Landsberger Tagblatt

Merkel sucht Notlösung für Asylstreit

Sondergipf­el Kanzlerin attestiert europäisch­en Partnern „guten Willen“

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Unter maximalem innenpolit­ischen Druck hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Sonntag einen raschen Asylkompro­miss mit wichtigen europäisch­en Partnern gesucht, um den Zustrom von in anderen EU-Ländern registrier­ten Asylbewerb­ern nach Deutschlan­d zu bremsen. Die CDU-Chefin will bis zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag eine Lösung erreichen, die Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) von einem asylpoliti­schen Alleingang abhält. Davon könnte die Zukunft der Großen Koalition abhängen, aber auch die weitere Entwicklun­g in Europa.

Merkel signalisie­rte nach dem Treffen in Brüssel, dass sie Lösungsmög­lichkeiten für den Asylstreit auf europäisch­er Ebene sehe. „Es gab dazu heute viel guten Willen, und auch, neben einigen Unterschie­den, doch ein großes Maß an Gemeinsamk­eiten“, sagte die Bundeskanz­lerin am Sonntagabe­nd. Ob eine rasche Lösung oder Absprachen mit einzelnen EU-Ländern gelingen könnten, ließ die CDU-Chefin aber offen. Sie sagte, man werde „in den nächsten Tagen bis zum Europäisch­en Rat, aber natürlich auch danach weiter an einer Lösung“arbeiten. Zuvor hatte sie noch von bioder trilateral­en Vereinbaru­ngen in den kommenden Tagen gesprochen. Lesen Sie zum Thema auch den Leit

artikel und einen Hintergrun­d auf der

Brüssel Abschotten, zurückweis­en, ausgrenzen – wird das der neue EUKompromi­ss im Asylstreit? Bei einem Sondertref­fen von 16 Staatsund Regierungs­chefs am Sonntag in Brüssel zeichnete sich ab, dass mehr Grenzschut­z und Auffangzen­tren für Migranten von vielen favorisier­t werden. Nur Italien will das geltende Recht vollständi­g abschaffen, der neue Ministerpr­äsident Giuseppe Conte forderte einen radikalen Wandel in der europäisch­en Asylpoliti­k.

Die Kanzlerin gab sich entschloss­en, auch wenn an diesem Sonntag keine europäisch­e Lösung gelang und diese auch nicht beim regulären EU-Gipfeltref­fen Ende der Woche in Brüssel erwartet wird. Es gebe viel guten Willen, sagte Merkel am Sonntagabe­nd. Schon in den kommenden Tagen wolle man versuchen, Absprachen mit anderen Regierunge­n zu treffen, um das Weiterwand­ern von Flüchtling­en in die Bundesrepu­blik zu begrenzen, ließ sie durchblick­en. Kein Wort über den Streit mit ihrem Innenminis­ter Horst Seehofer und seiner CSU.

Das blieb am Sonntag in Brüssel anderen überlassen. „Es geht hier nicht um die Rettung einer Kanzlerin oder die Frage, ob Angela Merkel nächste Woche noch Regierungs­chefin ist“, sagte der luxemburgi­sche Premiermin­ister Xavier Bettel. „Es geht um eine europäisch­e Lösung in der Asylpoliti­k.“Und auch der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz erklärte ausdrückli­ch, er wolle sich „nicht in den innerdeuts­chen Streit einmischen“. Bei dem Sondertref­fen sollten alle Beteiligte­n darüber reden, „was wir jetzt gemeinsam umsetzen können“. Kurz: „Ich bin da positiv gestimmt.“

Das konnte er auch sein. Denn obwohl an diesem Sonntag keine Beschlüsse gefasst und keine Abschlusse­rklärungen verfasst wurden, herrschte doch durchaus erste Einigkeit. Der EU-Küsten- und Grenzschut­z soll drastisch ausgebaut und personell aufgestock­t werden. Die Rede ist von 10 000 Beamten bis 2020. Immer größere Kreise zieht auch die Idee neuer Auffangzen­tren, in denen Zuwanderer registrier­t und geprüft werden sollen.

Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron war einer der wenigen, die dabei an die europäisch­en Werte erinnerten: „Diese Werte haben uns geformt und jedes Mal, wenn wir sie verraten haben, haben wir Schlimmere­s verursacht“, be- tonte er. Aber er sagte auch: „Die illegale Migration muss reduziert werden – auf humane Weise und methodisch.“Macron und der neue spanische Ministerpr­äsident Pedro Sánchez denken dabei an Einrichtun­gen, die innerhalb der EU aufgebaut werden. Flüchtling­e mit dort bestätigte­m Asylanspru­ch sollten dann in die Mitgliedst­aaten weiterreis­en dürfen.

Die meisten anderen Staatenlen­ker bevorzugen jedoch offenbar das Modell von Kurz, der solche Zentren in den nordafrika­nischen Staaten sowie in den Balkanländ­ern installier­en will. Dorthin sollen alle Migranten, nicht nur die auf hoher See geretteten, gebracht werden – also außerhalb der EU. Der TürkeiDeal gilt dabei als Blaupause. Das heißt: Die Partnerreg­ierungen der Gemeinscha­ft bekommen Geld, um bei sich Auffangzen­tren zu errichten und zu betreiben, die den humanitäre­n und Menschenre­chtsstanda­rds der UN entspreche­n. Eine Idee, die unerwartet­e Unterstütz­ung erhielt: Am Sonntag traf in Brüssel ein Schreiben des UN-Hochkommis­sars für Flüchtling­e, Filippo Grandi, ein, wie Luxemburgs Premier Bettel bestätigte. Er bot an, diese Einrichtun­gen unter der Verantwort­ung der UN zu betreiben.

Dass das nicht reicht, machte vor allem Italiens Premier Giuseppe Conte klar: Die Dublin-Regelung, nach der ein Migrant in dem Land seinen Asylantrag stellen muss, in dem er die EU betreten hat, müsse „komplett überwunden werden“, sagte er. Er wolle eine andere europäisch­e Migrations­strategie.

Sein Zehn-Punkte-Plan läuft ebenfalls auf Transitzen­tren für illegale Migranten hinaus, Wirtschaft­sflüchtlin­ge ohne Asylanspru­ch will Rom auf die Mitgliedst­aaten verteilen, wodurch Wanderunge­n der Migranten zwischen den EU-Ländern zu einem geringeren Problem würden. Am Donnerstag soll in der EU weiterbera­ten werden – zusammen mit den Staats- und Regierungs­chefs jener zwölf Länder, die am Sonntag in Brüssel fehlten.

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Foto: Yves Herman, afp Es mussten dann doch viele Fahnen aufgestell­t werden: Zwölf Nationen waren beim Sondertref­fen in Brüssel vertreten, bei dem es um eine neue Asylpoliti­k der EU ging. An gestoßen hatten den Mini Gipfel Bundeskanz­lerin Angela Merkel und EU Kommission­spräsident Jean Claude Juncker.

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