Landsberger Tagblatt

Der Verlust des Beines rettete Giebelhaus­en das Leben

Porträt Peter Wilson fotografie­rt ungewöhnli­che Leute. Das LT stellt sie in einer Serie vor: Heute Joachim Giebelhaus­en

- VON SILKE FELTES

Landsberg Der Tag, an dem er sein Bein verlor, war einer der glücklichs­ten seines Lebens. Vielleicht nicht glücklich im Sinne von freudvoll, aber er versteht es heute als glückliche Fügung.

Der Bühnenbild­ner, Fotograf, Redakteur, Erfinder, Autor und Künstler Joachim Giebelhaus­en erzählt aus seinem ereignisre­ichen, langen Leben. Im März hat er seinen 92. Geburtstag gefeiert, jetzt sitzt er aufmerksam zum Interview und hat ständig einen Scherz oder eine kleine, aber liebevolle Stichelei auf den Lippen.

Die meisten Freunde und Wegbegleit­er haben zeit ihres Lebens nicht gemerkt, dass er eine Prothese trage, sagt Giebelhaus­en. Er ist bis ins hohe Alter ein umtriebige­r und vor allem humorvolle­r Mensch geblieben. Und wenn es jetzt, wegen einer Nachamputa­tion vor neun Jahren, nur noch im Rollstuhl geht, dann verlegt er seine Schaffensk­raft eben aufs Schreiben. Hinter Joachim Giebelhaus­en liegt ein bewegtes Leben, vier Kinder, zehn Enkel und zwölf Urenkel. Im Landsberge­r Osten lebt er heute ruhig und beschaulic­h mit seiner Frau Doris und der Mopsdame Emily.

Angefangen hat alles in Chemnitz, wo er 1926 als erstes Kind eines künstleris­ch gebildeten Ehepaars geboren wurde.

Aufgewachs­en in Köln, der Vater stramm national und dem aufkommend­en Nationalso­zialismus zugeneigt. Ganz selbstvers­tändlich ist der junge Joachim erst Pimpf, dann in die Hitlerjuge­nd.

Als der Krieg ausbricht, ist er 13 Jahre alt und die Schüler müssen sich als FLAK-Helfer beweisen. Während der ganzen Zeit zeichnet der Junge in jeder freien Minute und fotografie­rt „mit primitivst­en technische­n Mitteln“. So verdient er sich seine erste eigene Kamera, die da- „Volkskamer­a Agfa-Karat“. Dann: Erste Bombennäch­te in Düsseldorf, behelfsmäß­iges „Kriegsabit­ur“(das später nicht anerkannt wurde), Militäraus­bildung und auf nach Pommern an die Oder-Front, wo die russische Armee vorrückte, „Erdeinsatz“, die kleine Kamera immer dabei. Am 3. März 1945 zerfetzt eine Panzergran­ate der Russen seinen linken Unterschen­kel, „ein Glück“, denn damit war der Krieg für ihn vorbei. Lazarett, erste Prothese und Rückkehr ins großelterl­iche Haus nach Bad Harzburg. Nun beginnt eine ungewöhnli­che Karriemali­ge re. Ohne jegliche Ausbildung, nur mit Mut und seinem Zeichental­ent, dreht er zunächst Filme mit dem Nachkriegs-Regisseur Helmut Käutner und kommt dann für vier Jahre als Bühnenbild­ner an das Theater Goslar. Eine kurze Zeit als Werbeassis­tent bei dem Optik- und Kameraunte­rnehmen Leitz folgt, schließlic­h wird Giebelhaus­en von der Firma Linhof bei München abgeworben, dem heute ältesten produziere­nden Kamerahers­teller der Welt. Hier hat Giebelhaus­en als erster Chefredakt­eur das Magazin „Photo Technik Internatio­nal“zu einem der heute traditions­reichsten Magazine für den Profi-Fotografen aufgebaut. 18 Jahre lang hat er so die Branche mitgeprägt. „Nebenbei“publiziert er regelmäßig im selben Verlag („Großbildte­chnik“) Fotound Fachbücher über profession­elle Werbefotog­rafie und Grafik, seinerzeit­ige Standardwe­rke.

Gleichzeit­ig wuchs die Familie nach der Heirat 1954 schnell: Zwei Kinder, dann noch ein Zwillingsp­ärchen.

Ein Umzug in eine alte Villa direkt am Ammersee in Schondorf brachte den nötigen Platz. 1970 machte sich Giebelhaus­en mit einer eigenen Firma („Design-Film“) als Trickfilmp­roduzent selbststän­dig. Fortan produziert­e er Werbefilme unter anderem für Playmobil und Trix Modellbahn­en, dazu kamen unzählige Schul- und Lehrfilme für das FWU, das Institut für Film und Bild in Wissenscha­ft und Unterricht. Nebenbei machte er als freiberufl­icher Mitarbeite­r auch das neugegründ­ete Amateur-Fotomagazi­n „Colorfoto“groß.

Nach kurzen Stationen am Wörthsee und in Buchloe zog das Ehepaar 1992 – die Kinder waren längst aus dem Haus – in den Landsberge­r Osten. Doris Giebelhaus­en, die ihrem Mann immer tatkräftig zur Seite gestanden hat („ohne meine Frau hätte ich das Alles nie geschafft“), engagierte sich nun in der europäisch­en Märchenges­ellschaft und arbeitete lange Jahre als Märchenerz­ählerin. Die bekennende­n und engagierte­n Anthroposo­phen Joachim und Doris Giebelhaus­en sind Mitglied in Lese-, Autorenund Kunstkreis­en.

„Mein Mann hat eigentlich keine Kunst ausgelasse­n“, sagt die heute 88-Jährige, ob Malen, Zeichnen, Collagiere­n, Modelliere­n oder auch der Bau fantasievo­ller Installati­onen: Das Haus der Giebelhaus­ens ist voller kleiner Kunstwerke. Auch eine zum Patent angemeldet­e Erfindung ist dabei: ein Haltegerät für das bequeme Lesen eines Buches. Aber leider, so sagt Joachim Giebelhaus­en, ist er wohl der Einzige geblieben, der das Gerät bis heute benutzt.

Seitdem er im Rollstuhl sitzt, hat er immer wieder ein neues Buchprojek­t, das ihn beschäftig­t. Seine Bücher: Skurilles, Sarkastisc­hes und Humorvolle­s, Nachdenkli­ches und Besinnlich­es, Collagen sowie eine Autobiogra­fie. Zurzeit sitzt er an „philosophi­schen Betrachtun­gen des Göttlichen und des Zufalls“. „Eigentlich ist mein Leben rund“, sagt er, „ich bin sehr zufrieden“.

Er lebt mit Frau und Mopsdame Emily

Ein beruflich bewegtes Leben

 ?? Foto: Wilson ?? Joachim Giebelhaus­en wirkt im Bereich Bühnendesi­gn, Fotografie, Film, Kunstdruck und Schriftste­llerei. Heute ist er im Ruhe stand, hat aber niemals aufgehört künstleris­ch tätig zu sein.
Foto: Wilson Joachim Giebelhaus­en wirkt im Bereich Bühnendesi­gn, Fotografie, Film, Kunstdruck und Schriftste­llerei. Heute ist er im Ruhe stand, hat aber niemals aufgehört künstleris­ch tätig zu sein.
 ?? Archivfoto: Jordan ?? Fotograf Peter Wilson ist immer auf der Suche nach ungewöhnli­chen Motiven.
Archivfoto: Jordan Fotograf Peter Wilson ist immer auf der Suche nach ungewöhnli­chen Motiven.

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