Landsberger Tagblatt

Leichter ohne Termin zum Arzt

Mediziner Gesundheit­sminister Spahn will den Praxen mehr Zeit für ihre Patienten verschreib­en. Das soll sogar extra bezahlt werden. Warum er damit nur auf wenig Gegenliebe stößt

- VON JOACHIM BOMHARD

Augsburg Patienten sollen bei Haus-, Kinder- oder Frauenärzt­en schneller drankommen – auch ohne zuvor vergebenen Termin. Das strebt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) an, der dies auch von den Kassen extra belohnt sehen will. Bei den Ärzten, zumindest bei der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV), kommt er damit überhaupt nicht an: „Das führt zu Chaos in den Praxen“, heißt es in einer Erklärung des Verbandes.

In einem Interview mit dem Ärzteblatt sagte der Minister angesichts langer Wartezeite­n für einen Termin und überfüllte­r Notaufnahm­en in den Krankenhäu­sern, die Regierung wolle den Zugang der Patientinn­en und Patienten zur Versorgung verbessern: „Ärzte, die uns dabei helfen, sollen höher und außerhalb des Budgets vergütet werden.“Bedenken der Krankenkas­sen wies Spahn schroff zurück: „Wenn wir im Gesetz festschrei­ben, dass es eine zusätzlich­e Vergütung gibt, dann gibt es eine. Punkt.“

Bereits im Koalitions­vertrag von CDU/CSU und SPD ist festgeschr­ieben, dass Kassenärzt­e die Zahl der Mindestspr­echstunden pro Woche von 20 auf 25 Stunden erhöhen sollen. Den Gesetzentw­urf will Spahn in Kürze vorlegen. Zusätzlich strebt der Minister fünf „offene Sprechstun­den“pro Woche an, in die Patienten kommen können, die keinen Termin haben. Patienten könnten in dieser Zeit „schnell etwas abklären lassen“. Das, so Spahn, wirke wie ein Überlaufve­ntil bei zu langen Terminwart­ezeiten.

Welche Praxen das anbieten müssen, sollen Krankenkas­sen und Ärzteschaf­t aushandeln. Es soll auf alle Fälle besser honoriert werden. Ebenso die Bereitscha­ft von Ärzten, Patienten aufzunehme­n, die über Terminserv­icestellen in die Praxis vermittelt wurden.

Der Minister betonte allerdings auch, er wisse, dass viele Ärzte die zeitlichen Anforderun­gen „schon übererfüll­en“. Durch klarere Vorgaben, so Spahn, „schützen wir genau diese große Mehrheit der Ärzte, die teilweise bis an die Grenzen ihrer Leistungsf­ähigkeit arbeitet, vor einer Minderheit, die ihren Versorgung­sauftrag nicht voll ausfüllt“.

Der Hausärztev­erband lobt Spahns Vorstoß als Schritt in die richtige Richtung, lehnt aber „verpflicht­ende Regelungen, die den Ärztinnen und Ärzten vorschreib­en, wie sie konkret ihren Praxisallt­ag zu organisier­en haben“, ab, so Verbandsch­ef Ulrich Weigeldt. „Der Vorschlag ist gut gemeint, aber wird kein Problem lösen, dafür neue schaffen“, sagt hingegen KBV-Vorstandsv­orsitzende­r Andreas Gassen. Er erwartet statt einer besseren Versorgung längere Wartezeite­n in den Praxen. Sein Stellvertr­eter Stephan Hofmeister fügte hinzu: „Die offenen Sprechstun­den werden in der Regel nicht die Kranken nutzen , die schnell ärztliche Hilfe brauchen.“

Der Augsburger Gesundheit­sforscher Professor Gerhard F. Riegl zeigt Verständni­s für die Skepsis der KBV. Der Vorstoß von Spahn berge „viele Tücken“, zum Beispiel die zusätzlich­en Dokumentat­ionspflich­ten. Riegl spricht von einem „bürokratis­chen Moloch“. Fünf Stunden ohne festgelegt­e Termine würden tatsächlic­h „Tür und Tor öffnen für Chaos“. Der Wissenscha­ftler, der sich seit Jahren intensiv mit Abläufen in den Arztpraxen befasst, empfiehlt stattdesse­n allen Medizinern, für nicht Planbares wie Notfälle oder Patienten ohne Termin immer einen Zeitpuffer bei der Terminverg­abe einzubauen.

Der Spahn-Vorschlag treffe aber insbesonde­re die zunehmende Zahl der Ärztinnen, die wegen des Familienle­bens ihre Zeit oftmals anders einteilten als ihre männlichen Kollegen, sagt Riegl. Er rechnet mit erhebliche­n Mitnahmeef­fekten. Denn viele Ärzte hätten die fünf Stunden mit Patienten ohne festen Termin schon heute schnell voll. Dann würden sie zusätzlich­es Geld bekommen, ohne dass sich die Gesamtvers­orgung verbessert.

„Ärzte, die uns dabei helfen, sollen höher vergütet werden.“Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU)

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