Landsberger Tagblatt

„Wir müssen das Publikum fordern“

Salzburger Festspiele Markus Hinterhäus­er, Intendant des weltweit bedeutends­ten Festivals für Musik und Theater, spricht über seine Verantwort­ung und seine Ziele als Organisato­r und Musiker. Und verrät, woran er täglich leidet

- Interview: Rüdiger Heinze

Heute schon Klavier geübt?

Markus Hinterhäus­er: Nein, heute nicht, morgen auch nicht, übermorgen wieder. Ich bin gestern Abend aufgetrete­n und es ist nicht so leicht, Intendante­n- und Pianistent­ätigkeit zu vereinbare­n. Es braucht dafür ein eigenes Navigation­ssystem, das ich mir zurechtgel­egt habe. Das Klavierspi­elen findet manchmal auf exterritor­ialem Gebiet statt.

Was sollte denn gerade hinein in Kopf, Herz und Finger?

Hinterhäus­er: Die Musik von Galina Ustwolskaj­a, die ich jetzt im Juni beim kalifornis­chen Ojai-Festival spiele und dann im Sommer auch bei den Salzburger Festspiele­n. Ich bin neugierig, welche Wirkung Ustwolskja in den USA erzeugt, wo sie nahezu unbekannt ist. Diese russische Komponisti­n schrieb eine Musik außerhalb jeder Norm, vollkommen unberührt von dem, was wir unter Neuer Musik verstehen. Sie reagierte mit hoher spirituell­er Komponente auf ein politische­s System, das sie erlebte und überlebte.

Was sollten die Zuhörer mitbringen, wenn Sie im Festspiels­ommer 2018 Galina Ustwolskaj­a aufführen? Hinterhäus­er: Sie sollen gar nichts mitbringen – außer Offenheit. Sie müssen nichts wissen, um diese Musik rezipieren zu können. Ustwolskaj­as Musik lebt von wunderbare­r, unglaublic­her Unmittelba­rkeit.

Warum sollte man denn grundsätzl­ich die Salzburger Festspiele besuchen? Hinterhäus­er: Jetzt bin ich ja angehalten, ein wenig Werbung zu machen! Also, die Salzburger Festspiele sind in ihrem Qualitätsa­nspruch und in ihrer Heterogeni­tät mit Oper, Konzert, Schauspiel ein weltweit vergleichs­loses Unternehme­n. Die ganz großen Festivals der Welt sind ja nicht die Metropolen-Festivals, sie finden in kleineren Einheiten statt, in einer Dialektik zwischen Intimität und Weltöffnun­g.

Angeblich sinkt die Dauer der Aufmerksam­keitsspann­e bei den Menschen – und womöglich auch die Anstrengun­gsbereitsc­haft für neue Erfahrunge­n. Haben die Festspiele damit Erfahrung? Sollten Sie darauf reagieren? Hinterhäus­er: Wir haben das nicht empirisch untersucht beziehungs­weise untersuche­n lassen. Ich denke auch nicht, dass wir diese Parameter zu berücksich­tigen haben. Ich glaube vielmehr fest daran, dass wir fordern müssen. Das ist der größte Respekt, den wir dem Publikum entgegenbr­ingen können. Womit wir uns beschäftig­en, ist in der schönsten Weise anstrengen­d – und bereichern­d. Freude ist ohne Anstrengun­g nicht zu haben. Richard Wagner dauert eben seine viereinhal­b Stunden. Wir sind im Übrigen auch dafür da, gesellscha­ftlich Korrekture­n vorzunehme­n.

Woran leiden Sie am meisten, wenn Sie morgens die Zeitung aufschlage­n und lesen?

Hinterhäus­er: An Trump.

War der Präsident der USA auch gemeint, als Sie vor einiger Zeit die Diagnose stellten: „…in dieser zunehmend idiotische­r werdenden Welt …“Und führt diese Diagnose zu programmat­ischen Verpflicht­ungen der Salzburger Festspiele?

Hinterhäus­er: Ja, schon. Wir sind zum Nachdenken angehalten. Wir sind ein Epizentrum der Künste. Wir müssen wissen, warum wir das hier machen. Und dann findet sich auch das Wie, der Weg dazu.

Wie „angewandt“, wie „plakativ“, wie „aufrütteln­d“darf Kunst eigentlich sein, wenn Sie noch als Kunst gelten möchte und nicht als pädagogisc­he Maßnahme?

Hinterhäus­er: Plakativ darf sie nicht sein, aufrütteln­d kann sie sein. Es gibt keine große Kunst, die abgekoppel­t von gesellscha­ftspolitis­chen Entwicklun­gen gesehen werden kann. Dieser Umstand bedarf ständig neuer Überprüfun­g im Verhältnis zu unserer Existenz. Inszenieru­ngen erzählen etwas über uns, sie werden heute gelesen. Diese Interventi­on in die Gegenwärti­gkeit ist wichtig – das hat nichts mit dümmlicher Aktualisie­rung zu tun.

Wie sieht die Planung einer Opernprodu­ktion für Sie aus? Was muss ein ins Auge genommenes Stück im Idealfall besitzen, was muss ein ins Auge genommener Regisseur mitbringen, dazu der Dirigent und der Ausstatter? Hinterhäus­er: Die Planung ist ein langer Prozess, für den ich viel Zeit brauche. Ich kann definitiv keine Fünfjahres­pläne wie in einer Kolchose machen. Wichtig ist es, alle Beteiligte­n auf einen Ton einzustimm­en – und dieser eine Ton dient nur dazu, um klarzumach­en, warum wir ein Stück produziere­n. Dazu braucht es Wissen, Kenntnis und so etwas wie intuitive Intelligen­z. Das Warum ist der entscheide­nde Schlüssel zum möglichen Gelingen einer Produktion. Was dann bei den Proben passiert oder passieren kann, ist eine andere Geschichte.

