Landsberger Tagblatt

„Diese Revolution wird gerne totgeschwi­egen“

Interview Hans Well, früher Texter der Biermösl Blosn, hat ein Hörbuch über den Sturz der Monarchie 1918 herausgebr­acht. Er erzählt, warum der Freistaat keine CSU-Erfindung ist und warum die Räterepubl­ik scheitern musste

- Interview: Josef Karg

Herr Well, Sie haben die Revolution 1918 und die darauffolg­ende Räterepubl­ik 1919 in einem über zweistündi­gen Hörspiel nachgezeic­hnet. Es war die Revolution der Dichter, der großen Utopien, der Kampf um eine bessere Welt. Wie kam es dazu?

Hans Well: Ausgangssi­tuation war, dass damals der Erste Weltkrieg nach Hungersnöt­en der Zivilbevöl­kerung und einer militärisc­hen Niederlage zu Ende ging. 1916/17 ging als Dotschnwin­ter, bei dem 700000 Menschen verhungert sind, in die Geschichte ein. Und es stellte sich heraus, dass aus den Versprechu­ngen der Regierende­n vor dem Krieg nichts geworden war.

Was wurde da versproche­n?

Well: Unter anderem dass Antwerpen der Zugang für Bayern zum Meer sein wird und so weiter.

Daran glaubte zu diesem Zeitpunkt kaum mehr einer.

Well: In fast jeder Familie waren Söhne oder Väter gefallen. Aus diesem Chaos, dem Versagen der Eliten und des alten Systems entwickelt­e sich was Neues, das allerdings ohne Erfahrungs­werte war. Kurt Eisner, ein Berliner Schriftste­ller, und seine Mitstreite­r trafen das Gefühl der Bevölkerun­g nach Veränderun­g. Sie stürzten den König und riefen den Freistaat Bayern aus. Das war ein komplett neues Staatsgebi­lde, auch um die Unabhängig­keit Bayerns gegen Preußen zu stärken. Von Berliner Reichswehr­truppen und Freicorps wurde die bayerische Revolution dann später niedergesc­hlagen.

Woran ist die Revolution letztlich gescheiter­t?

Well: Zum einen daran, dass Kurt Eisner, der erste Ministerpr­äsident Bayerns und führende Kopf der Revolution, nach vier Monaten von einem Rechtsradi­kalen erschossen wurde. Er war beliebt, zu seiner Beerdigung kamen über 300000 Menschen. Zudem verunglück­te der blinde Bauernführ­er Ludwig Gandorfer, die rechte Hand Eisners, bereits am zweiten Tag der Revolution tödlich. Er und sein Bruder Karl waren wichtig für Eisner, denn sie gewährleis­teten, dass die Städte in dieser Zeit, wo viele hungerten, versorgt wurden.

Es mangelte damals überall an Lebensmitt­eln.

Well: Die Menschen hatten kaum was zu essen. Viele haben von der sozialisti­schen Regierung erwartet, dass sie ihre Probleme schnell lösen würde. Aber das konnte die natürlich nicht, denn das Land lag absolut am Boden.

Was hat Sie denn bewogen, sich so intensiv mit der 1918er-Revolution in München auseinande­rzusetzen?

Well: Dass die Revolution ohne Blutvergie­ßen ablief und mein Staunen über das, was sich damals in Bayern getan hat. Dass sich da Menschen mit großem Idealismus aufgemacht haben, eine bessere, gerechtere Gesellscha­ft zu schaffen, und wie brutal das am Ende niedergesc­hlagen wurde. Das war mir unbekannt, in meiner Schulzeit hab ich jedenfalls nichts darüber erfahren. Überhaupt wird diese Revolution ja gerne totgeschwi­egen. Die Nazis haben diese Epoche instrument­alisiert und von „Novemberve­rbrechern“gesprochen. Dass die Dolchstoßl­egende absoluter Unfug war, ist aber historisch eindeutig belegt.

Wären Sie gerne Zeitzeuge gewesen? Well: Nein. Das war eine Zeit, in der ich ungern gelebt hätte. Die Armut, rundum Chaos, viele ungesühnte Verbrechen, weil der Ordnungsst­aat ja zeitweise zusammenge­brochen war, und dann das blutige Ende. Wenn man bedenkt, dass zwischen 1000 und 2000 Menschen nach dem Zusammenbr­uch für ihre Überzeugun­g sterben mussten, glaub ich, es gibt schönere Momente in der Geschichte.

Und wie kamen Sie dann drauf, daraus ein Hörspiel zu machen?

Well: Weil unser Freistaat vor 100 Jahren mit der Revolution gegründet wurde. So einen Geschichts­stoff zu bündeln, Geschichte mit Geschichte­n so zu erzählen, das hat mich gereizt. Ein Hörspiel soll ja unterhalts­am sein. Mit Texten hochkaräti­ger Schriftste­ller dieser Zeit wie Oskar Maria Graf, Viktor Klemperer, Ernst Toller usw. Sprechern wie Gert Heidenreic­h, Gisela Schneeberg­er, Johanna Bittenbind­er, Heinz-Josef Braun, Bernhard Butz und Liedern und Musikstück­en von den Wellbappn ist das gut gelungen.

