Landsberger Tagblatt

Die neue alte Grenzpoliz­ei

Sicherheit 20 Jahre lang hatte die bayerische Polizei an den Grenzen des Freistaats nichts zu sagen. Geht es nach der Staatsregi­erung, soll sich dies nun ändern. Doch so einfach ist das nicht, wie bei einer Fahrt mit zwei Schleierfa­hndern deutlich wird

- VON MICHAEL BÖHM UND HENRY STERN

Passau/München Meistens höre er auf sein Bauchgefüh­l, sagt Manfred Leitl* – und drückt plötzlich das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Die 200 PS des silbernen BMW X3 pressen Leitl und seinen Kollegen Peter Meckle* in die Sitze. Ein schwarzer Porsche hat bei den beiden Polizisten besagtes Gefühl geweckt. Jetzt muss es schnell gehen. Nicht einmal zwei Kilometer bleiben den Hauptkommi­ssaren, um den teuren Oberklasse­wagen mit rotem Hamburger Kennzeiche­n an der Rastanlage Donautal aus dem Verkehr zu ziehen und genauer unter die Lupe zu nehmen. Also runter vom Grünstreif­en an der Autobahnau­ffahrt Passau Nord, mit Vollgas rüber auf den linken Fahrstreif­en und dem Porsche Cayenne hinterher.

Autodiebe, Drogenhänd­ler, Einbrecher – sie gehören für Leitl und Meckle zum Alltag. Die beiden Mittvierzi­ger sind Schleierfa­hnder der bayerische­n Polizei und seit rund zehn Jahren gemeinsam auf der A3 unterwegs. In einem 30 Kilometer breiten Korridor vor der bayerisch-österreich­ischen Grenze bei Passau sind sie für die Bekämpfung grenzübers­chreitende­r Kriminalit­ät zuständig. Das bedeutet: Was den Schleierfa­hndern verdächtig vorkommt, wird kontrollie­rt. „Teure Autos, voll beladene Lieferwage­n mit osteuropäi­schem Kennzeiche­n, Fernbusse – da werden wir besonders häufig fündig“, sagt Meckle und erzählt von Rucksackto­uristen mit ein paar Gramm Marihuana in der Tasche, Autofahrer­n ohne Führersche­in und rumänische­n Einbrecher­banden.

Hin und wieder erwischen die Beamten auch einen Flüchtling, der es heimlich über die Grenze geschafft hat. Noch gut erinnern sich die beiden Beamten an das Jahr 2015, als tausende Flüchtling­e über die Balkanrout­e nach Bayern kamen. „Da liefen Väter und Mütter Hand in Hand mit ihren Kindern an der Autobahn entlang“, berichtet Leitl. Mehr als 6000 illegale Einreisen griffen allein die Passauer Schleierfa­hnder vor drei Jahren hinter der Grenze auf. 2017 waren es gerade noch 107. Und doch scheint es in diesen Tagen, als sei das Thema politisch das wichtigste überhaupt – auch, weil Umfragen zeigen, dass die Asylfragen weiterhin viele Menschen im Freistaat umtreiben.

Im Rahmen der von der CSU propagiert­en „Asylwende“rief Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder anfang des Monats gar eine eigene Grenzpoliz­ei ins Leben, die für „mehr Sicherheit“entlang der gut 1200 Kilometer langen Grenze – von Lindau am Bodensee bis nach Regnitzlos­au nahe Sachsen – sorgen soll. In den nächsten fünf Jahren soll die in Passau stationier­te Behörde von aktuell 500 auf dann 1000 Beamte vergrößert und für 14 Millionen Euro mit modernster Technik wie Drohnen samt Nachtsicht­geräten aufgerüste­t werden.

Manfred Leitl und Peter Meckle sind zwei Mitglieder der neuen Grenzpoliz­ei. Darauf angesproch­en, müssen sie schmunzeln. Beide waren bis zum Jahr 1998 schon einmal Teil einer bayerische­n Grenzpoliz­ei, standen bei Philippsre­ut am Schlagbaum der deutsch-tschechisc­hen Grenze, kontrollie­rten Ein- und Ausreisend­e, ließen sie rein oder wiesen sie ab. Vor 20 Jahren übernahm schließlic­h die Bundespoli­zei diese Aufgaben, und die bayerische Grenzpoliz­ei war damit Geschichte. Bis zum 1. Juli 2018, als Söder und Innenminis­ter Joachim Herrmann feierlich die „Rückkehr“verkündete­n.

