Wenn Frau ständig aufs Klo muss
Urologie Viele Frauen leiden an einer Blasenschwäche, doch sie gehen nicht zum Arzt. Inkontinenz ist ein richtiges Tabu-Thema. Dabei gibt es viele effektive Therapien
Friedberg „Mir geht es super!“Aus Monika Müller (Name von der Redaktion geändert) sprudelt es nur so heraus, wenn sie von ihrem neuen Lebensgefühl erzählt. „Es ist jetzt ein gutes Jahr her, dass ich operiert wurde. Seitdem ist das eine ganz andere Lebensqualität.“Vor dem Eingriff, bei dem ihr ein Kunststoffband unter die Harnröhre gelegt wurde, war der Leidensdruck bei der 57-Jährigen groß. Eine Blasenschwäche hatte ihr im Alltag immer stärker zu schaffen gemacht. „Das hat sich mit der Zeit eingeschlichen. Die letzten fünf Jahre waren dann wirklich schlimm.“Schon bei kleinen Erschütterungen, etwa Husten oder Lachen, litt sie unter Harnverlust. „Ich habe mir deshalb das Trinken verkniffen und hatte Durst ohne Ende. Trotzdem hatte ich das Gefühl, ständig auf die Toilette zu müssen“, erzählt sie. Vor allem bei ihrer Arbeit als Chef-Serviererin in einem Café war das extrem lästig.
Auf Rat ihres Frauenarztes stellte sich die Friedbergerin in der Urologischen Klinik München Planegg vor. Nach mehreren Untersuchungen hieß es dort, dass eine Schlingen-Operation bei ihr Erfolg-versprechend sei. Das Kunststoffband unterstützt die Schließfunktion der Harnröhre beim Husten oder Niesen und verhindert dadurch, dass Urin abgeht. Müller entschied sich dafür. Der Eingriff sei keine große Sache gewesen: Am dritten Tag danach konnte sie schon nach Hause gehen, sechs Wochen lang musste sie sich schonen und durfte nichts Schweres heben. Seitdem, erzählt sie, fällt ihr alles leichter: „Ich kann jetzt auch beim Laufen husten und Es gibt auch Frauen, die zehn Einlagen pro Tag brauchen, ohne dass sie das stört.“
Blasenschwäche macht vielen Frauen zu schaffen. Es gibt Schätzungen, wonach jede dritte im Laufe ihres Lebens unter Inkontinenz leidet. Genaue Zahlen kennt niemand. „Die Dunkelziffer ist extrem hoch“, sagt Ricarda M. Bauer, Leiterin der Inkontinenzsprechstunde an der Urologischen Klinik der LMU München. „Viele Frauen akzeptieren Inkontinenz als naturgegebenen Alterungsprozess und gehen nicht zum Arzt.“Erst wenn die Situation dramatisch wird, suchen viele Betroffene Hilfe. „Es ist dann oft trau- rig zu sehen, dass sich die Frauen jahrelang herumgequält haben“, sagt die Ärztin. Hinzu kommt, dass sich die Beschwerden mit der Zeit fast immer verschlimmern. „Inkontinenz ist ein wahnsinniges TabuThema in unserer Gesellschaft“, kritisiert die Urologin. „Man spricht in unserer Gesellschaft über alles, über Sexualität und über Darmspiegelungen. Aber Kontrollverlust über die Blase ist etwas, was sogar oft in der Familie oder in der Partnerschaft verschwiegen wird.“
Monika Müller dagegen erzählt mit großer Offenheit von ihrer überwundenen Blasenschwäche. „Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Das ist ein Frauenleiden“, sagt sie. „Ich hatte zwei schlimme Geburten und habe körperlich immer schwer gearbeitet. Wenn man auf die 60 zugeht, muss man mit so etwas rechnen.“In der Tat erhöhen Schwangerschaften, komplizierte Entbindungen und harte körperliche Arbeit das Risiko, inkontinent zu werden. Auch eine Bindegewebsschwäche, chronischer Husten und Übergewicht können dazu beitragen. Nicht selten kommt es, gerade nach Geburten, auch bei jungen Frauen schon zu einer Belastungsinkontinenz. Nach den Wechseljahren sinkt der Östrogenspiegel, was eine weitere Schwächung der Beckenbodenmuskulatur nach sich ziehen kann. Da auch Muskeln und Halteapparat schwächer werden, steigt das Risiko einer Blasenschwäche mit dem Alter. Vielen Frauen macht in dieser Lebensphase auch eine „Dranginkontinenz“zu schaffen: Dabei spüren sie plötzlich dringend das Gefühl, auf die Toilette zu müssen, obwohl die Blase noch längst nicht voll ist. Oft kommt es zu einer Kombination aus Belastungs- und Dranginkontinenz, der sogenannten Mischinkontinenz. Auch hier kann – wie bei Müller – in manchen Fällen eine Schlingen-OP helfen.
Daneben gibt es aber eine große Palette anderer Behandlungsmöglichkeiten. „Es gibt allein an die 200 beschriebene Operationsmethoden“, sagt die Ärztin Ricarda Bauer. Ein Eingriff ist aber erst dann ein Thema, wenn „konservative Therapien“versagen. Und auch in diesem Bereich gibt es viele Methoden und Mittel: „Bei Belastungsinkontinenz ist Beckenbodentraining ganz wesentlich“, betont sie.
„Durch ein gutes, intensives Training erreicht man eine Erfolgsquote von bis zu 90 Prozent. Voraussetzung ist aber, dass man sich regelmäßig dafür Zeit nimmt.“Biofeedback-Geräte und Elektrostimulation können den Patientinnen dabei zusätzlich helfen, den Beckenboden besser zu spüren. Auch Vaginalkonen – das sind Kunststoffkegel, die man wie einen Tampon in die Scheide einführt – können zur Muskelstärkung beitragen. Daneben profitieren übergewichtige Patientinnen stark von einer Gewichtsreduktion, da der Beckenboden dauerhaft entlastet wird.
Lebensbedrohlich ist eine Inkontinenz zum Glück nicht. „Die permanente Nässe kann aber zu Entzündungen und Hautproblemen im Genitalbereich führen“, sagt die Urologin. Am schwerwiegendsten sind die Einschränkungen im Alltag. Deshalb rät sie Frauen, sich frühzeitig einem Arzt anzuvertrauen. In den meisten Fällen kann den Patientinnen geholfen werden. Und das ist für manche Frauen ein wahrer Segen. So war es jedenfalls bei Monika Müller: „Ich kann heute zehn Kilometer laufen, ohne auf die Toilette zu müssen. Und nachts muss ich nur dann aufstehen, wenn die Blase wirklich voll ist.“
„Kontrollverlust über die Blase ist etwas, was sogar in der Partnerschaft verschwiegen wird.“