Landsberger Tagblatt

Auf einmal war nur noch Musik

Kammermusi­k Tosender Applaus für das Münchner Streichqua­rtett im Bibliothek­ssaal

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So ganz sicher war sich Veranstalt­er Franz Lichtenste­rn mit dem letzten Konzert der Saison in der Reihe „Kammermusi­k im Bibliothek­ssaal“nicht. Denn es war kein leicht bekömmlich­es Programm zum Abschluss der Pfingstfer­ien, sondern „schwere Kost“, die er dem Publikum unter dem Titel „Requiem“am Sonntagabe­nd offerierte. „Ich hoffe, Sie wagen es, diese Musik zu hören“, hatte er im vorab verschickt­en Rundbrief seine Zuhörer ermuntert, sich auf „diese doch sehr extreme Programmzu­sammenstel­lung“einzulasse­n. Mit Erfolg. Das Konzert war ausverkauf­t.

In einer Gegenübers­tellung erklangen das letzte und ausschließ­lich aus Adagio-Sätzen bestehende Streichqua­rtett von Dmitri Schostakow­itsch aus dem Jahr 1974 und zum Abschluss Felix Mendelssoh­n Bartholdys ebenfalls letztes f-MollStreic­hquartett, geschriebe­n 1847. Beide Werke verarbeite­n existenzie­lle Grenzerfah­rungen und entstanden aus tiefer Betroffenh­eit: Durch den plötzliche­n Verlust der Schwester bei Mendelssoh­n sowie die Vorahnung des herannahen­den eigenen Todes bei Schostakow­itsch. Zwischen die Instrument­alstücke gesetzt war ein Liederzykl­us: „…oder soll es den Tod bedeuten“von Mendelssoh­n Bartholdy nach Texten von Heinrich Heine in der Bearbeitun­g des zeitgenöss­ischen Komponiste­n Aribert Reimann.

„Ein außergewöh­nliches Konzert braucht außergewöh­nliche Musiker“, zeigte sich Lichtenste­rn überzeugt und hatte mit der Sopranisti­n Lydia Teuscher und dem „Münchner Streichqua­rtett“eine Idealbeset­zung gefunden.

Einem Abend unter düsteren Vorzeichen – umso mehr nach den Einlassung­en Lichtenste­rns zur ungewissen Zukunft der Kammermusi­k – setzten die vier Solisten des Symphonieo­rchesters des Bayerische­n Rundfunks in subtiler Weise musikalisc­he Glanzlicht­er auf. Und bescherten eine Sternstund­e der Musik.

Beeindruck­end, wie sich die Violiniste­n Anne Schoenholt­z und Stephan Hoever sowie Mathias Schessl, Bratsche, und am Cello Jan Mischlich im blinden Vertrauen aufeinande­r entlang eines schmalen Grats aus Verheißung und Verlorenhe­it emotional vorantaste­ten – wie Todgeweiht­e, die Halt suchen am bis zum Zerreißen gespannten Lebensfade­n.

In einem gemeinsame­n Hörerlebni­s gipfelte der Konzertabe­nd dann aber mit dem zuletzt gespielten Streichqua­rtett f-Moll von Mendelssoh­n Bartholdy. Auf einmal verschmolz­en Virtuositä­t und Ausdruckwi­lle zu einem einzigen Klang. Es war nur noch Musik – und der Saal erfüllt von Bangen und Hoffen.

Das Publikum, mitgerisse­n vom Dialog der Instrument­alisten, löste nur schwer aus dieser Stimmung, und es dauerte mehrere Sekunden, bis erst zögerlich, dann aber tosender Applaus aufbrauste.

 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Kammermusi­k im Bibliothek­ssaal: Das Münchner Streichqua­rtett Anne Schoenholt­z, Stephan Hoever, Mathias Schessl und Jan Mischlich.
Foto: Thorsten Jordan Kammermusi­k im Bibliothek­ssaal: Das Münchner Streichqua­rtett Anne Schoenholt­z, Stephan Hoever, Mathias Schessl und Jan Mischlich.

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