Hollywood gerät durch Video Streaming unter Druck
Kino Im großen US-Filmgeschäft werden die Karten neu gemischt. Schauspieler laufen zu Amazon und Netflix über. Aber Disney wehrt sich
Los Angeles Zur Zeit boomt es an den US-Kinokassen. Den Superhelden aus „Avengers: Infinity War“und Pixars „Die Unglaublichen 2“ist es mit zu verdanken, dass im zweiten Jahresquartal eine Rekordsumme von 3,3 Milliarden Dollar eingenommen wurde, das beste Drei-Monats-Einspiel von April bis Juni aller Zeiten, gut 22 Prozent mehr als im Vorjahr.
In Deutschland herrscht ein anderes Bild: Drei Monate weitgehend gutes Wetter und die Fußball-WM führten in den Kinos in der ersten Jahreshälfte zu Besucher- und Umsatzeinsatzbußen von jeweils etwa 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr – das rechnet jedenfalls der Verband der Filmverleiher vor. Mit hitverdächtigen Fortsetzungen wie „Mamma Mia 2“und „Mission Impossible – Fallout“könnte sich das Blatt zwar im Sommer noch wenden, doch die alte Frage bleibt: Ist das Kino nicht längst zum Sterben verurteilt – unter der wachsenden Bedrohung durch Video-on-Demand-Dienste wie Netflix und Amazon, den großen Rivalen von Hollywoods traditioneller Filmfabrik?
„Der Untergang des Kinos wird seit vielen Jahren immer wieder vorhergesagt“, meint der US-KinoExperte Jason Squire, Professor an der kalifornischen School of Cinematic Arts. Das sei vor Jahrzehnten mit der Einführung des Videorekorders und dann mit dem InternetBoom genauso gewesen, sagt er. Er betrachtet die Angebotsfülle eher optimistisch: „Konkurrenz schafft mehr Inhalt und das fördert die Kreativität.“
Doch die Streaming-Revolution wirbelt Hollywood dennoch kräftig durcheinander. 2017 meldete der US-Kinomarkt die niedrigste Zahl von Ticketverkäufen seit 1992. Nur höheren Eintrittspreisen war es zu verdanken, dass die Gesamteinnahmen an den Kinokassen von 11,12 Milliarden Dollar nicht drastisch abrutschten. Das alte Studiosystem steht gehörig unter Druck; eine Fusionsund Übernahmewelle zieht durch Hollywood. Dazu schießen die Filmbudgets und Marketingkosten in die Höhe. „Filme drehen ist ein riesiges finanzielles Glücksspiel geworden“, meint Jason Squire, während die US-Journalistin Sharon Waxman, Gründerin des Branchenportals The Wrap, das nahende Ende der großen Studios beschwört. Die künftigen „Power Player“sind für die Branchenexpertin Plattformen wie Netflix, Amazon, Apple und Google.
Längst gräbt Netflix Studioriesen wie Disney das Wasser ab. Der Video-Streaming-Marktführer mit weltweit über 125 Millionen Nutzern will in diesem Jahr rund acht Milliarden Dollar ausgeben und bald die Hälfte seiner Inhalte selbst produzieren. Dazu zählen Serien, Filme, Dokumentationen und Comedy-Formate. Und Netflix, für selbst produzierte Serien wie „House of Cards“oder „Stranger Things“berühmt, ist mittlerweile in mehr als 190 Ländern zu empfangen. Also laufen Hollywood-Stars zu Netflix & Co. über. Jennifer Aniston sagte jüngst der Netflix-Komödie „First Ladies“zu – in der Rolle einer lesbischen US-Präsidentin. Will Ferrell schreibt für den Streaming-Dienst eine Eurovision-Komödie und soll auch selbst die Hauptrolle spielen. Nicole Kidman will mit ihrer Produktionsfirma Blossom Films künftig Filme und Serien für die Amazon Studios entwickeln. Ende 2017 gab der Online-Riese bekannt, er werde die Vorgeschichte der „Herr der Ringe“-Saga als TV-Serie auflegen. Die Erben des Autors J. R. R. Tolkien haben dem Prestigeobjekt zugestimmt.
Old Hollywood jedoch bläst mit eigenen Streaming-Diensten zur Gegenwehr. Der Disney-Konzern will ab 2019 gegen Gebühren eigene Filme exklusiv im Netz anbieten, darunter Produktionen der PixarTochter, Marvel-Hits und „Star Wars“-Abenteuer. Die bisherige Kooperation mit Netflix wird dann ein Ende haben. Das aber hilft den Kinobesitzern nicht weiter, die mit allen Mitteln versuchen, Zuschauer aus den Wohnzimmern in die Kinosäle zu holen. Dies könnte etwa mit technischen Gimmicks gelingen, wie Virtual-Reality-Stationen in Foyers oder mit besonderen Events wie Live-Übertragungen von Sportund Musikveranstaltungen – glaubt zumindest Jason Squire. Der FilmProfessor sieht eine weitere Nische: „Einer der spannendsten Bereiche ist der Online-Vertrieb in eigener Sache für Filme mit kleinem Budget“, sagt Squire. So, wie Autoren selber Bücher herausgeben, könnten Filmneulinge ihre Werke im Netz vermarkten und online abkassieren.
Netflix aber setzt auf eine altbewährte Vermarktungsstrategie – Plakatwände am Straßenrand, etwa entlang des viel befahrenen Sunset Boulevards zwischen Hollywood und Beverly Hills. Squire hält das für einen cleveren Plan: „Hier fahren wichtige Leute aus der Entertainment-Industrie lang, die Entscheidungen treffen.“Netflix wolle damit den Eindruck vermitteln, dass man mit den Studios auf einer Stufe stehe, so Squire. „Ich denke, das tun sie schon.“Barbara Munker, dpa