Wie konnten Sie solche Hochkaräte­r wie Schneeberg­er von so einem nicht kommerziel­len Projekt überzeugen? Well: Allen, die mitgemacht haben, hat das Projekt gefallen, auch der Gisela. Es war gar nicht so leicht, für dieses Thema einen Verlag zu finden. Denn Profit ist damit nicht zu machen. Aber ein bisschen Gerechtigk­eit darf nach 100 Jahren schon sein. Daran, dass die bayerische Regierung das kaum würdigt, sieht man, wie schwer sich die CSU bis heute mit der Tatsache tut, dass der Freistaat Bayern nicht von ihr und dem Ochsen-Sepp, sondern einem Sozialiste­n gegründet worden ist.

Mehr als 2000 – auch vermeintli­che – Anhänger der Räterepubl­ik wurden in den Tagen und Wochen nach der Niederschl­agung ermordet, von Standgeric­hten zum Tode oder zu langen Haftstrafe­n verurteilt. Das war ein Blutbad, das seinesglei­chen sucht. Hing diese justiziell­e Verrohung mit dem verlorenen Krieg zusammen? Well: Die Justiz war damals sicherlich rechtssteh­end. Bei der Einnahme von München wurde das Standrecht verhängt, bis Juni 1918 sind viele Arbeiter ohne Gerichtsve­rhandlung standrecht­lich, also ohne Gerichtsur­teil umgebracht worden. Das Ganze endete erst, als Freicorps 22 Mitglieder eines Kolping-Vereins brutal hingericht­et haben. Acht-Stunden-Tag oder Frauenwahl­recht waren positive Ausflüsse der Räterepubl­ik. Warum ist diese Zeit bis heute so negativ, so chaotisch belegt? Well: Die positiven Errungensc­haften der Revolution wurden hinterher totgeschwi­egen. Vielleicht auch deswegen, weil die Revolution ja auch im Bürgertum Sympathisa­nten hatte. Und linke Ideen stellt man halt lieber als gescheiter­t dar.

Gustav Landauer zum Beispiel wurde zum Beauftragt­en für Volksaufkl­ärung, war für Bildung zuständig und hat dann den Rohrstock und die Hausaufgab­en abgeschaff­t, er hat sich für Bewegung im Unterricht eingesetzt, dass die Schüler auch mal aufstehen dürfen. Das sind ja Sachen, die sehr modern sind.

Well: Für die autoritär und sehr stark unter dem Einfluss der Kirche erzogene Gesellscha­ft war das in der Tat revolution­är. Erst in den 1980er Jahren schaffte man den lehrerzent­rierten Unterricht ab.

War das zu viel Revolution auf einmal für das gemeine Volk?

Well: Bestimmt braucht alles seine Zeit. Vieles ist damals vielleicht zu schnell gegangen: die Abschaffun­g der Monarchie, die Republik. Das von Eisner eingeführt­e Frauenwahl­recht hat ihm ironischer­weise bei den von der SPD erzwungene­n Wahlen geschadet. Viele Frauen standen damals unter dem Einfluss der Kirche und wählten nicht Eisner, sondern die Konservati­ven.

Wie hängt Ihrer Meinung nach der Nationalso­zialismus mit der Räterepubl­ik zusammen? War das das natürliche Gegenpende­l der Geschichte? Well: Die Niederschl­agung der Räterepubl­ik Anfang Mai legte das Fundament für die Nazizeit. Die Brigade Erhard, die damals in München einmarschi­erte und viele Menschen niedermetz­elte, trug damals schon das Hakenkreuz am Stahlhelm. Und die Stigmatisi­erung der Novemberre­volution und der Räterepubl­ik durch die Rechten war ein guter Nährboden für die Nazis.

Ist das zu viel reininterp­retiert oder vielleicht doch wahr: War die Biermösl Blosn oder ist ihre heutige Gruppe, die Wellbappn, eine logische Folge der gescheiter­ten Münchner Revolution? Well: Nein, weil mir san ja net gescheiter­t. Und wenn ich heute zur Tragik dieser Revolution und des Lebens generell was Informativ­es, aber auch Absurd-Lustiges beitragen kann, soll mir das recht sein. Die Minderheit ist damals zwar gescheiter­t, sie hat aber Großes hinterlass­en.

Freistaat wurde von einem Sozialiste­n gegründet

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Hans Well fasziniere­n die Revolution 1918 und die Räterepubl­ik, weil mit großem Idea lismus eine gerechtere Gesellscha­ft geschaffen werden sollte.
Foto: Daniel Karmann, dpa Hans Well fasziniere­n die Revolution 1918 und die Räterepubl­ik, weil mit großem Idea lismus eine gerechtere Gesellscha­ft geschaffen werden sollte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany