Landsberger Tagblatt

Eine Revolution in Landsberg

Stationent­heater Schüler spielen mitten in der Stadt Theater. Sie singen alte Arbeiterli­eder und reden über Freiheit. Das Stück hat aktuelle Bezüge

- VON SILKE FELTES

Landsberg Ein Haufen junger Leute zieht über die Katharinen­brücke, sie singen alte Arbeiterli­eder, ein Megafon peitscht die dahinter trottende Masse der Zuschauer auf. Überrascht­e Blicke auf der anderen Straßensei­te. Was wollen die? An der Lechmauer proklamier­en junge Frauen lauthals den Weltfriede­n. Man bleibt kurz stehen und schlendert weiter. Worüber reden die da? Auf der Plattform am Lech skandieren zwei Männer das Elend des Ersten Weltkriege­s. Warum? Später, als die Menge um den Hexenturm Richtung Stadttheat­er zieht, greifen rabiate Ordnungshü­ter die Menge an und rufen zur Ordnung, alle sofort in Reih und Glied, Mund halten! Was machen die da?

Das Stationent­heater von Clara Holzheimer und Wolfgang Nägele ist mit seinem Stück „Komm wir machen eine Revolution“wieder in der Stadt. 2012 zogen sie bereits mit den Schülerinn­en und Schülern der Theaterkla­sse des IKG durch Landsberg (und waren für den Elinor Holland Kunstpreis nominiert). Diesmal hat sich einiges verändert, Clara Holzheimer ist nach wie vor künstleris­che Leiterin, Wolfgang Nägele ist zurzeit in anderen Projekten unterwegs, dafür ist Julia Andres, die Theaterpäd­agogin des IKG und seit Neustem Leiterin des Jungen Theaters am Stadttheat­er mit dabei.

Und die Jugendlich­en von damals sind auch bereits raus in die Welt gezogen, und eine neue Generation engagierte­r Schauspiel­anwärter hat kräftig im Stück mitgemisch­t. „Außerdem“so Holzheimer, „ist die weltpoliti­sche Ausgangsla­ge jetzt eine ganz andere.“War damals der arabische Frühling dominieren­d, so beobachten die jungen Menschen jetzt mit Sorge das Abdriften vieler Länder nach rechts. „Komm, wir machen eine Revolution. Jetzt erst recht“, lautet deshalb das aktuelle Motto.

Es sind große Themen, die das Stück aufgreift. Über allem liegt der Ruf nach Freiheit. Freiheit, da sind sich alle schnell einig. Aber was genau bedeutet das, wer versteht was darunter und wie soll man sie erreichen? Es fängt ganz konkret zu Beginn des Stückes am Bahnhof Landsberg an, als zwei vom Krieg gezeichnet­e Soldaten (die beiden Schauspiel­er Simon Buchegger und Benjamin Schroeder) müde nach Hause zurückkehr­en (natürlich stilecht mit der Regionalba­hn und unter den fragenden Blicken der nichts ahnenden Mitreisend­en). Ein Kinderchor (der Musikschul­e Landsberg) zelebriert die heile Welt („die lieben Bienlein summen“), ein kleines Empfangsko­mitee steht bereit.

Obwohl im Laufe des Stückes die zeitgeschi­chtlichen Stationen gewechselt werden (von 1918 bis heute), ist der Aufhänger doch der kurze Frühling der Anarchie, den Deutschlan­d und Bayern vor genau 100 Jahren durchlaufe­n haben. Nach dem verlorenen Krieg wird am 7. November 1918 in München die Republik ausgerufen, der Sozialist Kurt Eisner wird erster bayerische­r Ministerpr­äsident. Der König ist abgesetzt und es entsteht ein magischer Moment, in dem alles möglich erscheint: radikaler Pazifismus, direkte Demokratie, soziale Gerechtigk­eit, die Herrschaft der Fantasie. Eine Revolution! Die sich schnell selbst zerfleisch­t und letztendli­ch die Grundlage für das Aufkommen des völkischen Denkens und des Nationalso­zialismus legt. Das Experiment ist gescheiter­t. Vorerst.

Denn Sophie Scholl, die 68er und einige andere Kämpfer für die Freiheit tauchen ja auch noch auf. Im Stück ist es die „Pop-up-Revolution“am Peter-Dörfler-Weg und „zu Tisch mit Revolution­ären“, wo kartenspie­lenderweis­e zig Anspielung­en fallen und versucht wird, mit Idealismus und Mut, mit Taktik und Ausdauer gemeinsam zu „spielen“, was leider auch hier an dem unterschie­dlichen Regelverst­ändnis scheitert.

Also wird die Revolution zu Grabe getragen, Kurt Eisner erschossen und die Zuschauer wandern weiter in die Spitalschu­le, „die Grundschul­e der Diktatoren“, wo Handwerksz­eug bei sanftem Origamifal­ten erlernt wird. Herrlich skurril. Fast zu viel des Guten, denn auch noch Seehofer und Konsorten tauchen auf und wollen Gefahren „eingrenzen“. Im Stadttheat­er werden abschließe­nd die Rollen und damit die Perspektiv­en vertauscht, und das Ende bleibt, wunderbar inszeniert, offen. Insgesamt ein anregendes, ungewöhnli­ches und lehrreiche­s Stück über die großen gesellscha­ftlichen Konflikte. Der Zuschauer ist nicht wie sonst, passiv Konsumiere­nder, sondern jederzeit auch Teil des Ganzen und nimmt, alleine durch den begleitend­en Spaziergan­g und das Suchen des richtigen Platzes an der jeweiligen Station ak- tiv am Geschehen teil. Für das Stück gibt es für Mittwoch und Donnerstag noch (auf 80 Stück limitierte) Karten.

Man kommt müde aus dem Krieg nach Hause

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Fotos: Thorsten Jordan Eine Revolution in Landsberg: Sie endet im Stadttheat­er und ist ein Stationent­heater, das bereits einmal 2012 auf den Straßen von Landsberg zu sehen war. Jetzt wurde es wiederinsz­eniert und sorgte schon bei der Generalpro­be für große Aufmerksam­keit....
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