Nächstenliebe?
Zum Bericht „Retter in Not – Gegen den Lifeline Kapitän wird ermittelt“vom 28. Juni:
Können Sie sich noch dran erinnern, dass ein gewisser Herr Söder vor kurzem das Christentum als grundlegende Kultur Bayerns beschworen und die Behörden des Freistaates zur Aufhängung eines Kreuzes verpflichtet hat? Nächstenliebe, also Hilfsbereitschaft für andere, sich in Not befindliche Menschen und Selbsthingabe sind unzweifelhaft Attribute, die einer christlichen Haltung entstammen. Man darf davon ausgehen, dass genau solche Werte – auch ein in letzter Zeit vielfach beschworenes Wort – dem mutigen, aus Landsberg stammenden Kapitän der „Lifeline“, des Schiffes also, das im Mittelmeer gerade 234 Menschen aus Seenot bzw. vor den offenbar fürchterlichen Lagern in Libyen gerettet hat, geleitet haben. Und genau hierfür soll er jetzt offensichtlich angeklagt werden!
Dies fordert jedenfalls ein anderer Herr aus derselben C-Partei, der davon sprach, dass Kapitän und Crew „zur Rechenschaft gezogen werden müssen“. Seehofer, seines Zeichens nach deutscher Innenminister, fügte unfassbarerweise noch hinzu, dass es zwischen Libyen und Südeuropa keinen „Shuttle“geben dürfe. Wo sind wir denn nur hingekommen?! Wer solches sagt und dabei weiß (oder wissen sollte), was diese fliehenden Menschen zuvor in Libyen erlitten haben und was ihnen bei einer Rückführung dorthin droht, hat jede moralische Integrität verloren und sich für hohe Staatsämter disqualifiziert. Er sollte umgehend entlassen werden. Schließlich sind wir ein Land, das auf humanen und christlichen Werten aufbaut. Claus-Peter Reisch hingegen sei gedankt für sein selbstloses Tun, das Leben gerettet hat. Normalerweise wird man hierfür in Bayern vom Ministerpräsidenten ausgezeichnet. Jedenfalls besteht noch Hoffnung für dieses abdriftende Land, solange es Menschen wie ihn und seine Mannschaft gibt.
Jürgen Karres, Landsberg