Die unglaubliche Kreativität von Brahms
Stadtpfarrkirche Christoph Schoener aus Hamburg beim vierten Konzert des Orgelsommers
Landsberg Da hat Johannes Brahms wohl viel Eindruck auf Clara Schumann, die Witwe von Robert Schumann, machen wollen. Sein Opus 24, „Variationen und Fuge über ein Thema von Händel“widmete er im Jahr 1861 der 14 Jahre älteren Pianistin zum Geburtstag. Was für ein verflucht kreativer Kopf dieser 28-jährige, gebürtige Hamburger gewesen ist, durften die rund 100 Besucher am Samstag beim vierten Konzert des Landsberger Orgelsommers hören.
Am großen Instrument der Stadtpfarrkirche intonierte Christoph Schoener, Organist seit 1998 von St. Michael in Hamburg, am Vormittag dieses gewaltige Stück Orgelliteratur. Das ist ein ungewöhnliches Orgelwerk, das Brahms zu seinen Lieblingsstücken zählte. Der Komposition liegt ein Thema zugrunde, das aus der ersten Suite der zweiten Sammlung von Georg Friedrich Händels „Suites de pièces pour le clavecin“aus dem Jahr 1733 stammt.
Spannend ist hier zu hören, dass der Komponist nicht nur die Melodie variiert, wie das etwa Beethoven bei den Diabelli-Variationen gemacht hat, sondern auch Rhythmus und Harmonik. Übrigens hatte der junge Brahms das Werk für Klavier eingerichtet, und zwar in der Tonart B-Dur, die Orgelfassung stammt von der kanadischen Komponistin Rachel Laurin, Jahrgang 1961. Von B-Dur sprach Robert Schumann als der „Liebestonart“. Wir können davon ausgehen, dass Johannes Brahms das gewusst und diese Tonart bewusst für seine angebetete Clara gewählt hat. Wer nur einen flüchtigen Blick auf die Bezeichnungen der 25 Variationen wirft, erkennt sofort, wie unterschiedlich diese teilweise minutenkurzen Varianten sind.
Zwei Stücke gab es nur an diesem Samstagvormittag. Manchem vielleicht zu wenig. Mit der Toccata in D-Dur aus Werkeverzeichnis 912, von Johann Sebastian Bach eröffnete Schoener die Matinee. Eine frühe Arbeit, die wohl zwischen 1703 und 1707 vom jungen Bach im thüringischen Arnstadt komponiert wurde. Mit „toccare“, woher der Name „Toccata“kommt, meinte die Musik zunächst nur ein Laufenlassen der Finger über die Tastatur. Daraus ist insbesondere in Deutschland eine Form entstanden, in der kurze Fugenabschnitte und freie Teile einander ablösen. Den Schluss krönt eine längere Fuge. Mit einer Toccata haben Organisten die Leistungsfähigkeit einer Orgel geprüft. Bach war bereits im Alter von 20 Jahren ein begehrter Orgelsachverständiger. Wen wundert es, dass er mit einem solchen Stück Orgeln prüfte. Mit einem eben für Toccaten typischen schnellen Lauf über das Manual begann das Werk in Mariä Himmelfahrt, dann kommen fanfarenartige Dreiklänge. Ein grandioser Showeffekt. Schoener, dem ECHO-Preisträger Klassik 2016 für die Einspielung sämtlicher Toccaten von Bach, ist es an diesem Tag zu verdanken, dass auch dieses selten gespielte Werk in Landsberg aufgeführt wird. Zu Unrecht stehen die sieben Toccaten aus Bachs „Sturm und Drang“-Zeit nämlich im Schatten des wohltemperierten Klaviers und der Goldbergvariationen. Es ist ein Stück, das die Brillanz des gereiften Bach bereits in seinen frühen Arbeiten zeigt.
Zwei Stücke gab es bei der Matinee zu hören