Landsberger Tagblatt

Der Film König

Porträt Artur Brauner ist der bedeutends­te Produzent der deutschen Nachkriegs­geschichte. Er drehte den „Tiger von Eschnapur“, „Das indische Grabmal“, „Old Shatterhan­d“und hunderte andere Streifen. Heute wird er 100. Warum ihm nicht nach Feiern zumute ist

- VON ROLAND MISCHKE

Berlin Als man Artur Brauner noch häufiger auf dem roten Teppich sah, war das ein Spektakel. Der Mann mit den riesigen Ohren, den ausgeprägt­en Augenbraue­n und dem sorgsam gestutzten Menjou-Bärtchen war dann ziemlich lustig, mitunter auch streitlust­ig. Schillernd auf jeden Fall. „Atze“– den Namen hatte ihm sein Freund Curd Jürgens verpasst – war ein berüchtigt­er Partylöwe, der seine Gäste auf Tischen tanzen ließ, pompöse Filmpremie­ren im Berliner Zoo-Palast feierte und selbst bei der Verleihung des Bundesverd­ienstkreuz­es gegenüber dem Bundespräs­identen seine Scherze zu machen pflegte. Auffällig war aber auch, dass, wenn er einen begrüßte, der Handschlag jedes Mal sehr weich ausfiel.

Ist das Sanftmut? Oder geht er vorsichtsh­alber zu jedem Deutschen, dessen Gesinnung er nicht kennt, auf Distanz? Brauner hat Augen, die schnell fixieren, alles wahrnehmen, alles aufsaugen. Gewinnt er aber einmal zu einem Gesprächsp­artner Vertrauen, kann er sehr herzlich sein.

Seit 2017 ist alles anders. Da starb Maria Brauner, nach 71 Jahren an der Seite ihres Mannes, im Alter von 90 Jahren. Sie war alt, völlig überrasche­nd kam der Tod nicht. Und doch war die Familie darauf nicht vorbereite­t. Die große Wohltäteri­n der jüdischen Gemeinde, für die sich Maria Brauner mehr als 60 Jahre ehrenamtli­ch engagiert hatte, begleitete ihren Mann bis zuletzt zu Veranstalt­ungen. Er, wichtigste­r Filmproduz­ent der deutschen Nachkriegs­geschichte, der mit seiner Firma CCC-Film hunderte Streifen drehte. Es geschah am hellichten Tag, Der Tiger von Eschnapur, Das indische Grabmal, Der brave Soldat Schwejk, Old Shatterhan­d, Der Schut, Durchs wilde Kurdistan – die Filmografi­e ist gigantisch. Und sie, die starke Frau hinter dem Film-König, fröhlich, mitteilsam, lebensklug und mit viel Einfluss.

Als sie starb, überkam ihn die große Leere. Seitdem meidet er die Berliner Gesellscha­ft, aus der er über Jahrzehnte seine Energie, seine Anerkennun­g gesogen hatte. „Sie hat mich jeden Moment meines Lebens glücklich gemacht“, sagt er. Deshalb gibt es heute, wenn Artur Brauner 100 Jahre alt wird, in seiner noblen Villa im Grunewald keine Feier. Immerhin, am 8. September soll zu Brauners Ehren im Zoo-Palast eine Gala stattfinde­n. Seine Tochter Alice Brauner, 52, sagt: „Mein Vater hat gute und schlechte Momente, aber er ist geistig völlig klar und streitet noch immer gern mit mir.“Da geht es dann um sein Erbe, die Central Cinema Compagnie. Inzwischen hat Alice als Geschäftsf­ührerin des CCC das Sagen auf dem Studiogelä­nde.

wurde 1918 als Abraham Brauner im polnischen Lódz geboren. Er war Sohn eines jüdischen Holzgroßhä­ndlers. Als die Judenhatz der Nazis begann, wurden 49 seiner Verwandten ermordet. Er selbst hatte sich mit seinen Eltern und vier Geschwiste­rn im damaligen Grenzgebie­t zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunio­n versteckt, bei Partisanen in der Nähe des Flusses San. „Zu zwölft in einer in die Erde gegrabenen Höhle“, erzählt er in seinen Memoiren. Lautes Sprechen war verboten, Feuer wurde nur bei starkem Nebel entzündet. Von seinem Überleben in der Nazi-Zeit gab Artur Brauner nie viel preis. Er kam 1946 in die Stadt der Mörder: Berlin. Er hatte einen Pappkarton, eine Idee, womöglich schon einen Plan – und ein Gelübde. Das hatte er sich selbst auferlegt. Im Sommer 1945 nahe der Autobahn von Lemberg, dem heutigen Lwiw, nach Kiew.

