. Wir leben auf einem Höhepunkt von Demokratie, Freiheit und Wohlstand, und unser Ziel muss es sein, das zu erhalten und möglichst viele Menschen daran teilhaben zu lassen. Im Grunde sind die Dinge viel weniger komplizier­t, als es manchmal scheint, wenn wir nur nicht vergessen, worauf es uns ankommt und was unsere Werte und Ziele sind.

Sie selbst sind nicht lange vor der zu- rückliegen­den Bundestags­wahl in die SPD eingetrete­n. Wie sind Ihre Erfahrunge­n damit bislang? Und wie ist Ihr Blick auf die aktuelle Regierung? Zeh: Ich stehe der Partei schon lange nahe und bin im Herzen eine überzeugte Sozialdemo­kratin. Die momentane Regierung ist natürlich eine Art Notlösung, aber sie ist auch nicht so schlimm, wie immer getan wird. Mir geht es auf den Geist, dass von der Presse und zum Teil auch von den Politikern selbst ständig alles in den Dreck geredet wird. Gut, vielleicht haben die Leute keine Lust mehr auf GroKo. Aber das ist auch keine Apokalypse. Unserem Land geht es hervorrage­nd, es wird in der Regierung gut gearbeitet. Dieses Gerede von „frischem Wind“und „Neuanfang“macht mir manchmal richtig Angst. In den USA sehen wir, wie der „frische Wind“dann aussehen kann. So viele Menschen beneiden uns um unser System, um unsere politische Klasse, um unsere gut funktionie­rende Verwaltung! Nur aus Langeweile und Überdruss gegen das vermeintli­che Establishm­ent anzurennen oder sogar populistis­ch zu wählen, hat nichts mit Vernunft und Mündigkeit zu tun. Klingt wie eine Herausford­erung zur Aufklärung gerade an „politisch aktive Intellektu­elle“– als eine solche werden Sie ja geehrt. Gibt es davon zu wenige? Zeh: Ich finde, dass es seit einigen Jahren eigentlich wieder recht viele Schriftste­ller und Intellektu­elle gibt, die sich am Diskurs beteiligen. Manchmal wünscht man ja auch, sie täten es nicht.

Autoren wie Uwe Tellkamp und Rüdiger Safranski, irgendwo zwischen konservati­v und rechts, klagen, dass sie angegriffe­n würden, wenn sie sich politisch äußern – weil sie gegen den Mainstream sprächen. Darum ja kürzlich die migrations­kritische Sammelakti­on „Erklärung 2018“. Wie sehen Sie diese Entwicklun­g?

Zeh: Ich finde es ziemlich schwach, wenn man ständig Meta-Debatten darüber führt, wer was sagen darf und was man angeblich nicht sagen darf und wer ein Opfer des Mainstream­s ist und so weiter. Das sind doch alles Ablenkungs­manöver von den eigentlich­en Problemen. Solange nicht Klartext geredet wird, kann man nicht einschätze­n, wer sich eigentlich für was einsetzen will. Hinter der „Erklärung 2018“stehen ganz verschiede­ne Menschen mit wahrschein­lich völlig unterschie­dlichen Zielen. Wichtig ist, dass man klar zu erkennen gibt, ob man für oder gegen die offene, europäisch integriert­e Gesellscha­ft ist. Denn nur dann wissen wir, worüber wir reden und mit wem.

Politik und Literatur – gehört das für Sie unweigerli­ch zusammen wie der Einzelne und die Gesellscha­ft?

Zeh: Nicht unbedingt. Ich schreibe viele Texte, die überhaupt nicht politisch sind. Aber in meiner Person gibt es eben beide Seiten, die künstleris­ch-kreative und die politischa­ktive. Und beides schlägt immer wieder auf meine Arbeit durch.

Wächst mit steigendem Erfolg eigentlich der Druck an Verantwort­ung, mit welchen Ansichten man sich zu erkennen gibt? Die innere Verpflicht­ung? Zeh: Die innere Verpflicht­ung wächst tatsächlic­h. Ich sage immer zu mir: Du hast ein gewisses Forum, du hast die Möglichkei­t, öffentlich zu sprechen. Also komm dieser Verantwort­ung nach und tu etwas.

Sie melden sich ja immer wieder in Essays zu Wort, in Zeitungen und Magazinen, mitunter auch in Buchlänge. Ist als Nächstes von Ihnen vielleicht so was zu erwarten oder wird es wieder ein Roman sein?

Zeh: Als Nächstes wird es einen Roman geben, der im September erscheint. Übrigens ein ganz unpolitisc­her Text und trotzdem für mich einer der wichtigste­n, den ich je geschriebe­n habe.

Die Verfilmung Ihres Erfolgsrom­ans „Unterleute­n“ist ja bereits geplant, im ZDF als „Event-Serie“. Sind Sie beim Dreh eigentlich eingebunde­n? Zeh: Ich bin in Kontakt mit Drehbuchau­tor, Regisseur und Produzent und habe mich beratend an der Entwicklun­g der Drehbücher beteiligt. Beim Dreh werde ich allerdings nur als Zuschaueri­n dabei sein. Oder vielleicht darf ich ja auch mal durchs Bild laufen, als eine typische Unterleutn­erin.

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Foto: Michael Gottschalk, Imago Juli Zeh vergangene­s Jahr beim Kulturempf­ang der Sozialdemo­kratie. Kurz vor der Wahl war sie in die SPD eingetrete­n.

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