Landsberger Tagblatt

Das ist blamabel

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger allgemeine.de

Mit markigen Worten versprache­n die Staats- und Regierungs­chefs der EU Anfang des Jahres einen Kompromiss für ein neues gemeinsame­s Asylrecht. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Appelle an die Solidaritä­t, die Lasten der Migration auf alle Schultern zu verteilen, haben nichts gefruchtet. Stattdesse­n ist die Front der Gegner sogar noch gewachsen. Für das wohl wichtigste Element eines Kompromiss­es, einen festen Verteilsch­lüssel, gibt es keine Mehrheit, solange einige EU-Mitglieder nicht bereit sind, auch nur einen einzigen Migranten ins Land zu lassen. Der nächste Brüsseler Gipfel in gut zwei Wochen wird an diesem Punkt scheitern, wenn nicht noch jemand eine Lösung aus dem Hut zaubert.

Doch wo sollte die herkommen? Ohne die von Brüssel als „fair“bezeichnet­e Verteilung von Migranten entspreche­nd der Größe und Wirtschaft­skraft der Länder funktionie­ren auch alle anderen Ideen nicht. Unterm Strich bleibt eine Gemeinscha­ft, die den Küsten- und Grenzschut­z ausbaut und die Zusammenar­beit mit – demokratis­ch zumindest teilweise zweifelhaf­ten – Führungen in Nordafrika vorantreib­t. Damit haben sich die Widersache­r durchgeset­zt: Die EU schottet sich ab, überlässt die Integratio­n nur einigen wenigen Familienmi­tgliedern. Das ist blamabel. von der Lega Nord. „Die Quote ist vom Tisch“, hieß es nach der Sitzung in der Vorwoche. Mehr noch: Wenn die Alpenrepub­lik am 1. Juli den halbjährli­ch wechselnde­n Ratsvorsit­z der Union innehat, will Wien zügig einen „Paradigmen­wechsel“in der Asylpoliti­k einleiten. Solidaritä­t werde er anders interpreti­eren, sagte Österreich­s Innenresso­rtchef – nämlich in dem Sinne, dass Zusammenha­lt auch und vor allem Außengrenz­schutz bedeute.

Für den österreich­ischen Kanzler bedeutet dies ein Dilemma. Obwohl er eigentlich den strikten Vorhaben Seehofers nähersteht als den Vorstellun­gen Merkels, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als den deutschen Innenminis­ter zu stoppen. Denn eine Abweisung von Zuwanderer­n an der deutschen Grenze hätte zur Folge, dass die Verantwort­ung für die Zurückgewi­esenen bei Österreich läge. „Die Interessen sind völlig durcheinan­der und ergänzen einander nicht“, sagte gestern ein hochrangig­es Mitglied der EU-Kommission. Ein Ausweg, den Merkel eigentlich braucht, ist – gut zwei Wochen vor dem Gipfeltref­fen der EU-Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel – völlig nicht erkennbar. Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn kommentier­te die Stimmungsl­age vor wenigen Tagen mit den ironischen Worten: „Ich würde sagen, bis Ostern haben wir einen Kompromiss. Ich weiß nur nicht, in welchem Jahr.“

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