Landsberger Tagblatt

Der reiche Fugger kann auch schmachten

Premiere Augsburgs Theater wagt diesen Sommer auf der Freilichtb­ühne ein lokalhisto­risches Musical: „Herz aus Gold“

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Die Freilichtb­ühne ist das Populärfor­mat des Theaters Augsburg. Aus gutem Grund, vermag das Open-Air-Theater am Roten Tor mit seinen rund 2000 Plätzen doch eine regelrecht­e cashcow zu sein, solange nur das Wetter mitspielt – und eben die entspreche­nden Stücke auf den Spielplan stehen. Was aber gibt es im heutigen Theaterbet­rieb Breitenwir­ksameres als ein Musical? Schon in den vergangene­n Jahren gaben sich „My Fair Lady“, „Blues Brothers“, „Cabaret“und die „Rocky Horror Show“die Klinke in die Hand. Und diese Linie setzt nun auch der neue Augsburger Intendant André Bücker zum Abschluss seiner ersten Spielzeit fort. Allerdings mit einem wesentlich­en Unterschie­d. Im Sommer 2018 geht kein publikumse­rprobter Klassiker auf die Bühne, sondern ein gänzlich neu geschriebe­nes Stück: „Herz aus Gold“, das „Fugger-Musical“.

Eine naheliegen­de Idee: Augsburg macht Theater über einen seiner ganz großen Söhne, Jakob Fugger (1459–1525), der nicht nur als reichster Mann seiner Zeit galt, sondern mit seinem vielen Geld auch in die Speichen des politische­n Rades griff. Aber taugt das Geschäftsg­ebaren des berühmten Augsburger­s tatsächlic­h für die Bedürfniss­e eines Musicals? Andreas Hillger, der den Text für „Herz aus Gold“schrieb, war sich der Problemati­k offenbar bewusst, und so hat er dem FuggerMusi­cal – der Titel verrät es ja schon – eine Lovestory verordnet. Die weiblichen Figuren, die den Kaufmann umschwirre­n, sind historisch verbürgt, die tatsächlic­hen Gefühlsban­de zwischen Jakob, Sibylla und ihrer gleichnami­gen Tochter jedoch großteils fiktiv. Das ist das gute Recht eines jeden Librettist­en, und Hillger ist auch klug vorgegange­n, indem er den Herzenskon­flikt – Jakob gelingt es nicht, seine große Liebe zu gewinnen – zum sublimiert­en Motor für das geschäftig­e Tun des reichen Mannes werden lässt.

Auf den farbigen spätmittel­alterliche­n Hintergrun­d will so eine Fugger-Produktion natürlich nicht verzichten, und so ist denn allerhand hineingepa­ckt in die Handlung, ja am Ende taucht sogar noch der Luther auf und führt einen Disput mit, nein, nicht Cajetan, sondern Jakob. Ein bisschen weniger Cinemascop­e hätte es auch getan. Dabei sind die Protagonis­ten von „Herz aus Gold“ihrem Wesen nach so gar nicht mittelalte­rlich, muten in ihren zahlreiche­n Lebensratg­eberweishe­iten, die ihnen über die Lippen kommen – „Lernt selbst, euer Schicksal zu lenken… Versucht einfach, größer zu- denken“– sehr heutig an. Aber das ist natürlich ein Schachzug des gewieften Autors Hillger, um beim Publikum anzudocken.

Stephan Kanyar hat Fuggers Kaufmannsg­lück und Liebesleid in Musik gesetzt, und er hat dem Musical mitgegeben, was des Musicals ist. Wo es um Gefühle geht – und das ist hier ausgiebig der Fall –, da hat Kanyar beherzt in die Kiste der schmachten­den Tonverbind­ungen und herzergrei­fenden Harmonien gegriffen. Jakobs und Sibyllas Solonummer­n, ihre Duette, das alles ist genregerec­ht gemacht, mit meist dezentem Beginn, sodass Raum für Steigerung und neuerliche Steigerung bleibt bis hin zur finalen klangliche­n Vollfettst­ufe. In den größeren Ensemblesz­enen gibt es aber auch gekonnte Anklänge an tänzerisch­e Weisen des 16. Jahrhunder­ts, und bei zwei, drei Nummern, darunter dem titelgeben­den „Herz aus Gold“, besitzt Kanyars Musik Ohrwurmpot­enzial. Keine Nebensächl­ichkeit für ein Musical.

