Wie wollen wir leben?
Stadttheater Das Landestheater Tübingen begeistert mit der Utopie des gemeinschaftlichen Bauens. Der Albtraum eines Architekten
Landsberg Wir alle haben Träume und Vorstellungen vom Leben. Dann kommt die Realität. Meistens in Form der anderen Menschen, die auch Träume haben, aber eben andere. Also müssen wir uns arrangieren, Kompromisse eingehen. Wir alle haben Bedürfnisse. Nach Nähe und Geborgenheit. Nach Freiheit und Individualität. Nach Anerkennung und Sinnhaftigkeit. Da sollte es doch einfach sein, einen Weg zum Zusammenleben zu finden. Denkste! Der Mensch ist ein schwieriges soziales Tier.
Das Landestheater Tübingen hat diese Quintessenz in einer wunderbaren Mischung aus Komödie, soziologischer Studie und Kammerspiel auf die Bühne gebracht: „Richtfest“des deutschen Dramatikers, Schriftstellers und Regisseurs Lutz Hübner („Frau Müller muss weg“) unter der Regie von Jan Jochymski. Elf sehr unterschiedliche Menschen beschließen, eine Baugemeinschaft zu bilden und in Toplage in der Stadt ein Haus zu bauen. Das gutbürgerliche, wohlhabende ältere, kinderlose Paar trifft auf die junge, gerade in Gründung befindliche Fa- milie, die unter Geldsorgen leidet. Die einsame Rentnerin auf das künstlerische schwule Paar. Die spießigen Gutmenschen mit halbwüchsiger Tochter auf den ambitionierten Architekten.
Dass das nicht gutgehen kann, ist klar, als alle betont enthusiastisch auf die Baugemeinschaft anstoßen. Jeder hat seine eigenen Träume, die zunächst nur in Wohnungs-Grundrissen deutlich werden. Ein lebendiges Haus soll es werden. Ein Abenteuer, ein bisschen Bullerbü, eine Gemeinschaft, Familienersatz, ein Hafen für alle Träume. Man überlegt, sich frei nach Goethe die „Wahlverwandten“zu nennen. Und ähnlich wie bei Goethe führt der Konflikt zwischen Leidenschaft und Vernunft, zwischen Träumen und Wirklichkeit, zwischen Idealen und Alltag die Hausgemeinschaft ins Chaos. Eine schöne Utopie. Leider gescheitert. „Richtfest“hält der Gesellschaft den Spiegel vor.
Jeder Zuschauer kann sich in Personen wiederfinden. Hin- und hergerissen zwischen befreiendem Lachen, amüsiertem Schmunzeln und bitterer Erkenntnis trifft das Stück immer wieder ins Schwarze. Vom alltäglichen Rassismus über Vorurteile und Bequemlichkeiten bis hin zur maßlosen Spießigkeit behandelt das Stück philosophische Fragen nach Gemeinschaft und Solidarität ebenso wie nach dem Wesen von Raum. „All der Ärger, nur für das Gefühl, nicht alleine zu sein. Lohnt sich das?“, wird am Ende die Tochter fragen.
Also: Muss man um jeden Preis bauen? Ist es eine gute Idee, den vermeintlichen Eigenheimtraum zu verwirklichen und dann mangels Geld und Ideen doch nur eine 0815-Doppelhaushälfte mit Handtuchgarten zu bekommen? Sind wir nicht viel zu eigen, um eine Hausgemeinschaft zu gründen? Wie wollen wir leben? Diese alles entscheidende Frage muss jeder für sich allein beantworten. Fazit: Zusammenleben ist schwer. Alleine sein auch. Gut, wenn man gelegentlich über sich selbst lachen kann.
Zwischen Träumen und Wirklichkeit