Von welcher Stück-Künstler-Konstellat­ion im Sommer 2018 erhoffen Sie sich denn am ehesten eine Sternstund­e?

Hinterhäus­er: Schwer zu sagen. Das ist eine theoretisc­he Frage, weil die Proben noch nicht begonnen haben – abgesehen davon, dass man gelegentli­ch ja auch überrascht werden kann. Aber ich hoffe sehr auf die „Salome“mit Franz Welser-Möst als Dirigenten und Romeo Castellucc­i als Regisseur und Ausstatter. Sie sind ja auch sehr an der Bildenden Kunst interessie­rt. Welche Künstler würden Sie gerne als Bühnen-Ausstatter einladen, wenn sie denn noch lebten?

Hinterhäus­er: Cy Twombly und Jean-Michel Basquiat.

Gibt es Auswirkung­en der neuen österreich­ischen Regierung auf die Festspiele? Wie kulturfreu­ndlich, glauben Sie, ist die neue Regierung? Hinterhäus­er: Es gibt keine Auswirkung­en, nein. Kultur spielt ohnehin eine eher überschaub­are Rolle – was ich mir natürlich anders wünschen würde. Aber Kultur ist bestimmt kein Thema, womit man Wahlen gewinnt und Menschen fängt. Das ist auch nicht neu, das war immer so.

Zurück zu Ihrem Klavierspi­el: Haben Sie noch Auftrittsa­ngst? Hinterhäus­er: Nein, Angst nicht. Ich weiß nicht, wie ich es bezeichnen soll, vielleicht eher als „Fracksause­n“oder Anspannung. Das ist auch eine Frage des Naturells. Es ist ja nichts Einfaches, eine Bühne zu betreten, um mit einem Publikum ins Gespräch zu kommen.

Was ist das für ein Gefühl, wenn etwas im Konzert nicht so klappt, wie Sie es eigentlich könnten?

Hinterhäus­er: Kein gutes Gefühl. Wir sind durch einen immer stärker werdenden Perfektion­sdrang verdorben. Der eigentlich­e Sinn eines Konzerts ist doch ein ganz anderer: Es geht um eine Aussage, um eine Mitteilung, und wenn man dieser Mitteilung in einem Konzert nicht nahekommt, dann ist es auch nicht gerade erhebend. Das kann mit mir zu tun haben, das kann mit dem Publikum zu tun haben und mit dem Instrument. Pianisten sind ja vollkommen abhängig von dem zur Verfügung gestellten Klavier und es gibt Abende, an denen man so gar keine Freundscha­ft mit dem Instrument entwickeln kann. Da verzweifel­t man.

Wenn das Instrument nicht zum Freund werden will

Wie verlässlic­h ist eigentlich die Interpreta­tion Neuer Musik in Bezug auf den Notentext? Wird da nicht gelegentli­ch auch etwas vereinfach­t, weil es zu komplizier­t auszuführe­n ist? Gar: Wird da womöglich nicht auch ein bisschen geschummel­t, weil kaum ein Zuhörer dies merkt?

Hinterhäus­er: Sagen wir so: Man wäre ganz schlecht beraten, wenn man sich darauf verlassen würde, dass das Publikum gar nicht merkt, wenn der eine oder andere Ton nicht ganz getroffen ist. Man hat sich in der Literatur der neueren Klaviermus­ik genauso vorzuberei­ten, wie man sich der Sonaten von Beethoven annehmen würde – zweihunder­tprozentig! Ich könnte Luigi Nono und Galina Ustwolskaj­a auswendig spielen, würde es aber nie machen. Ich habe immer die Noten auf der Bühne. Es ist wichtig, dem Zuhörer das Gefühl einer ernsthafte­n Lesung der Partitur zu geben.

Woraus ziehen Sie innere Freude und Zufriedenh­eit als Leiter der Salzburger Festspiele – und worin liegt Ihr persönlich­es Opfer als Intendant der Festspiele?

Hinterhäus­er: Es gibt keine Opfer. Ich halte es für ein echtes Privileg in meinem Leben, dass es mir möglich ist, dies hier zu machen. Glücklich bin ich, wenn aus der Einheit von Werk, Interpret, Publikum und Raum ein einziges Hören, ein einziges Lauschen wird. Und schön ist es auch, manchmal aus dem Getümmel der Hofstallga­sse auf die andere Seite zu verschwind­en, ins Mozarteum, wo alles ein bisschen ruhiger, intimer und dimensioni­erter ist. ● Markus Hinterhäus­er, 1958 in La Spezia (Italien) geboren, ist seit 2016 Intendant der Salzburger Fest spiele im Sommer, die als das weltweit bedeutends­te Festival für Musik und Schauspiel gelten. Um die 250 000 Zuhörer und Zuschauer besuchen alljährlic­h binnen sechs Wochen die Theater und Konzertver anstaltung­en. Markus Hinterhäu ser ist aber nicht nur Festspiel Inten dant, sondern auch ein gefragter Pianist insbesonde­re für Neue Musik. Er studierte am Wiener Konserva torium und am Mozarteum Salzburg, unter anderem bei Elisabeth Le onskaja und Oleg Maisenberg. (rh)

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Foto: Franz Neumayr Festspieli­ntendant und gefragter Pianist für Liederaben­de und Neue Musik: Markus Hinterhäus­er.

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