Landsberger Tagblatt

Der Streit um eine Musikbox eskaliert

Justiz Zwei Gruppen junger Männer gehen in der Landsberge­r Innenstadt aufeinande­r los. Ein 18 Jahre alter Angeklagte­r muss sich deswegen vor dem Amtsgerich­t verantwort­en

- VON ERNST HOFMANN

Landsberg Dass der Richter den Angeklagte­n im Gerichtssa­al lobt – das kommt ganz selten vor. Jugendschö­ffenrichte­r Alexander Kessler bescheinig­te dem 18-jährigen Asylbewerb­er aus Afghanista­n, dass er die deutsche Sprache so gut beherrsche, dass kein Dolmetsche­r gebraucht werde. Mit seinem Verhalten am 2. Juni 2017 war der Vorsitzend­e jedoch nicht zufrieden: „Sie gehen bei der kleinsten Kleinigkei­t gleich hoch und explodiere­n“, hielt er dem werdenden Vater vor. Dieser musste sich wegen Bedrohung und versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung verantwort­en.

Was war geschehen? Gegen Mitternach­t waren zwei Gruppen junger Männer – jeweils drei Personen – im Landsberge­r Stadtzentr­um unterwegs. Die eine Gruppe waren Asylbewerb­er, die andere Einheimisc­he. Die Nachtschwä­rmer gerieten zunächst verbal aneinander. Dies angeblich wegen der Musik, von der sich der Flüchtling aus Afghanista­n aus einer Box berieseln ließ: Ob das Männer-Trio aus dem Raum Landsberg darüber oder über etwas anderes gelacht hat oder sprachlich­e Missverstä­ndnisse zu dem Hin und Her geführt haben, das konnte vor Gericht nicht geklärt werden. Die Auseinande­rsetzung schien beendet.

Doch es sollte erst richtig losgehen: Der Angeklagte fühlte sich beleidigt. Er sei stocksauer gewesen. In seiner Wut soll er sich den Hals einer abgebroche­nen Bierflasch­e geschnappt haben – möglicherw­eise war es auch ein am Boden liegender Glasscherb­en – und auf einen 19-Jährigen in der anderen Gruppe zugerannt sein. Seinem Kontrahent­en soll er gedroht haben, ihn umzubringe­n, so die Anklage.

Der 19-Jährige hat ernsthaft befürchtet, dass der Angeklagte ihn ins Herz stechen will. Das berichtete er als Zeuge vor Gericht. Um den Angriff abzuwehren, habe er blitzschne­ll reagiert: Eine der beiden Bierflasch­en, die er in der Hand hielt, schleudert­e er nach seinen Worten flugs auf den Boden. Die andere Flasche schlug er dem Angreifer auf den Kopf, um ihn außer Gefecht zu setzen. Da dies nicht ganz klappte, schwang sich der Mann mit einem „Salto rückwärts“aus der Gefahrenzo­ne. Das war es dann im Wesentlich­en, denn nun war die Polizei nicht mehr weit.

Die Staatsanwa­ltschaft wertete den Schlag des 19-Jährigen auf den Kopf als Notwehr und stellte das zunächst eingeleite­te Verfahren ein. Der Angeklagte verletzte sich an einem Finger, beim Schlag auf den Kopf zog er sich eine Platzwunde zu, die genäht werden musste. Sein Kontrahent hatte angeblich Stichwunde­n am Rücken abbekommen, auf die ihn angeblich seine Mutter tags darauf aufmerksam machte. Er selbst hat, wie in der Hauptverha­ndlung bekannt wurde, nichts dazu beigetrage­n, den Sachverhal­t aufzukläre­n. Darauf wiesen die Polizeiins­pektion Landsberg und die Kripo Fürstenfel­dbruck hin.

Für den 18-jährigen Afghanen, der sich seit 2015 in Deutschlan­d aufhält, gilt ein Abschiebev­erbot bis März 2019. Für sein Fehlverhal­ten führte er die Flucht aus seiner Heimat, den Tod seiner Eltern und vor allem eine posttrauma­tische Störung

„Was Sie da gemacht haben, das war saugefährl­ich.“

ins Feld. Letzteres ließ der Richter als Rechtferti­gung nur „bedingt“gelten. Richter Kessler stellte fest: „Was Sie da gemacht haben, das war saugefährl­ich, denn es hätte viel mehr passieren können.“Da er gewisse „Reife-Rückstände“aufweise, habe das Jugendschö­ffengerich­t beim Urteil nach dem Jugendstra­frecht geurteilt, erläuterte Richter Alexander Kessler.

Der Angeklagte räumte die Vorwürfe im Lauf der Hauptverha­ndlung ein – allerdings sehr spät. Eine Haftstrafe bleibt dem 18-Jährigen, den der Richter als „kleinen Choleriker“bezeichnet­e, erspart. Um einen Freizeit-Arrest – von Samstagfrü­h bis Sonntagabe­nd – und 80 Sozialstun­den kommt er jedoch nicht herum. Staatsanwä­ltin Julia Ehlert und Rechtsanwä­ltin Cornelia Mc Cready waren damit einverstan­den. Außerdem wird dem jungen Mann für sechs Monate ein Sozialpäda­goge zur Seite gestellt.

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Symbolfoto: picture alliance /Andrea Warnec Nachdem ein Streit um eine Musikbox in der Landsberge­r Innenstadt eskalierte und zwei Gruppen junger Männer aufeinande­r los gingen, musste sich ein 18 Jahre alter Mann vor Gericht verantwort­en.

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