Das ist blamabel
Mit markigen Worten versprachen die Staats- und Regierungschefs der EU Anfang des Jahres einen Kompromiss für ein neues gemeinsames Asylrecht. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Appelle an die Solidarität, die Lasten der Migration auf alle Schultern zu verteilen, haben nichts gefruchtet. Stattdessen ist die Front der Gegner sogar noch gewachsen. Für das wohl wichtigste Element eines Kompromisses, einen festen Verteilschlüssel, gibt es keine Mehrheit, solange einige EU-Mitglieder nicht bereit sind, auch nur einen einzigen Migranten ins Land zu lassen. Der nächste Brüsseler Gipfel in gut zwei Wochen wird an diesem Punkt scheitern, wenn nicht noch jemand eine Lösung aus dem Hut zaubert.
Doch wo sollte die herkommen? Ohne die von Brüssel als „fair“bezeichnete Verteilung von Migranten entsprechend der Größe und Wirtschaftskraft der Länder funktionieren auch alle anderen Ideen nicht. Unterm Strich bleibt eine Gemeinschaft, die den Küsten- und Grenzschutz ausbaut und die Zusammenarbeit mit – demokratisch zumindest teilweise zweifelhaften – Führungen in Nordafrika vorantreibt. Damit haben sich die Widersacher durchgesetzt: Die EU schottet sich ab, überlässt die Integration nur einigen wenigen Familienmitgliedern. Das ist blamabel. von der Lega Nord. „Die Quote ist vom Tisch“, hieß es nach der Sitzung in der Vorwoche. Mehr noch: Wenn die Alpenrepublik am 1. Juli den halbjährlich wechselnden Ratsvorsitz der Union innehat, will Wien zügig einen „Paradigmenwechsel“in der Asylpolitik einleiten. Solidarität werde er anders interpretieren, sagte Österreichs Innenressortchef – nämlich in dem Sinne, dass Zusammenhalt auch und vor allem Außengrenzschutz bedeute.
Für den österreichischen Kanzler bedeutet dies ein Dilemma. Obwohl er eigentlich den strikten Vorhaben Seehofers nähersteht als den Vorstellungen Merkels, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als den deutschen Innenminister zu stoppen. Denn eine Abweisung von Zuwanderern an der deutschen Grenze hätte zur Folge, dass die Verantwortung für die Zurückgewiesenen bei Österreich läge. „Die Interessen sind völlig durcheinander und ergänzen einander nicht“, sagte gestern ein hochrangiges Mitglied der EU-Kommission. Ein Ausweg, den Merkel eigentlich braucht, ist – gut zwei Wochen vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel – völlig nicht erkennbar. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kommentierte die Stimmungslage vor wenigen Tagen mit den ironischen Worten: „Ich würde sagen, bis Ostern haben wir einen Kompromiss. Ich weiß nur nicht, in welchem Jahr.“