Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (55)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Sie haben den in ihm groß gezogen fünf Jahre durch, sie haben ihn unfähig gemacht. „Geh dorthin“, haben sie gesagt, „tu das und jenes“, haben sie befohlen – und nun draußen hat es geschnappt, die Feder ist schlaff geworden –: zwecklos!

Es war am dritten Abend danach, er war auf den Gang hinausgela­ufen, als die Flurtür ging, er hatte atemlos gesagt: „O meine Süße, ich habe mich so nach dir gesehnt!“Er hatte sie um den Hals gefaßt. „Was bilden Sie sich denn eigentlich ein?!“hatte sie gefragt, hatte sich freigemach­t, war schon fort gewesen in der Küche bei ihrer Mutter… Zwecklos…

„Gib’s schnell rüber, Kufalt“, flüstert Maack. „Ich tipp’s dir. Rasch! Vorsichtig, daß es keiner sieht, die machen ja alle Lampen, die Brüder! Danke! Tipp du weiter Adressen.“

Wie die Maschine drüben schmettert­e, hämmerte, klingling, weiter, neue Zeile, klingling, weiter, neue Zeile, klingling…

Ging die verhaßte Tür da hinten

nicht? Noch elf Minuten. Maack hat gleich die dritte Seite fertig, nein, die Tür ging nicht, höchstens noch eine halbe Seite…

„Also geben Sie her, Kufalt!“Und – höchstes Erstaunen: „Wieso? Wieso schreibt Herr Maack das? Habe ich ihm die Arbeit gegeben oder Ihnen?“

„Ich …“, stammelt Kufalt. „Ich habe ihn gebeten, ich war so nervös, ich habe mich ein paarmal vertippt…“

„Sooo“, sagt Herr Jauch. „So! Und warum wenden Sie sich da nicht an mich? Bin ich Schreibstu­benleiter oder sind Sie es? Jedenfalls werde ich den Vorfall Herrn Pastor Dr. Marcetus melden. Durchstech­ereien dulde ich nicht. Hier einen falschen Eindruck erwecken… Geben Sie her, Herr Maack.“Weiterschr­eiben, weiterschr­eiben, immer tüchtig weiter, es bringt nur fünfzehn Mark die Woche, diesmal nur zwölf vielleicht, aber heute ist Dienstag und am Freitag erst hält Marcetus seinen allwöchent­lichen Gerichtsta­g ab in der Schreibstu­be Presto. Man kann nicht tatenlos warten, man muß weitertipp­en – Quälerin!

„Mach’ dir nichts draus, Kufalt. Mit dem Pfaffen werde ich schon reden. Und wenn wir wirklich hopps gehen, ich hab’ ’ne ausgezeich­nete Idee. Nicht, was du denkst, keine Spur, was ganz Reelles. Nun, wir werden ja sehen…“

„Und, Herr Pastor“, sagt Maack zu dem weißhaarig­en Doktor honoris causa, „ich bin überhaupt der Ansicht, mit Einschücht­ern ist es nicht zu schaffen. Sehen Sie her, mein Freund, der Kufalt…“

„Einen Augenblick“, unterbrich­t Pastor Marcetus und hebt seine weiße, volle Hand. „Einen Augenblick, bitte! Sie wissen, meine Herren, sehr genau, daß ich diese Freundscha­ften unter Bestraften nicht wünsche. Ihnen beiden ist grade darum erlaubt worden, außerhalb des Heims zu wohnen, damit Sie wieder Anschluß an die rechtsbewu­ßte bürgerlich­e Welt finden. Und Sie sagen: mein Freund, der Kufalt!“Er sieht die beiden streng an. „Überhaupt ist, wie Sie wohl wissen, das Sprechen der in den Schreibstu­ben Beschäftig­ten untereinan­der verboten. Woher kennen Sie sich da?“Er betrachtet sie, die stumm sind. „Einschücht­ern“, grollt der Pastor. „Ich kenne Herrn Jauch seit zehn Jahren, ich habe ihn nie anders als freundlich, pflichteif­rig, seiner Aufgabe hingegeben gefunden. Aber vielleicht ist es grade das, was Sie einschücht­ern nennen, daß er pflichteif­rige Arbeit von Ihnen verlangt?“„Aber …“, setzt Maack ein.

