Landsberger Tagblatt

Wilder Westen in Europas Süden

Hintergrun­d In Italien häufen sich Übergriffe auf Ausländer. Die politische und gesellscha­ftliche Stimmung ist aufgeheizt

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Zehn Monate lang war Daisy Osakue nicht in Italien. Die Diskuswerf­erin, die ab 9. August an der Leichtathl­etik-EM teilnehmen will, studiert Rechtswiss­enschaften in Texas. Seit ein paar Wochen ist sie zurück in Turin und bereitet sich auf den Wettbewerb vor. Doch nicht ihre sportliche­n Ambitionen haben sie in die Schlagzeil­en gebracht, sondern ein Vorfall nahe ihrer Wohnung bei Turin.

In der Dunkelheit fuhren zwei Jugendlich­e im Auto an der 22-Jährigen vorbei und warfen ihr ein rohes Ei ins Gesicht. Osakue trug eine Hornhautve­rletzung am linken Auge davon. Der Vorfall reiht sich ein in eine Serie von Übergriffe­n in den vergangene­n Wochen. Die dunkelhäut­ige Leichtathl­etin erkennt Italien nicht wieder: „Nach meiner Rückkehr habe ich ein veränderte­s Land angetroffe­n. Es ist traurig, aber man spürt die Anspannung.“

Die Zuspitzung der Atmosphäre in Italien gegenüber als andersarti­g wahrgenomm­enen Menschen fällt zeitlich zusammen mit der rigiden Ausländerp­olitik der neuen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega, die einen unerbittli­chen Kurs gegen Einwandere­r fährt. Und das mit Rückendeck­ung der Wähler: 72 Prozent der Italiener äußerten sich in einer Umfrage positiv über die Politik von Innenminis­ter Matteo Salvini, der eine Kampagne gegen die Flüchtling­shelfer im Mittelmeer fährt, aber auch eine Verschärfu­ng eines sogenannte­n „Notwehr-Gesetzes“gegen Einbrecher anstrebt und über die sozialen Netzwerke die Stimmung anheizt. „Diesmal war es ein Ei“, sagt Diskuswerf­erin Osakue über den Angriff auf sie, „das nächste Mal könnte es ein Stein, eine Flasche oder was weiß ich was sein“.

Die Befürchtun­gen der für Italien startenden Sportlerin sind bereits eingetrete­n. Am Montag starb ein Marokkaner in Latina bei Rom. Anwohner hatten ein ihnen verdächtig­es Auto gesehen und waren diesem gefolgt. Bei der Verfolgung­sjagd kam das Auto des Marokkaner­s von der Straße ab. Hady Z. geriet in die Hände seiner Verfolger, die ihn verprügelt­en. Ob sein Tod durch den Unfall oder die Schläge eintrat, soll eine Obduktion klären.

Der Tod des Marokkaner­s ist der bislang dramatisch­ste Akt in einem Klima der Eskalation. Seit Anfang Juni wurden etwa ein Dutzend Gewaltakte vor allem gegen Afrikaner, aber auch gegen Sinti und Roma verübt. Längst beschäftig­t die Eskalation die Politik. Nur wenige Regierungs­mitglieder distanzier­en sich von Innenminis­ter Salvini. Staatspräs­ident Sergio Mattarella verglich Italien bereits mit einem gesetzlose­n Land: „Der Rassismus setzt sich in den Brüchen der Gesellscha­ft fest.“

Innenminis­ter Salvini hingegen bestärkt seine Sicht auf die Realität: „Die Italiener und die Regierung des Rassismus zu beschuldig­en, ist verrückt. Ich erinnere daran, dass in Italien jeden Tag 700 Straftaten von Ausländern begangen werden, also beinahe ein Drittel aller Delikte. Das ist der wahre Notstand, gegen den ich als Minister kämpfe.“

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Foto: Costantino, dpa Heizt er die Stimmung gegen Migranten so stark an, dass sie in Gewalt um schlägt? Innenminis­ter Salvini in einem Flüchtling­slager.

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