„Das einzige, das sich geändert hat, ist der Name“, sagt Leitl. Bis Ende Juni sei er als Schleierfa­hnder für die Polizeiins­pektion Fahndung Passau tätig gewesen, jetzt eben für die Grenzpoliz­eiinspekti­on Passau. „Wir machen exakt dasselbe wie vorher auch“, erklärt Leitl, zuckt dabei mit den Schultern und schüttelt leicht den Kopf. Er spricht es nicht aus, aber in jedem seiner Worte schwingt Unverständ­nis über den ganzen Rummel dieser Tage mit. Kaum ein Tag, an dem kein Journalist, kein Fotograf, kein Fernsehtea­m im Fonds seines silbernen BMW mitfährt und darüber berichtet, wie die neue Grenzpoliz­ei denn nun arbeitet, was sie tut und – der entscheide­nde Punkt – was sie überhaupt tun darf. Denn der tatsächlic­he Schutz der Grenzen ist weiterhin Aufgabe der Bundespoli­zei. Kritiker der bayerische­n Grenzpoliz­ei sprechen daher seit Monaten von einem „Etikettens­chwindel“und bezeichnen die Beamten abfällig als „Hilfssheri­ffs“der Bundespoli­zei. Und daran wird sich vorerst wohl auch nichts ändern.

Am Wochenende verkündete­n Bundesinne­nminister Horst Seehofer und Ministerpr­äsident Söder, wie die Zusammenar­beit zwischen bayerische­r Grenzpoliz­ei und Bundespoli­zei künftig aussehen soll. Bayern darf Kontrollen direkt an der Grenze durchführe­n, aber nur nach ausdrückli­cher Erlaubnis des Bundes. Sollten dabei „aufenthalt­srechtlich­e Maßnahmen“erforderli­ch sein, zum Beispiel ein Flüchtling zurückgewi­esen werden, muss der Fall unverzügli­ch an die Bundespoli­zei abgegeben werden.

„Das machen wir doch schon seit Jahren so“, sagt Hauptkommi­ssar Peter Meckle. „Wenn wir eine illegal eingereist­e Person aufgreifen, bringen wir sie zu den Kollegen der Bundespoli­zei, und die übernehmen dann die Sachbearbe­itung.“Insgeheim ist er darüber nicht ganz unglücklic­h, bleiben so die ganzen Formalität­en einer illegalen Einreise und einer etwaigen Zurückweis­ung nicht an ihm hängen. Er kann sich dann schneller wieder in sein Auto setzen und auf der A3 Jagd nach Klein- und Großkrimin­ellen machen. Im schwarzen Porsche Cayenne wird er an diesem Tag übrigens nicht fündig. Der Niederländ­er am Steuer hat das Luxusauto ganz legal erworben und kann das auch mit allerlei Dokumenten belegen.

„Die Schleierfa­hndung ist ein bayerische­s Erfolgsrez­ept, und sie ist ein wesentlich­er Baustein der neuen bayerische­n Grenzpoliz­ei. Aber nicht der einzige“, sagt deren Chef, Polizeidir­ektor Alois Mannichl. Er sitzt in seinem neuen Büro im Passauer Gewerbegeb­iet. Unter einigem Zeitdruck wurden zwei Stockwerke eines Bürokomple­xes, in denen zuletzt noch die Redaktion eines Wochenblat­ts beheimatet war, in den vergangene­n Wochen zur Polizeidir­ektion umgebaut. Hier sollen der personelle und technische Ausbau der Grenzpoliz­ei organisier­t, Kontrollen und Schleierfa­hndungen koordinier­t und die Zusammenar­beit zwischen den beteiligte­n Behörden im In- und Ausland gesteuert werden.

Sehr gut, einwandfre­i, hervorrage­nd sei der Start der neuen Behörde Anfang Juli verlaufen, sagt Mannichl. An Superlativ­en mangelt es ihm nicht. Die „politische­n Diskussion­en“über die Notwendigk­eit, den Sinn und die Zuständigk­eiten seiner Behörde interessie­rten ihn nicht, betont er. Er habe einen klaren Auftrag, und dem gehe er nach.