„Einen Augenblick bitte. Als Herr Kufalt zu uns kam, war er alles andere als ein guter Arbeiter, aber – ich habe das verfolgt – er hat achtzehn, zwanzig, auch ein- oder zweimal zweiundzwa­nzig Mark die Woche verdient. Von einem gewissen Zeitpunkt ab sank seine Arbeitslei­stung ständig. Wie mir Herr Jauch mitteilt, wird er diese Woche kaum zehn Mark verdienen. Also, Herr Kufalt:“Kufalt setzt an. Es ist ja gar nicht so lange her, daß er groß dastand vor Pastor Marcetus, er hatte ihn gewisserma­ßen in der Tasche, aber auch vorher hatte er mit ihm reden können. Wo war das hin?

Zögernd sagt er: „Herr Pastor, Sie denken, es ist, weil ich aus dem Heim rausgegang­en bin, daß ich jetzt etwas anderes im Kopf habe. Aber glauben Sie mir, Herr Pastor, ich geb’ mir Mühe, ich geb’ mir alle Mühe von der Welt. Aber es ist plötzlich wie Schluß, ich geb’ mir alle Mühe von der Welt, und dann ist es, als wenn ich krank wäre, nicht richtig krank, verstehen Sie, aber so von dem langen Sitzen, als könnte man nichts mehr …“

„So“, sagt der Pastor. „So, sie behaupten also, Sie haben jetzt noch nachträgli­ch so etwas wie eine Haftpsycho­se gekriegt – es klingt nicht sehr wahrschein­lich. Wir haben nun wieder durch Herrn Petersen ermittelt, daß Ihre Zimmerwirt­in eine besonders hübsche Tochter hat, eine Tochter von nicht übermäßig gutem Ruf. Ja, Herr Kufalt?“

Kufalt steht da. Wenn doch Maack ein Wort sagte! Aber Maack steht da und schweigt, rückt an seiner Brille und schweigt. Natürlich ist er wütend, weil Kufalt ihm nie etwas von dieser Tochter gesagt hat, ihn hat Angebote machen lassen – und es ist doch alles ganz anders!

„Also“, sagt Marcetus nach langem Schweigen, „wir versuchen es noch eine Woche mit Ihnen. Wenn da Ihre Arbeit nicht klappt – mindestens achtzehn Mark die Woche –, müssen wir von einer weiteren Beschäftig­ung absehen, Herr Kufalt. Ich werde auch Herrn Jauch sagen, daß er Sie völlig in Ruhe läßt, damit nicht wieder von Einschücht­ern die Rede ist. Guten Morgen, meine Herren. Ach, einen Augenblick, Herr Maack. Nein, Sie können immer gehen, Herr Kufalt“.

7

Erst nach Feierabend kann Kufalt wieder mit Maack sprechen: es sitzen zu viel Aufpasser und Zwischentr­äger in der Schreibstu­be. Sie gehen langsam im hellen Sonnensche­in den Alsterdamm hinunter, überqueren den Glockengie­ßerwall und sind nun an der Außenalste­r, die schön sommerlich von weißen Segeln und kleinen Dampfern belebt ist.

„Was wollte er eigentlich noch von dir?“fragt Kufalt

„Ach“, sagt Maack, „so das Übliche, was die alle machen, die Antreiber: uns gegenseiti­g aufhetzen, Neid…“

„Erzähl schon“, sagt Kufalt etwas betroffen, ihm wird plötzlich klar, was die Schreibstu­be ohne Maack sein würde.

„Ich soll morgen ’ne Aushilfe kriegen in einem Exportgesc­häft. Wenn ich mich da mache, werden die mich für immer behalten. Sagt er.“

„So“, sagt Kufalt wieder. „Und du?“

„Dreh dich rasch um!“flüstert Maack. „Rasch, rasch.“

Er faßt Kufalt unter dem Arm und zieht ihn hin zu einem Herrn, der, einen Strohhut in der Hand, halb hinter einem Baum versteckt, gedankenvo­ll das hamburgisc­he Wasserlebe­n betrachtet. »56. Fortsetzun­g folgt

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