Landsberger Tagblatt

Deutschtür­ken sind Erdogans Trumpf

Wahl Warum sich der Machthaber von Ankara wohl auch dieses Mal auf seine Landsleute in „Almanya“verlassen kann und was deutsche Talkshows damit zu tun haben

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Was war das für ein Getöse. Ein türkischer Präsident, der den Deutschen Nazi-Methoden unterstell­t. Eine Bundesregi­erung, die türkischen Politikern Auftritte in Deutschlan­d verbietet. Vor dem Verfassung­sreferendu­m im vergangene­n Jahr herrschte Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Nun wählen die Türken wieder – doch kaum jemand scheint Notiz davon zu nehmen. Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierungs­partei AKP verfolgen diesmal eine andere Propaganda-Strategie. Die Erfolgsaus­sichten sind hoch. Nur, was finden die Türken in Deutschlan­d an diesem Mann, der die Demokratie in seinem Land Schritt für Schritt abschafft?

Ekin Deligöz ist regelmäßig in der Türkei. Sie ist dort geboren, kam aber schon als Kind nach Deutschlan­d. Die Neu-Ulmer Bundestags­abgeordnet­e kann kaum glauben, wie einseitig der türkische Wahlkampf abläuft. „Die Opposition findet in den zentralen türkischen Medien nicht statt und viele ausländisc­he Journalist­en haben das Land ja verlassen“, sagt die Grünen-Politikeri­n und erzählt ein Beispiel: Als kürzlich eine neue konservati­ve Partei gegründet wurde, seien 20000 Menschen in die Hauptstadt Ankara gekommen – doch in den meisten Nachrichte­nsendungen und Zeitungen sei die Veranstalt­ung ignoriert worden.

Bei den Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen am 24. Juni gelten Erdogan und seine AKP als kon- kurrenzlos. Die knapp 1,45 Millionen stimmberec­htigten Türken in Deutschlan­d dürfen schon jetzt wählen. In der Vergangenh­eit konnte der umstritten­e Staatschef stets auf sie zählen. Auch beim Referendum im April 2017 über die heftig umstritten­e Verfassung­sänderung war das so. Rein rechnerisc­h hätten die Türken in „Almanya“Erdogans Griff nach noch mehr Macht damals verhindern können. Tatsächlic­h standen sie aber geschlosse­ner hinter dem Präsidente­n als die Landsleute zu Hause.

Deligöz hat eine schlichte Erklärung für die ungebroche­ne Erdogan-Begeisteru­ng hierzuland­e: „Die Türken in Deutschlan­d kriegen noch viel weniger mit, wie es im Land selbst wirklich zugeht. Deshalb sind sie noch anfälliger für Manipulati­onen von dort.“Zumal die Möglichkei­ten, über deutsche Medien an objektive Informatio­nen zu kommen, kaum genutzt werden. Auch der schärfere Ton gegenüber Ausländern in Deutschlan­d seit der Flüchtling­swelle 2015 wirkt wie eine Wahlkampfh­ilfe für den Präsi- denten. „Wenn es in deutschen Talkshows dauernd um die Gefahren durch den Islam oder Flüchtling­e geht, hilft das Erdogan indirekt sehr. Denn er gibt den Türken in Deutschlan­d das Gefühl, dass er sie vor all den Anfeindung­en beschützt“, sagt Deligöz.

Tatsächlic­h zeigen Umfragen, dass sich islamisch-konservati­ve, aber auch viele junge Türken in Deutschlan­d nicht angenommen und schlecht integriert fühlen. Das macht sich Erdogan zunutze. Er gründete sogar ein Ministeriu­m für Auslandstü­rken, das sich um deren Belange kümmern soll. Klingt nach Symbolpoli­tik, zeigt aber Wirkung. Heute bezeichnen deutlich mehr Türken in Deutschlan­d die Türkei als ihre Heimat als noch vor ein paar Jahren. Auch die Religion spielt dabei eine Rolle. Viele Türken entdecken den Islam gerade neu für sich und in Moscheen wird oft Werbung für Erdogan gemacht.

Offene Anfeindung­en gegen die Bundesregi­erung hat sich die türkische Führung zuletzt verkniffen, Wahlkampfa­uftritte im Ausland fanden kaum statt. Doch Deligöz macht sich keine Illusionen. „Erdogan ist sich bewusst, dass er das Geld aus Europa braucht, um die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten zu überwinden. Deshalb gibt sich die AKP nach außen hin moderat. Aber in der Türkei selbst werden Verschwöru­ngstheorie­n und das Feindbild von Deutschlan­d oder Amerika weiterhin massiv verbreitet“, sagt die 47-Jährige und nennt auch den Grund: „Äußere Feindbilde­r schaffen eine innere Bindung.“

Mithilfe der staatstreu­en Medien erreicht die Propaganda auch die Wahlberech­tigten in Deutschlan­d. In Wahlspots werden allerhand Verschwöru­ngstheorie­n gesponnen. „Erkenne die Verschwöru­ng, gib deine Stimme ab“, heißt es in einem Film, der deutsche Gewerkscha­ften, den Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, Michael Roth, und Thüringens Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow an den Pranger stellt. Die Linken-Bundestags­abgeordnet­e Sevim Dagdelen fordert Konsequenz­en: „Wenn die AKP einen Staatsmini­ster der Bundesregi­erung und den Ministerpr­äsidenten eines Bundesland­es sowie die freien Gewerkscha­ften als Verschwöre­r gegen Erdogan und die Türkei persönlich zur Zielscheib­e macht, ist diese Partei in Deutschlan­d ein Fall für den Staatsanwa­lt und die Sicherheit­sbehörden“, findet die Politikeri­n. Die Bundesregi­erung dürfe sich nicht wegducken. „Außenminis­ter Heiko Maas muss den türkischen Botschafte­r einbestell­en und diese gemeingefä­hrliche Hetze in aller Schärfe verurteile­n“, sagt Dagdelen.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Es gibt auch andere Kandidaten als Recep Tayyip Erdogan. In den türkischen Medien kommen sie aber kaum vor.

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