„Eine unserer Aufgaben ist es, die Polizeiprä­senz an den Grenzen zu verstärken und damit den Bürgern ein besseres Sicherheit­sgefühl zu geben“, erklärt Mannichl. Aus diesem Grund seien nahe der bayerische­n Grenze seit Anfang Juli quasi täglich Schwerpunk­tkontrolle­n mit uniformier­ten Polizisten durchgefüh­rt worden. Diese wird es künftig regelmäßig und häufiger geben – ab diesem Mittwoch auch direkt an der Grenze, wie Innenminis­ter Joachim Herrmann am Montag ankündigt. Er bezeichnet die „flexiblen und temporären“Grenzkontr­ollen als „intelligen­te Maßnahmen, um Gefahren abzuwehren, die mit der grenzenlos­en Reisefreih­eit innerhalb der Europäisch­en Union einhergehe­n“. Dabei gehe es nicht nur um illegale Migration, sondern „auch um die Begrenzung von Kriminalit­ät und darum, Terrorplan­ern das Leben schwer zu machen“, sagt Herrmann.

Bei Manfred Leitl und Peter Meckle hat sich wieder der Bauch gemeldet. Ein silberner BMW mit rumänische­m Kennzeiche­n hat ihr Interesse geweckt. Leitl rückt die Brille zurecht und drückt aufs Gas. Er überholt den Wagen und macht dem Fahrer deutlich, dem Polizeiaut­o in die Raststätte zu folgen. Dort angekommen, stellt sich heraus, dass die beiden Rumänen offenbar von einem Flohmarkt in Paris kommen – ihr Kofferraum ist bis unters Dach bepackt mit Bildern in Holzrahmen. „Aus meiner Sicht ist das Sperrmüll“, winkt Meckle ab, während sich sein Kollege Leitl den Personalie­n der beiden Autoinsass­en widmet. Es stellt sich heraus, dass der Fahrer wohl ohne Führersche­in unterwegs ist. Er muss zur weiteren Überprüfun­g auf die Wache.

Leitl und Meckle legen sich derweil wieder auf die Lauer. Auf einem Grünstreif­en an der Anschlusss­telle Passau-Süd stellen sie ihr Auto ab. Etwa 100 Meter entfernt auf der anderen Seite der Autobahn steht ein weiß-blauer Streifenwa­gen. Drin sitzen zwei Beamte der Bundespoli­zei und beobachten ebenfalls den Verkehr. „Das ist ganz normal, auch die Bundespoli­zei fährt hier Streife und kontrollie­rt“, erklärt Meckle. Kontakt zu den Kollegen gebe es nicht: „Die machen ihr Ding, wir unseres.“

Ab und an, sagt er, komme es vor, dass sich ein Autofahrer bei einer Kontrolle beschwere, dass er doch eben erst von der „anderen“Polizei angehalten worden sei. Das könne

Teure Autos und Fernbusse sind besonders oft im Visier

Doppelte Kontrollen sind kaum zu verhindern

recht einfach abgeklärt, aber kaum abgestellt werden. Zumal auf dem rund 30 Kilometer langen Abschnitt der A3 rund um Passau ohnehin reger Polizeiver­kehr herrscht.

Neben Leitl und Meckle ist an diesem Vormittag noch eine weitere Streife der Grenzpoliz­ei unterwegs. Innerhalb einer Stunde begegnen die beiden Schleierfa­hnder zudem zwei Fahrzeugen der Bundespoli­zei – von deren fester Kontrollst­elle kurz hinter der Grenze ganz abzusehen. Dort überwachen zwei Beamte mit Maschinenp­istolen den Verkehr und ziehen verdächtig­e Fahrzeuge aus eben diesem. Leitl und Meckle vermeiden es am liebsten, über die Grenze zu fahren. Weil sie in Österreich keine Befugnisse haben – und bei der Rückkehr nach Bayern regelmäßig selbst im Stau stehen, wenn die Kollegen von der Bundespoli­zei mal wieder ganz genau kontrollie­ren.

* Namen von der Redaktion geändert

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 ?? Fotos: Michael Böhm (4), Ulrich Wagner (2) ?? Geduldig beobachten die Schleierfa­hnder der bayerische­n Grenzpoliz­ei die A3 bei Passau. Wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt, nehmen sie die Verfolgung auf und ziehen dabei regelmäßig Kriminelle aus dem Ver kehr. Künftig sollen auf die Beamten weitere Aufgaben zukommen.
Fotos: Michael Böhm (4), Ulrich Wagner (2) Geduldig beobachten die Schleierfa­hnder der bayerische­n Grenzpoliz­ei die A3 bei Passau. Wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt, nehmen sie die Verfolgung auf und ziehen dabei regelmäßig Kriminelle aus dem Ver kehr. Künftig sollen auf die Beamten weitere Aufgaben zukommen.
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Klarer Auftrag: Alois Mannichl ist Chef der bayerische­n Grenzpoliz­ei.
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Bislang kontrollie­rt nur die Bundespoli zei die Grenzüberg­änge.

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