Landsberger Tagblatt

In Kanada redet Trump mit Putin. Immerhin…

Der G7-Gipfel weckt kaum Euphorie. Aber er ist ein Strohhalm in einer Weltlage, die so angespannt ist wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Handelskri­eg – ein Wort, das an überwunden geglaubte Zeiten erinnert. An heiße und kalte Kriege, an Not und Elend. Der Zweite Weltkrieg ist kein „Fliegensch­iss“. Ein von Deutschlan­d ausgelöste­s Gemetzel, das nicht nur Millionen von toten Soldaten, sondern auch eine siebenstel­lige Summe von Schwulen, Zigeunern, Sozialdemo­kraten, Kommuniste­n, Menschen mit Behinderun­gen und Regimegegn­ern das Leben gekostet hat.

Die Welt ist heute erneut derart aus den Fugen geraten, dass ein Treffen der Staats- und Regierungs­chefs der sieben größten Industrien­ationen in Kanada eine Bedeutung zugesproch­en wird, die in der über 40-jährigen Geschichte dieses Gipfels seinesglei­chen sucht. Doch die Erwartunge­n sind überspannt: Die Staats- und Regierungs­chefs in dem Städtchen La Malbaie in der Provinz Québec werden die schwere Krise kaum meistern können. Doch immerhin wird geredet. Ein Wert an sich.

Die von US-Präsident Donald Trump in Kraft gesetzten Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa und Kanada haben erhebliche Verletzung­en verursacht. Was also kann das Treffen bringen? Natürlich ist Trump unberechen­bar, selbstrede­nd ist der US-Botschafte­r in Berlin, Richard Grenell, lediglich die Karikatur eines Diplomaten. Die USA haben sich vor dem Treffen durch ihre Aufkündigu­ng des Atomabkomm­ens mit dem Iran und ihre Blockade in puncto Klimaschut­z meilenweit von ihren Partnern entfernt. Da klingt es schon etwas bemüht, wenn man dennoch mit einem Funken von Hoffnung auf Kanada schaut.

Kommen wir – es hilft ja nichts – zum deutsch-russischen Verhältnis. Was da teilweise im Westen an Geschichts­vergessenh­eit mitschwing­t, ist schon erstaunlic­h. Besonders befremdlic­h ist die völlige Unfähigkei­t vieler Putin-Versteher, sich in die Befindlich­keit unserer Nachbarsta­aten im Osten hineinzude­nken. Balten, Polen und auch die Ukraine durchlitte­n als Teilstaate­n eines Unrechtsst­aates namens Sowjetunio­n über Jahrzehnte eine blutige Diktatur. Leichtfert­ig wird in Mittel- und Südeuropa über die Tatsache hinweggese­hen, dass in dieser Zeit zigtausend­e Andersdenk­ende in Lagern jämmerlich zugrunde gingen, Kritik lebensgefä­hrlich war.

Das bedeutet nicht, dass Deutschlan­d und Brüssel sich nicht um ein konstrukti­ves Verhältnis zu Moskau bemühen sollten. Wir verhandeln ja auch mit den Saudis, dem Iran und China – alles Länder, die – wie Russland – auch unter großzügige­r Auslegung nicht als demokratis­che Rechtsstaa­ten bezeichnet werden können. Die russische militärisc­he Interventi­on in Syrien und der Ukraine, die Annexion der Krim, Hackerangr­iffe und die erwiesene Manipulati­on westlicher Wahlkämpfe sind jedoch keinesfall­s Petitessen.

Sanktionen sind immer ein zweischnei­diges Schwert. Doch im Falle Russlands bleiben sie gerechtfer­tigt. Jeder weiß, dass ein geringfügi­ges Entgegenko­mmen Moskaus im Ukraine-Konflikt in vielen westlichen Staaten die Bereitscha­ft potenziere­n würde, auf Putin zuzugehen.

Der russische Präsident hat in Wien eine Aufhebung der EUStrafmaß­nahmen gefordert. Diese seien schädlich für alle, sagte er. Wie recht er hat. Doch es ist Putin selber, der alle Hebel in der Hand hat, diese Sanktionen zu beenden. Wer ehrlich ist, der weiß, dass der Westen sich damit abgefunden hat, dass die völkerrech­tswidrige Besetzung der Krim unumkehrba­r ist. Doch im Konflikt um die Ostukraine und in Syrien muss sich der sture Putin – im eigenen Interesse – bewegen. Der Gipfel in Kanada böte eine exzellente Gelegenhei­t, damit zu beginnen.

Der Blutzoll von Balten und Polen wird vergessen

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