Ein Bauer nahm ihn damals auf einem Strohwagen mit. Der Feldweg führte am Wald entlang. Plötzlich stoppte der Bauer sein Pferd. Hier dürfe man nicht hin, sagte er, etwas Schlimmes sei passiert. Brauner sprang vom Wagen und lief über einen von Autoreifen ausgefahre­nen Weg. Die SS hatte in dem Wald kurz vor Kriegsende hunderte Juden erschossen. Danach flüchtete sie überhastet, das Massengrab wurde nicht mit Erde überdeckt. Auf der Spitze des Leichenber­ges lag ein Junge, etwa zwölf Jahre alt. „Er schaute mich mit offenen Augen an“, berichtete Brauner später. „Ich hatte das Gefühl, dass er mir sagte: ‚Du sollst uns nicht vergessen.‘“Brauners Erschütter­ung wirkte lebenslang nach, sein Gelübde vergaß er nie: „Du musst alles, was möglich ist, unternehme­n, um den Opfern des Nationalso­zialismus ein Denkmal zu setzen.“

Das erste Denkmal war „Morituri“(Sterbende), einer der ersten deutschen Filme, die den Holocaust thematisie­rten. Brauner drehte ihn 1947 in einem Wald nördlich von Berlin unter aberwitzig­en Umständen. Er bestach sowjetisch­e Soldaten mit Wodka und aus dem Westsektor herausgesc­hmuggelten Lebensmitt­eln, als Statisten zu agieren. Schrecksch­usswaffen gab es nicht, die Rotarmiste­n schossen mit scharfer Munition. Für den Film hatte sich Brauner Geld erbettelt, unter anderem von seiner Schwiegerm­utter. Die Premiere fand in Hamburg statt, die Menschen im Saal verfolgten ungläubig das Geschehen auf der Leinwand. Der Film wurde danach regelrecht boykottier­t. Es war auch Brauners eigene Geschichte.

In seiner Not verfilmte er das Lustspiel „Herzkönig“mit Hans Nielsen und Sonja Ziemann. Das füllte die Kinosäle. Dennoch brauchte er Jahre, um seine Schulden abzustotte­rn. Und was den Holocaust betraf, kam er zu der Erkenntnis: Die Leute wollen nicht wissen, was war. Sie wollen es nicht im Ganzen erfassen. Sie wollen lachen und vergessen.

kürzlich hat er seiner Enkelin Laura, die eine von ihm gefertigte Familiench­ronik las, erzählt: „Wärst du damals in einem Raum von 100 Personen gewesen, so wären 90 davon fähig gewesen, einen Juden umzubringe­n.“Die Judenverni­chtung in der NS-Zeit ist Artur Brauners Lebensthem­a. Nach dem Krieg, sagt er, habe er noch gedacht, Juden würden auf Händen getragen. „Ich war naiv“, gibt er zu.

Aber auch konsequent. Er, der alle Stars der fünfziger und sechziger Jahre, von Heinz Rühmann bis O. W. Fischer, nach Berlin holte, sagte anderen Stars ab. Denen, die einst auf der „falschen Seite“stan„Atze“

den. Marika Rökk beispielsw­eise schrieb er: „Ich werde nie mit Ihnen drehen, denn Sie haben 1937 Hitler schriftlic­h zu seinem Geburtstag gratuliert.“Oder Hildegard Knef. Sie war die Geliebte von Ewald von Demandowsk­y, einem Nazi und Chef der Filmfunkti­onäre. Auch sie kam ihm nicht in seine Studios.

Brauner hat 24 Filme über Opfer der NS-Diktatur produziert. Sie laufen ständig in der Gedenkstät­te Yad Vashem in Israel. Er akzeptiert­e, dass die meisten keine Kinohits wurden, erfüllte dafür aber sein Gelöbnis. Mit Gram denkt er an den Film „Hitlerjung­e Salomon“(1990) zurück, der von der deutschen AusErst wahlkommis­sion nicht für würdig befunden wurde, ins Rennen um den Oscar zu gehen. Das empfand er als Beleidigun­g. Einen Triumph gab es trotzdem: Der Film lief weltweit erfolgreic­h, 1992 erhielt er den Golden Globe. Brauner hatte erkannt, „dass Filme dem Publikum, nicht den Filmschaff­enden gehören“.

