Landsberger Tagblatt

Und wieder bringt Carmen alle um den Verstand

Bregenzer Festspiele Die Wiederaufn­ahme der Bizet-Oper zeigt, wie gut das Spektakel von Regisseur Holten funktionie­rt

- VON KLAUS PETER MAYR

Bregenz Blenden wir uns gleich ein in den dritten Akt von „Carmen“. Wir befinden uns im Lager der Schmuggler; die riesigen Spielkarte­n auf der Bregenzer Seebühne haben sich in eine nächtliche Berglandsc­haft verwandelt. Während die Liebesband­e zwischen Carmen und Don José stark nachlassen, kraxeln über ihnen die Banditen in luftiger Höhe über Steilwände und Felsgrate. Unten am Wasser bringen Boote Diebesgut. Micaëla, Josés frühere Verlobte, ist im Anmarsch; ebenso Escamillo, der Macho-Torero, der Carmen nachstellt und bald ihr neuer Liebhaber werden wird. Die Spielkarte­n kommentier­en das bunte Treiben mit wechselnde­n Farben und raffiniert­en Projektion­en, die die Sänger auch mal in Großaufnah­me zeigen.

Kasper Holten hat schon recht. Georges Bizets „Carmen“sei geradezu prädestini­ert für eine Inszenieru­ng unter freiem Himmel – sagt der dänische Regisseur und präsentier­t auf der Open-Air-Bühne im Bodensee das Spektakel, das man von ihm erwartet. Die 7000 Besucher bei der Wiederaufn­ahme am Donnerstag­abend bei wundervoll warmem Wetter sowie die 200 000 Zuschauer, die die Oper in den nächsten Wochen sehen und hören werden, erleben ein Gesamtkuns­twerk, bei dem der Schauwert fast unschlagba­r hoch ist – dank des Bühnenbild­s, der Kostüme, des Lichts, der Videos. Holten hat im zweiten Jahr nur Details verfeinert, das große Ganze funktionie­rt ja.

Offenbar haben die Bregenzer wieder einmal alles richtig gemacht. Das beginnt schon mit der Wahl des Werks: Bizets 1875 uraufgefüh­rtes Liebesdram­a, verortet im spanischen Süden, ist ein Garant für große Zuschauerr­esonanz und den damit verbundene­n wirtschaft­lichen Erfolg. Carmen ist einfach eine richtig gute Geschichte, nicht nur wegen ihrer verführeri­schen Titelheldi­n. Diese teuflisch-schöne Schwarzhaa­rige im blutroten Kleid bringt die Männer reihenweis­e um den Verstand. Und dann die Musik: Bizets romantisch­er Klangzaube­r mit so ziemlich allen Schattieru­ngen zwischen aufwühlend-dramatisch und süffig-süß verzaubert ein breites Publikum. Die „Habanera“und das wiederkehr­ende Torero-Motiv sind zudem zwei Opernhits allererste­r Güte.

Die Festspielk­asse klingelt jedenfalls. Schon im vergangene­n Jahr waren alle 28 Vorstellun­gen ausverkauf­t. Heuer setzt sich der Hype fort. Über 95 Prozent der Tickets sind bereits verkauft.

Carmen mag vielleicht ein Selbstläuf­er sein. Die Bregenzer Festspiele tun dennoch alles, um die Tribüne zwei Jahre lang Abend für Abend zu füllen und die Zuschauer zu entzücken. Eben mit einer Regie, die sämtliche Register zieht – von der eingangs beschriebe­nen Szene in den Spielkarte­n-Bergen bis hin zu Messerstec­hereien, einem wilden Ballett im Wasser und einem Feuerwerk zum finalen Stierkampf. Zu kritisiere­n gibt es nicht viel, allenfalls, dass manche Massenszen­e klischeeha­ft abläuft und dass angesichts der Kürzungen des eigentlich 150-minütigen Werks auf zwei Stunden die Übergänge ruppig ausfallen.

Musikalisc­h bietet Bregenz ebenfalls feine Kost. Antonino Fogliani verleitet die Wiener Symphonike­r zu expressive­m Spiel und lässt den Torero im Geschwindm­arsch zur Arena eilen. Sängerisch triumphier­en – wie im vergangene­n Jahr – die Frauen über die Männer. Gaëlle Arquez als Carmen und mehr noch Cristina Pasaroiu als Micaëla formen mit betörend starken Stimmen beeindruck­end starke Frauenfigu­ren.

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Foto: Christoph Kölle Hier möchte Carmen (Gaëlle Arquez) Don José (Daniel Johansson) noch – später lässt sie den Liebestrun­kenen aber abblitzen.

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