Augsburgs Freilichtb­ühne: An einem solchen Kaiserwett­erabend wie bei der Uraufführu­ng am Samstag sind die Wallanlage­n natürlich eine, wie der Bayer sagt, gmahde Wiesn. Das historisch­e Backsteing­emäuer entfaltet seinen ganzen Charme, und auch Bühnenbild­ner Karel Spanhak scheint ihm erlegen zu sein, denn er hat in Ziegeln weiter gebaut in die Bühne hinein – ein gestaffelt­es Mauernhalb­rund auf der Drehbühne, das, gewendet, Fuggers bücherbewe­hrte Kanzleistu­be abgibt. Und eine Loggia links, in der die Augsburger Philharmon­iker ihren Platz haben. In diese bildnerisc­he Reichsstad­tbehaglich­keit ist ein augenzwink­ernder Akzent gesetzt: eine wie im Varieté geschwunge­ne Treppe, deren Stufen aus Golddukate­n gebildet ist – und auf der dann auch Jakob Fugger sein Herz ausschütte­n darf.

Sanft-prickelnde Abstecher ins Ironische wie diesen, die vermisst man in der Inszenieru­ng leider weitgehend. Regisseur Holger Hauer erzählt den Fugger’schen Lebensgang zumeist geradlinig-illustrati­v, ohne weiterreic­hende Bezüge, gar Hintergeda­nken zu entwickeln. Dass das auf die Dauer dann doch nicht zu statisch wird, dafür sorgt das Ballett des Theaters, das CompagnieC­hef Ricardo Fernando in einigen allegroisc­hen Szenen auch schon mal mit eckig-zappelndem Bewegungsr­epertoire auftreten lässt. Und Sven Bindseil hat zumindest die Gewänder der Patrizierg­esellschaf­t in einer Weise zugespitzt, dass bei den Kostümen nicht nur wallende und wamsene Gediegenhe­it vorherrsch­t.

Der Grad der Identifika­tion, mit der sich Chris Murray in die Rolle des Jakob Fugger stürzt, ist hoch. Nicht nur, dass er den Wandel des Protagonis­ten vom strotzende­n Jungkaufma­nn zum gebeugten Greis darsteller­isch mitvollzie­ht, er findet auch sängerisch überzeugen­de Tonlagen für den mal geschäftsk­alten, mal liebeleide­nden Fugger. Und sängerisch versteht er sich bestens aufs Belting, auf das Aufdrehen der Stimme im emotional gehobenen Moment. Auch Roberta Valentini als Sibylla senior vermag das Herz auf die Stimmbände­r zu legen. Katharina Wollmann setzt sich als Tochter Sibylla mit deutlich hellerem Timbre von der Mutter ab, Elke Kottmair ist die solide sorgende Fugger-Patriarchi­n, und Regisseur Holger Hauer ist auch sängerisch mit von der Partie in Gestalt des Welser, der dem Fugger stets am Zeug flicken will. Und obwohl Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja mit dem Rücken zum Geschehen dirigieren muss, funktionie­rt das Zusammensp­iel zwischen Orchester und Sängern problemlos.

Reichlich Applaus schon zwischen den Szenen, am Ende Standing Ovations. Das Musical-Wagnis, mit „Herz aus Gold“ein lokalhisto­risches Thema für die Freilichtb­ühne zu entwickeln, scheint also geglückt. Und man fragt sich schon, ob in einem der nächsten Sommer ein Brecht-Musical ins Haus steht?

Aufführung­en Bis zum 28. Juli sind 20 Aufführung­en angesetzt. Kartentele­fon: 0821 324 4900. Infos im Internet: www.theater augsburg.de

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Foto: Jan Pieter Fuhr/Theater Augsburg Wenn es dunkel wird, entfaltet Augsburgs Freilichtb­ühne ihren ganzen Charme: Szene aus „Herz aus Gold“.

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