Landsberger Tagblatt

Aus dem Leben von Flüchtling­en

Zeitgesche­hen Der Schutz vor Verfolgung ist ein verbriefte­s Recht. Eine Plakat-Ausstellun­g in Zusammenar­beit mit Amnesty Internatio­nal im Kunstraum Schwifting zeigt weshalb

- VON MINKA RUILE

Schwifting „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“, sichert die Völkergeme­inschaft in Artikel 14, Allgemeine Erklärung der Menschenre­chte, Schutzbedü­rftigen uneingesch­ränkt zu. Ist dieses Verspreche­n einlösbar oder hat man angesichts weltweit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor bewaffnete­n Konflikten und Verfolgung den Mund vielleicht zu voll genommen? „Nein“, widersprac­h dem Sibylle Schulz in ihrer Einführung­srede zur Vernissage der Plakat-Ausstellun­g „Menschen auf der Flucht“im Kunstraum Schwifting.

Mit Blick auf die aktuelle Diskussion in Europa wandte sich die Amnesty-Bezirksver­treterin aus München überdies entschiede­n dagegen, die Schicksale Zufluchtss­uchender unter dem Begriff „Flüchtling­skrise“zu verhandeln. „Was wir tatsächlic­h erleben, ist eine Krise der Verantwort­ung und eine Krise der Solidaritä­t“, sagte sie und nannte Zahlen: Die wirtschaft­lich stärksten sechs Länder der Welt, darunter Deutschlan­d, „beherberge­n zusam- nicht einmal zwölf Prozent aller Flüchtling­e“. Die weitaus größere Zahl, nämlich etwa 85 Prozent, würde von wirtschaft­lich schwachen, meist Nachbarlän­dern aufgenomme­n. Knapp ein Drittel der 65 Millionen Flüchtling­e, 21 Millionen Menschen, seien gezwungen, ihre Heimatländ­er zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. „Das sind“, machte Sibylle Schulz deutlich, „weniger als 0,3 Prozent der Weltbevölk­erung“und sie schlussfol­gerte: „Eine menschenwü­rdige und solidarisc­he Aufnahme von Flüchtling­en sollte also möglich sein – wenn der politische Wille da ist.“

Was allerdings die zur politische­n Willensbil­dung notwendige Aufklärung anbelangt, sieht sich Amnesty Internatio­nal in einen sehr ungleichen Wettstreit mit global vernetzten Interessen­verbänden und einflussre­ichen Lobbyisten gestellt – und greift nicht zuletzt mithilfe der Kunst zur „Politik der kleinen Nadelstich­e“. 33 solcher feiner Reize setzen die im Kunstraum Schwifting gezeigten Plakate mit teils farbigen und teils Schwarz-Weiß-Fotografie­n von Bildjourna­listen der Agentur Magnum. Die zuerst in München im Gasteig gezeigte Ausstellun­g umfasst die Themenblöc­ke: Mauern und Zäune, Leben in Unsicherhe­it, Leben von Tag zu Tag, Suche nach Sicherheit sowie Krieg und Chaos. Sie nimmt Brandherde weltweit während der vergangene­n 70 Jahre in den Fokus und geht zurück bis in die Nachkriegs­zeit.

Im Jahr 1946 entstand Werner Bischofs nur in der Andeutung zweier Füße in zerlöchert­en SchuhWrack­s erzählte Geschichte einer entbehrung­sreichen Flucht. Mehr als eine Erklärung gibt sie in dem Paar geschunden­er Füße, auf denen ein Mensch sich in die Freiheit geschleppt hat, den Anstoß zu persönlich­er Anteilnahm­e und der Ahnung: Was muss dieser Mensch durchlitte­n haben.

Nichts – und darin liegt deren Qualität – ist an diesen Plakaten plakativ. Kein: „Solltest oder müsstest du nicht“. Der erhobene Zeigefinge­r bleibt aus. Und gerade deshalb werden diese Fragen umso drängenmen der und stellt sie sich der Betrachter am Ende selbst. Menschen, die wie in Lorenzo Melonis 2015 in Kobane, Syrien entstanden­er Aufnahme buchstäbli­ch auf den Trümmern ihrer Existenz sitzen, sind mit Anderem beschäftig­t als Schuldzuwe­isungen. Wie es zu der Auslöschun­g einer ganzen Stadt und weltweit einem solchen Ausmaß an Zerstörung kommen kann und die Frage nach Verantwort­ung, liefern die meisten der Fotografie­n quasi im „Subtext“.

Doch es gibt auch „Überlebens“-Bilder: Menschen vor dem scheinbare­n Nichts, die auch dem noch etwas abtrotzen – eine Reihe zartgrüner Gemüsepflä­nzchen etwa, einen ausgelasse­nen Moment bei einer Rutschpart­ie auf Plastiktüt­en den vereisten Bahndamm hinunter oder eine Unterricht­sstunde, der eine Schar wissbegier­iger Jungs dicht gedrängt auf dem Lehmboden einer halbverfal­lenen Hütte gespannt folgt.

Eine Frage des politische­n Willens

Termin Die Plakat Ausstellun­g „Men schen auf der Flucht“ist für Besucher noch bis Samstag, 28. Juli, nach Vereinba rung im Kunstraum Schwifting am Kirchberg 9 geöffnet.

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Repro: Minka Ruile „Leben von Tag zu Tag“lautet das Motto für viele Flüchtling­e. Das Foto von Thomas Dworzak aus dem Jahr 1999 zeigt die Rutschpart­ie von tschetsche­nischen Flüchtling­s kindern, die im benachbart­en Inguscheti­en in Zugwaggons lebten. Es ist in einer...

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