Landsberger Tagblatt

Kein Segen aus Rom für das gemeinsame Abendmahl

Analyse Warum Papst Franziskus in der Diskussion um die Kommunion für Protestant­en einen Rückzieher macht

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Wenn man Papst Franziskus mal wieder nicht genau versteht, hilft es, in seiner Programmsc­hrift Evangelii Gaudium aus dem Jahr 2013 zu blättern. Dort steht ein Satz, der einige Mysterien des Pontifikat­s erklären kann. „Die Zeit ist mehr wert als der Raum“, lautet das vielleicht wichtigste Credo von Jorge Bergoglio. Diese Überzeugun­g kann auch Licht in die aktuellen Wirren in der Frage des Kommunions­empfangs für protestant­ische Ehepartner in der katholisch­en Kirche bringen.

Im Frühjahr erließ die Deutsche Bischofsko­nferenz mit Dreivierte­lmehrheit eine Handreichu­ng, der zufolge Protestant­en im Einzelfall die Eucharisti­e mit den Katholiken feiern können. In der Praxis ist das längst der Fall. Die Neuregelun­g sollte ein Gestus der ökumenisch­en Verbundenh­eit und des theologisc­hen Fortschrit­ts sein. Liest man Evangelii Gaudium und ruft sich einige Aussagen des Papstes zur Ökumene in Erinnerung, lagen die deutschen Bischöfe unter Führung des Vorsitzend­en Reinhard Kardinal Marx voll auf der päpstliche­n Linie. Franziskus will Veränderun­gs-Prozesse anstoßen, nicht Machtposit­ionen festigen. Das ist der tiefere Sinn des Satzes von der Höherwerti­gkeit der Zeit gegenüber dem Raum.

In der Franziskus-Kirche gibt es aber auch noch sehr viele Kleriker, denen der Raum mehr wert ist als die Zeit, die also keine Bewegung wollen. Deshalb protestier­ten sieben Diözesanbi­schöfe im Vatikan gegen die Handreichu­ng, unter ihnen der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Aus ihrer Sicht muss ein Protestant eigentlich erst Katholik werden, wenn er an der Eucharisti­e teilnehmen will.

Ganz unrecht haben sie nicht, denn wer sich eiserne Regeln gibt und von absoluter Wahrheit spricht, der muss diese Prinzipien auch berücksich­tigen, will er nicht beliebig werden. Das ist das Kreuz verkopfter Theologie gegenüber gelebter Spirituali­tät. Auch deswegen ist die Kirche als Institutio­n vielen Menschen fremd geworden. Für andere besteht gerade in den Regeln, also im fest umrissenen Raum, der Sinn.

Zunächst verfügte der Papst, ganz im Einklang mit seinen Überzeugun­gen, die deutschen Bischöfe sollten sich selbst auf eine einvernehm­liche Lösung verständig­en. Das war typisch Franziskus, der den katholisch­en Hirten eigentlich mehr Eigenveran­twortung zugestehen will. Dann schlug das System zurück.

Die vom spanischen Jesuiten Luis Ladaria geleitete Glaubensko­ngregation, aber auch andere Stellen im Vatikan, warnten den Papst vor den weitreiche­nden Konsequenz­en der Handreichu­ng. Die Eucharisti­e und das, was bislang unter katholisch­em Glauben verstanden wird, würden sich durch das päpstliche Plazet ändern, argumentie­rten die Dogmatiker. Nun hatte Franziskus zwei Optionen. Er hätte sich über seinen eigenen Apparat und die begründete­n

Die Zeit für große Schritte ist noch nicht reif

Bedenken hinwegsetz­en oder Marx und seine Zweidritte­lmehrheit vor den Kopf stoßen können.

Der Papst entschied sich für die zweite Option und wirkt nun in seinen Öffnungsbe­mühungen weniger glaubwürdi­g. Doch Prozesse einzuleite­n, bedeutet nicht, sie übers Knie zu brechen und weiteren Zündstoff in die Kirche einzuspeis­en. Wenn die Zeit für große Schritte noch nicht reif ist, kann Franziskus warten. Dass dies die Geduld vieler Katholiken strapazier­t, steht auf einem anderen Blatt.

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Foto: Vennenbern­d, dpa Die Deutsche Bischofsko­nferenz segnete die Praxis, dass Protestant­en oft die Eucha ristie mit den Katholiken feiern können, ab, der Papst nicht.

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