Landsberger Tagblatt

Wer senkt die Steuern des kleinen Mannes?

Natürlich brauchen die Sozialkass­en ein Polster für schlechter­e Zeiten. Im Moment allerdings schwimmen sie im Geld. Also runter mit den Beiträgen!

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Im Paradies der Sozialpoli­tiker türmt sich das Geld. Die Reserven der gesetzlich­en Rentenvers­icherung haben mit 34 Milliarden Euro den höchsten Stand seit drei Jahren erreicht. Die Bundesagen­tur für Arbeit wird Ende des Jahres etwa 24 Milliarden Euro auf der hohen Kante haben, bei den gesetzlich­en Krankenkas­sen und ihrem Gesundheit­sfonds sind es 28 Milliarden Euro, ja selbst die Pflegevers­icherung hatte trotz steigender Ausgaben Anfang des Jahres noch ein kleines Polster von knapp sieben Milliarden Euro. Alles in allem addieren sich die Überschüss­e der Sozialkass­en im Moment auf gut und gerne 80 Milliarden Euro.

Die Beitragsza­hler, also die Beschäftig­ten und ihre Arbeitgebe­r, haben davon nichts. Im Gegenteil: Die von Union und SPD vereinbart­e Reduzierun­g der Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung um 0,3 Prozentpun­kte wird im ungünstigs­ten Fall durch eine Erhöhung der Pflegebeit­räge um 0,5 Punkte mehr als aufgefress­en. Das hieße: Trotz anhaltend hoher Einnahmen würden die Beitragsza­hler nicht entlastet, wie es sich gehörte, sondern sogar noch zusätzlich belastet.

Mit Angela Merkels Prinzip der schwäbisch­en Hausfrau, die in der Zeit spart, um auch in der Not etwas zu haben, lässt sich das schon lange nicht mehr begründen. Die Arbeitslos­enkasse, zum Beispiel, benötigt etwa 23 Milliarden Euro, um der steigenden Arbeitslos­igkeit in einer konjunktur­ellen Flaute Herr zu werden. Tatsächlic­h wird sie bis Dezember nächsten Jahres satte 30 Milliarden Euro angehäuft haben, sieben Milliarden mehr als die Bundesagen­tur benötigt. Doch anstatt die Beiträge jetzt beherzt zu senken, um 0,5 oder 0,6 Prozentpun­kte beispielsw­eise, sitzen vor allem die Sozialpoli­tiker der SPD auf dem Geld. Hier noch ein neues Förderprog­ramm, da noch ein paar Umschulung­en: Je voller die Kassen, umso größer die Begehrlich­keiten. Dabei sollte gerade die SPD nicht vergessen, dass die Beiträge zu den Sozialkass­en die Steuern des kleinen Mannes sind: Weil Geringverd­iener kaum oder gar keine Steuern bezahlen, können sie nur über niedrigere Beiträge entlastet werden.

Bei der Pflegevers­icherung und den Krankenkas­sen ist das angesichts der demografis­chen Entwicklun­g, des akuten Personalbe­darfs und des medizinisc­hen Fortschrit­ts schwierig, bei der Arbeitslos­enversiche­rung und auch bei der Rente hat die gute Konjunktur der Politik allerdings einen gewissen Gestaltung­sspielraum eröffnet. Was aber macht die Koalition daraus? Sie beschränkt sich bei der Arbeitslos­enversiche­rung auf das Mindeste und halst der Rentenkass­e lieber neue Lasten auf, als Beschäftig­ten und Betrieben eine kleine Aufschwung­dividende auszuzahle­n. Wie bei anderen Reformen auch holen sich die Koalitionä­re das Geld für die Erhöhung der Mütterrent­e nicht aus dem Steuersäck­el, sondern aus den Reserven der Rentenvers­icherung – obwohl es sich bei der Anerkennun­g von Erziehungs­zeiten um eine versicheru­ngsfremde Leistung handelt, eine Leistung mithin, für die der Staat als Ganzes aufzukomme­n hat und nicht nur die sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten und ihre Arbeitgebe­r.

Um einen knappen Prozentpun­kt könnten die Beiträge zur Rentenund zur Arbeitslos­enkasse sinken, wenn Union und SPD nicht auf der Bremse stünden. Das würde weder Löcher in unser dicht geknüpftes soziales Netz reißen noch eine Beitragsex­plosion in der nächsten Rezession nach sich ziehen. Im sozialpoli­tischen Paradies aber ist der Beitragsza­hler vor allem eines: Zahler. Ehe er etwas von seinem Geld zurückbeko­mmt, zahlen die Sozialvers­icherungen für ihre Milliarden­guthaben lieber Strafzinse­n an die Banken. Alleine bei der Rentenvers­icherung waren es im vergangene­n Jahr 49 Millionen Euro.

Das soziale Netz würde trotzdem nicht reißen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany