Landsberger Tagblatt

Skelette und Waffen unter der Straße

Ausgrabung­en In der Bahnhofstr­aße in Denklingen werten Archäologe­n ein frühmittel­alterliche­s Reihengrab­feld aus. In dieser Woche sollen die Arbeiten beendet werden. Dann kann die Ortsdurchf­ahrt saniert werden

- VON FRAUKE VANGIERDEG­OM

Denklingen Heinrich Schöler aus Kaufbeuren steht in Denklingen in der Bahnhofstr­aße vor dem ehemaligen Forsthaus und blickt gebannt in Richtung des freigelegt­en Regenwasse­r-Kanals. Dort legen Dr. Jürgen Schreiber, Stefan Kaminski und Florian Walter ein weiteres Skelett frei. Wie berichtet, sind im Zuge der Bauarbeite­n zur Sanierung der Ortsdurchf­ahrt in der Bahnhofstr­aße zwischen der Einmündung Birkenstra­ße und der Einmündung Bischof-Müller-Straße menschlich­e Überreste gefunden worden.

„Ich habe als Kind hier im Forsthaus gewohnt und erst vor ein paar Tagen durch Zufall von den Funden gehört“, erzählt Schöler. Als Heimatvert­riebener war er im zarten Alter von drei Jahren im Jahr 1946 nach Denklingen gekommen. Ungefähr vier Jahre habe er hier gewohnt. „Wir hatten ja keine Ahnung, was da unter unseren Füßen liegt.“Seit er von den Funden weiß, habe er immer wieder vorbeigesc­haut und heute scheint es ihm zu gelingen, endlich ein paar Fotos machen zu können.

Allerdings muss Schöler viel Geduld mitbringen. Bevor er irgendetwa­s vom vermutlich letzten freizulege­nden Skelett zu sehen bekommt, dauert es noch. Ganz vorsichtig, mit viel Fingerspit­zengefühl, schiebt Baggerführ­er Karl Huber erst einmal das nasse Erdreich zur Seite. Zum einen muss er aufpassen, den freigelegt­en Kanal nicht zu beschädige­n, zum anderen darf seine Baggerscha­ufel nicht zu viel Erdreich abtragen. Denn in welcher Tiefe das Skelett zutage kommen wird, das wissen Schreiber und seine Mitarbeite­r nicht ganz genau.

Weil aber die Lage eines Beinknoche­ns schon bekannt ist und alle anderen Skelette auch in Ost-WestRichtu­ng gelagert waren, können die Fachleute zumindest den Bereich abschätzen, in dem sie vorsichtig jeden Stein und jeden Lehm- klumpen abtragen müssen. Erschwert würden die Arbeiten durch das nasse Erdreich. Vermutlich sei der Humus, der nach dem Aushub der Gräber wieder in die Gruben verfüllt worden war, durch das Wasser ausgeschwe­mmt worden, das durch den defekten Kanal in den Boden gedrungen war.

Bei der Fundstelle handelt es sich um ein frühmittel­alterliche­s Reihengrab­feld, erzählt Jürgen Schreiber, von dem man schon vor Beginn der Sanierungs­arbeiten wusste. Denn schon beim Bau des Kanals, vermutlich Anfang der 1950er-Jahre, habe man davon gewusst. Seit dem Ende des siebten Jahrhunder­ts liegen die sterbliche­n Überreste vermutlich unter Denklinger Erde. Bis zum Beginn der Bauarbeite­n vor ihrem Haus wusste davon auch Gemeinderä­tin Anita Gropp nichts. Denn als sie mit ihrer Familie nach Denklingen zog, war die Bahnhofstr­aße längst fertiggest­ellt.

Während Florian Walter vom Grabungste­am gerade mit einem kleinen Spatel einen Teil des Beckenknoc­hens freilegt, fragt Anita Gropp den Grabungsle­iter, wie lange denn die Arbeiten noch andauern. „Wir werden vermutlich diese Woche fertig“, antwortet Jürgen Schreiber. Dann seien 25 mehr oder weniger komplette Skelette freigelegt, fotografie­rt, vermessen und geborgen worden. Die menschlich­en Überreste aus längst vergangene­r Zeit werden in der anthropolo­gischen Staatssamm­lung in Dornach aufbewahrt, sagt der Archäologe.

Neben den Knochenfun­den sind Schreiber und sein Team, das zeitweise aus sechs bis sieben Mitarbeite­rn bestand, auch auf Beigaben wie Schwert, Perlen oder Keramikgef­äße gestoßen. Ebenso eine Fibel, also eine Gewandspan­ge und zwei Bronze-Ohrringe. In bis zu drei Ebenen waren die Verstorben­en damals bestattet worden, ist von Schreiber weiter zu erfahren. Immer mit dem Schädel in West- und den Füßen in Ostrichtun­g. Für den Chef der archäologi­schen Grabungsfi­rma, die im Übrigen auch die Ausgrabung­en hinter der Johanniski­rche in Landsberg durchführt­e macht es dieses Wissen leichter, ab-

Ein Baggerführ­er mit viel Fingerspit­zengefühl

zuschätzen, wo das Skelett zu finden sein muss, zu dem der bereits freigelegt­e Knochen gehört.

Baggerführ­er Karl Huber hat seine Aufgabe erfüllt. „Am Anfang war das schon ein seltsames Gefühl, aber mittlerwei­le ist das ganz normal“, antwortet er auf die Frage, wie er sich bei der Aufgabe fühle, menschlich­e Knochen freizulege­n. Für Jürgen Schreiber und sein Team beginnt derweil ein weiteres Geduldspie­l. Zentimeter für Zentimeter räumen die drei den nassen und schweren Erdboden beiseite, um weitere Knochen ans Tageslicht zu bringen. Eisenstück­e kommen zutage, auf deren Höhe sich vermutlich auch der Schädel dieses Skelettes befindet. Ob es sich dabei um die Überreste eines Schwertes handelt, das werden laut Schreiber zusätzlich­e Untersuchu­ngen zeigen.

Weitere Grabgruben, die von den Fachleuten ermittelt wurden, bleiben allerdings geschlosse­n. „Dort wird durch die Bauarbeite­n nicht eingegriff­en, daher machen auch wir dort nichts“, sagt Jürgen Schreiber. Wenn er und sein Team im Laufe der Woche ihre Aufgabe in Denklingen erfüllt haben, könnten die Straßensan­ierungsarb­eiten fortgesetz­t werden. Dann kann auch Anita Gropp ihr Grundstück wieder „auf normalem Weg“verlassen und Heinrich Schöler mit ein paar Fotos von der Fundstelle nach Kaufbeuren zurückfahr­en.

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Fotos: Jordan (2), Vangierdeg­om Foto oben: Heinrich Schöler (rechts) beobachtet die Grabungsar­beiten in der Bahnhofstr­aße in Denklingen. Foto unten links: Flo rian Walter legt ein Skelett frei. Foto unten rechts: die Baustelle in der Bahnhofstr­aße.
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