In 75 Jahren hat Artur Brauner hunderte Produktion­en in seiner CCC realisiert. Schlagerfi­lme mit Peter Alexander und Caterina Valente, Edgar-Wallace-Verfilmung­en, „Kudamm 59“für das deutsche Fernsehen, derzeit die Netflix-Serie „Dark“, oder der Film „Crescendo“, der demnächst ins Kino kommt, inspiriert von Daniel Barenboims West-Eastern Diva Orchestra, das zu gleichen Teilen aus Israelis und Arabern besteht. Bei „Konsumfilm­en“, wie er sie selber nennt, war er in sämtlichen Genres zugange. Sie hießen „Das Mädel aus der Konfektion“oder „Liebe, Tanz und 1000 Schlager“. Fast alle waren Kinohits, sie machten ihn zum wichtigste­n deutschen Nachkriegs­Filmproduz­enten.

Zu seinem Geburtstag hat er jede Menge Würdigunge­n erhalten. Aber es gibt auch, gemessen an der Wucht seines Lebenswerk­s, verblüffen­de Aussagen. Fragt man etwa den Filmemache­r und GrimmePrei­sträger Volker Heise, 56, wie er das Schaffen von Artur Brauner einschätzt, kommt die Antwort: „Ich kenne ihn so gut wie gar nicht. Er ist zwar eine Legende des deutschen Films, aber auch ihr Gespenst. Ich weiß schon, dass er einige gute Filme gemacht hat, aber ich habe keinen einzigen davon gesehen.“Heise ist durch die Living-History-Serie „Schwarzwal­dhaus 1902“und das Mammutproj­ekt „24h Berlin“, das 2014 einen ganzen Tag in der ARD lief, bekannt geworden.

Brauner selbst sagt: „Ich habe alles auserzählt.“Er fühle sich in den Ruhestand versetzt. Aber wenn ihm heute noch eine gute Idee käme, würde er morgen versuchen, sie

Tochter Alice führt heute seine Firma

In Berlin ist er beliebt – und gleichzeit­ig umstritten

umzusetzen. Noch immer hängt er an einem Projekt, das ihm versagt geblieben ist. Brauner wollte das Leben des deutschen Industriel­len Oskar Schindler verfilmen, der mehr als tausend Juden vor der Gaskammer bewahrte. Die Kulissen hatte er schon bauen lassen, aber die deutsche Filmförder­ungsgesell­schaft lehnte eine Unterstütz­ung ab. Steven Spielberg übernahm, die Deutschen waren raus. Der Film erhielt sieben Oscars.

In Berlin ist „Atze“Brauner beliebt und gleichzeit­ig umstritten. Er hat schon früh Häuser gekauft, dann ganze Straßenzüg­e im Westen der Stadt. Dabei hatte er nicht immer ein glückliche­s Händchen. 59 Immobilien musste er 2007 verkaufen, um Schulden zu tilgen; sie wurden zwangsvers­teigert. Die Banken, schimpft der Greis, hätten ihn reingelegt. Vor Jahren wollte er eine „Vereinigun­g zur Bekämpfung der Heuschreck­enplage“gründen. Das ließ er dann doch.

Lieber genoss er die angenehmen Seiten des Lebens. Zum Beispiel schöne Frauen zu betrachten. Seine Frau Maria nahm das locker. „So ein Flirt ist gut für seinen Blutdruck“, sagte sie. Dass er in 100 Jahren keinen Tag Urlaub gemacht haben will, ist dagegen kaum glaubhaft. Auch wenn er mit der Tochter, wie es heißt, fast täglich leidenscha­ftlich über Drehbücher diskutiert. Brauners Argument klingt schlüssig: „Sobald ich nicht mehr bin, kann ich aufhören zu arbeiten.“

 ?? Foto: Soeren Stache, dpa ?? Der Filmproduz­ent Artur „Atze“Brauner in seinem Wohnhaus in Berlin. Das Foto entstand kurz vor seinem 90. Geburtstag. Das Gemälde direkt hinter ihm zeigt seine Frau Maria in jungen Jahren.
Foto: Soeren Stache, dpa Der Filmproduz­ent Artur „Atze“Brauner in seinem Wohnhaus in Berlin. Das Foto entstand kurz vor seinem 90. Geburtstag. Das Gemälde direkt hinter ihm zeigt seine Frau Maria in jungen Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany