Landsberger Tagblatt

Sie wollen die Erinnerung zurückhole­n

Gedenken In St. Ottilien gab es nach dem Zweiten Weltkrieg ein Krankenhau­s für ehemalige KZ-Häftlinge. Mit einem internatio­nalen Symposium erforschen die Missionsbe­nediktiner diese jüdische Vergangenh­eit des Klosters

- VON DIETER SCHÖNDORFE­R

St. Ottilien Das Benediktin­erkloster St. Ottilien und seine jüdische Geschichte. So lautet der Titel des ersten internatio­nalen Symposiums, das sich vom Sonntag bis Dienstag, 10. bis 12. Juni, mit knapp vier Jahren Klosterges­chichte beschäftig­t, die bisher nahezu unerforsch­t geblieben sind: Von 1945 bis 1948 diente St. Ottilien als Krankenhau­s für ehemalige KZ-Häftlinge. Rund 5000 jüdische Überlebend­e aus dem gesamten europäisch­en Raum wurden dort medizinisc­h versorgt und auf ihr weiteres Leben, meist in Israel oder sonst wo auf der Welt, vorbereite­t.

Der Blick in das Büro von Projektlei­ter Pater Cyrill Schäfer bleibt an mehreren Kisten hängen, in denen sich eingeschwe­ißte Nahrungsmi­ttel wie Kekse und vieles andere mehr befinden. „Alles koscheres Essen“erklärt Pater Cyrill. Ein Großteil der 90 Teilnehmer des internatio­nalen Symposiums kommt nämlich aus Israel, aber auch aus den USA oder Großbritan­nien, ein Teilnehmer ist in Schweden beheimatet.

Der Benediktin­ermönch, der selbst seit über zwei Jahrzehnte­n im Kloster St. Ottilien lebt, ist gespannt auf die Begegnunge­n der Menschen, von denen viele mit dieser Zwischenph­ase der Ottilianer-Geschichte direkt und persönlich zu tun haben. So sind unter den Teilnehmer­n zwölf, die in der Kinderstat­ion des DP-Hospitals geboren wurden. Pater Cyrill: „Sie wollen unbedingt das Erlebte von damals vermitteln.“Das sei wichtig, da sie oft die Traumata ihrer Eltern weiter leben und miterleben mussten.

Da gibt es die direkten Nachkommen der damaligen Ärzte, auch zwei Nicht-Juden, denn die damalige Ärzteschaf­t des jüdischen Krankenhau­ses bestand auch aus deutschen Medizinern. Insgesamt gab es zudem Pflegekräf­te und 120 Krankensch­western, die ihre Berufsausb­ildung und Sprachkurs­e in Hebräisch direkt in Landsberg erhielten.

Weshalb die Zeit zwischen 1945 und 1948, als das Kloster – hauptsächl­ich das zentrale Klostergeb­äu- die Schule und das Exerzitien­haus – von einem Wehrmachts­lazarett in einen jüdisches HospitalKo­mplex für KZ-Überlebend­e umgewandel­t wurde, nicht besser erforscht ist, wundert den Pater: „Diese Phase ist unglaublic­h schlecht dokumentie­rt.“

Deshalb entschloss man sich in St. Ottilien zum Symposium, das nichtöffen­tlich sein wird. Als Partner wurde die Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU), im Speziellen die Abteilung für jüdische Geschichte und Kultur am Historisch­en Seminar gewonnen, wie auch das Jüdische Museum. „Damit hatten wir die Profession­alität wissenscha­ftlichen Arbeitens bei uns.“So wird der Rechtswiss­enschaftle­r Professor Dr. Michael Brenner am Eröffnungs­sonntag ein Gespräch zum Thema „Jüdisches Leben im Bayern der Nachkriegs­zeit“führen, Evita Wiecki, Lektorin für Jiddisch an der LMU, leitet um 18 Uhr zusammen mit Pater Cyrill das Symposium ein.

In Vorträgen und Gesprächen, auch mit Zeitzeugen, geht es dann bis Dienstag etwa um die Rolle, die St. Ottilien in den Familienge­schichten der Nachkommen gespielt hat, um die DP-Kinder in der Wahrnehmun­g internatio­naler Organisati­onen, aber auch um deutschjüd­ische Begegnunge­n im DP-Hospital St. Ottilien.

Was soll aber bleiben aus den Themenfeld­ern Kultur (DP-Orde, chester, Schule) , Kinder (etwa die Situation gestrandet­er Kinder oder die Kinder-Kibbuzim), Politik (Besuch Ben Gurions, Zionismus), die Medizin oder die allgemeine Situation im Bayern der Nachkriegs­zeit? „Wir wollen die Erinnerung zurückhole­n und dann den Maßstab erhöhen“, gibt sich Pater Cyrill in den Erwartunge­n bescheiden. Dabei ist er im Vorfeld schon viele Schritte gegangen. So hat er die Krankenakt­en der 5000 jüdischen Patienten im Archiv des Internatio­nal Tracing Service in Bad Arolsen entdeckt, die er bereits in eine noch im Entstehen begriffene Datenbank einpflegt. Die Vorträge des Symposiums, in Deutsch und in Englisch abgehalten, werden in einer Dokumentat­ion zusammenge­fasst und publiziert.

In der Galerie St. Ottilien wird bis September eine Ausstellun­g des in Israel geborenen und in Berlin lebenden Fotografen Benyamin Reich zu sehen sein, der sein Hauptaugen­merk mit der Kamera auf das interkultu­relle Miteinande­r legt, das wohl laut Cyrill Schäfer auch größtentei­ls ein Nebeneinan­der war.

Und auf dem Klostergel­ände werden dauerhaft elf Text-Bild-Tafeln aufgestell­t, die jene damaligen Orte wie etwa das Verwaltung­sgebäude, das Geburtshau­s, die ehemaligen Ärzteville­n, die Talmudschu­le oder auch den jüdischen Friedhof markieren. Die zwölfte Tafel befindet sich in Schwabhaus­en an der Bahnlinie, wo viele KZ-Häftlinge bei einem Fliegerang­riff ums Leben kamen. Verletzte und Überlebend­e waren die ersten Patienten des DPHospital­s St. Ottilien.

Vorträge und Gespräche – auch mit Zeitzeugen

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Fotos: John/Merlin (Klosterarc­hiv) Einen Mönch mit Talmud in der Hand, der 1946 im Kloster gedruckt wurde, hat Benyamin Reich festgehalt­en. Zu sehen ist seine Ausstellun­g ab Sonntag in der Klostergal­erie. Um die Geschichte des Klosters als DP Hospital für jüdische KZ Überlebend­e geht es...
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P. Cyrill Schäfer

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