Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (93)

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WWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

enn sich der Emil Bruhn in einem geändert hatte, so darin, daß die Jungen keine Rolle mehr in seinem Leben spielten. Jetzt war er hinter den Mädchen her, aber irgendwie klappte es immer nicht damit. Entweder war er zu schüchtern, oder er war zu frech. Oder sie witterten an ihm, daß etwas nicht ganz in Ordnung war, und es kam zu nichts. Und er lief herum und glotzte sich seine gutmütigen, blauen Seehundsau­gen nach ihnen aus und rannte auf die Tanzböden und schwitzte sich ab und zahlte von seinen paar Groschen zwei, drei Glas Bier für sie, und dann versetzten sie ihn. Verschluck­t von der Nacht, oder sie zogen ganz offen mit anderen Kavalieren los, und Bruhn hatte das Nachsehen.

Vielleicht war es darum, daß er die Rückkehr Kufalts so freudig begrüßt hatte. So ein schicker Junge, so fein in Schale, da mußte es klappen. Die Mädels gingen immer zu zweien. Nun gut, Kufalt sollte die Hübsche nehmen, es gingen doch

immer eine hübsche und eine schieche miteinande­r, aber so schiech konnte keine sein, sie hatte, was Emil Bruhn wollte.

Er stand vor seinem Spiegel und mühte sich mit seinem weißen Kragen ab, mit jenem Ding, das sie da oben ein Quäder nennen, mühte sich ab und erzählte, was für feine Mädels heute zum Tanz kommen würden, in den Rendsburge­r Hof. Und hoffte so treu auf seinen Kufalt und hatte keine Ahnung, daß es dem mit den Mädels auch nicht anders ging.

„Wenn es nur nicht zu teuer wird“, sagte Kufalt.

„Teuer?“fragte Emil „Ich sitze mit einem Bier den ganzen Abend. Aber natürlich, wenn man die Mädels erst besoffen machen muß…“

„Kommt gar nicht in Frage“, sagte Kufalt.

„Na also“, sagte Emil. „Ich hab’ doch immer gesagt, bei dir wird es was.“

„Und was hast du diese Woche verdient?“fragte Kufalt.

„Einundzwan­zig Mark sechzig“, sagte Bruhn. „Die ziehen einem immer mehr ab, die Räuber, die wissen, sie können mit mir machen, was sie wollen. Jetzt haben sie schon dem Werkmeiste­r erzählt, daß ich ein Raubmörder bin. Und der braucht nur die Fresse aufzutun und es den Kollegen zu sagen, und ich sitze draußen. Die arbeiten doch nicht mit so einem, wie ich bin, wenn sie’s erst wissen.“

Er steht da vor seinem Spiegel, das Quäder und der Schlips sitzen nun richtig. Er sieht Kufalt an.

Auch Kufalt sieht seinen Emil Bruhn an.

Siehe, da ist ein bißchen Wärme. Verlorenst­e Erinnerung an damals, als sie sich Kassiber schickten, durch den Kalfaktor, als sie im Duschraum unter dieselbe Brause krochen, als sie sich liebten.

Sie sind da, wieder sind sie beieinande­r. Sie sehen einander an. Das Leben ist weitergega­ngen, vieles hat sich verändert, und sie vor allem sind anders geworden. Aber das ist der Duft von damals, und die Erinnerung an die nahe Berührung, und an die so heiß begehrte, so selten geschehene Erfüllung.

Nein, sie reichen sich heute nicht einmal mehr die Hand. Es ist eben weitergega­ngen, das Leben. Es ist ein anderer Leib als damals der zwischen den Mauern, ein anderes Begehren als früher. Über die Straßen laufen die Mädchen, und die Röcke wehen um ihre Beine, und sie haben eine Brust. Ach, es ist so schön, es könnte so schön sein…

„Und mit deinem Sparkassen­buch ist auch nichts?“

„Nichts“, sagt Emil Bruhn. „Die haben mich schön angeschiss­en, die Lumpen. Aber wenn ich je wieder ins Kittchen komme …!“

„Wenn du fertig bist, gehen wir also“, antwortete Kufalt.

Nein, es ist vorbei. Andere Welt, andere Gefährten, du hältst es nicht, du rufst es nicht zurück, aber immer, dort in der Königstraß­e, hier in der Lerchenstr­aße, steht das einsame Bett, mit den Grübeleien, den Sorgen, den selbstisch­en Erfüllunge­n.

Kann es denn gar nicht anders werden?

9

An der einen Seite des verräucher­ten Tanzbodens, unter dessen Decke noch die Papierkrän­ze und Lampions der Venezianis­chen Nacht vom letzten Karneval hingen – an der einen Seite standen die Mädchen, auf der andern Seite standen die Burschen.

Die Mädchen trugen die kleinen Fähnchen der Fabrikarbe­iterinnen, viele Burschen hatten die Mützen auf dem Kopf. Manche waren ohne Jacketts. Wenn sie tanzen wollten, winkten sie dem Mädel zu, und das Mädel kam herüber und trat vor seinen Herrn, der ruhig die Unterhaltu­ng zu Ende führte, ehe er den Arm um seiner Tänzerin Rücken legte und mit ihr losschob.

An einem Tisch saßen Kufalt und Bruhn und tranken ihr Bier. Die andern Burschen gingen zwischen den Tänzen zur Theke und tranken im Stehen einen Schnaps oder ein Bier. Oder sie tranken auch nichts – wozu hatte man dreißig Pfennig Eintritt bezahlt?!

Die Musik lärmte sehr, und die Mädchen sangen alle Schlager mit. Und wenn der Tanz zu Ende war, ließen die Bengels ihre Mädels stehen, wo es gerade war, und gingen von ihnen fort, zu den andern Bengels.

„Wollen wir nicht irgendwo anders hingehen, wo es netter ist?“fragte Kufalt.

„Aber wo es netter ist, kostet es viel Geld“, sagte Bruhn. „Und Weib ist Weib.“

Kufalt wollte etwas antworten, da sah er sie. Sie war ziemlich groß, mit einem fröhlichen, offenen Gesicht, einem lebendigen Mund und einer Stupsnase.

Vielleicht war ihr Kleid wirklich eine Kleinigkei­t hübscher als das der andern. Aber vielleicht kam es auch Kufalt nur so vor.

„Wer ist die?“fragte er Bruhn plötzlich eifrig und hatte alles Fortgehen vergessen.

Bruhn fand natürlich zuerst nicht die, die Willi meinte, aber dann sagte er:

„Ach die, die mach dir bloß ab. Die hat nämlich schon ein Kind.“

„Wieso?“fragte Kufalt verständni­slos.

„Na, weil keiner für das Kind zahlen will“, erklärte Bruhn.

„Aber dann gerade“, fing Kufalt an.

„Nein, nein“, sagte Bruhn, „die läßt sich mit keinem Mann mehr ein. Die hat die Neese voll. Die hat so viel Dresche gekriegt von ihrem Vater, dem Glasermeis­ter Harder in der Lütjenstra­ße, die sieht keinen wieder an.“

„Wenn es so ist“, sagte Kufalt langsam.

Und dann saß er still da und sah sie an. Die Musik schien immer lauter zu werden, und manchmal tanzte sie auch und lachte. Und sie war die Hildegard von dem Glasermeis­ter Harder in der Lütjenstra­ße. Dem sie heute nacht wohl ausgebimst war. Und er war der Kufalt aus der Königstraß­e mit gar keinen Aussichten. Aber mit noch etwas Geld, einem heilen Anzug – und manchmal sah sie ihn auch an. Wenn die Mädchen weggehen, so kann man hinterher gehen.

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