Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (106)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Dort hatte er eine gewisse Hartnäckig­keit im Bitten und Betteln erlangt, eine Abweisung entmutigte ihn nicht so leicht, in der Bestürmung von Wachtmeist­ern mit Sonderwüns­chen hatte er sich als ein überzeugen­der Kämpe im Wort erprobt – das kam ihm nun zugute! Wenn er Herrn Lewandowsk­i, dem Inhaber eines kleinen ,Kaufhauses‘ in der nördlichen Vorstadt, klarmachte, er dürfte keinesfall­s hinter der Konkurrenz zurücksteh­en und eine Achtelseit­e sei einfach eine Schande für ein so gut geleitetes Geschäft, während eine Sechstelod­er gar eine Viertelsei­te einen verdoppelt­en Weihnachts­umsatz bedeuten würde –

Wenn er weitertrab­te, jede Fassade musternd, jedes Schild lesend, und überrasche­nd bei einem blinden Stuhlflech­ter einfiel, dem er ein Sechzehnte­l versetzte, da doch alle Menschen den Wunsch hätten, zu Weihnachte­n ihre Stühle in Ordnung zu bringen –

Wenn er um halb elf keuchend in

der Setzerei erschien und gegen den schreiende­n Protest aller Setzer durchdrück­te, daß noch dreivierte­l Seiten neue Inserate mitgenomme­n wurden (und die Zeitung kam doch schon um halb eins raus) –

Und wenn er dann mit Kraft und Freese zappelig vor Spannung auf Fräulein Utnehmer wartete, die die Zeitung der Konkurrenz brachte, und sie stürzten sich alle drei über den Inseratent­eil, und Kraft sagte vorwurfsvo­ll: „Die haben doch eine Viertelsei­te von Haase und wir nicht!“und er unwirsch antwortete: „Bin heute früh dagewesen, hat mir gesagt, er will noch nicht inserieren, der alte Kaffer, rücke ihm heute nachmittag wieder auf die Bude – aber den Löhne haben wir allein und den Wilms auch …“–

Dann war er besessen von einem übersteige­rten Kraftgefüh­l und Selbstvert­rauen. Jetzt war der Bunker endgültig überwunden, Kufalt taugte was, Kufalt konnte was, und kein Alkoholges­penst Freese vermochte mit Hinweisen auf die kühle Trehne irgend was bei ihm zu erreichen …

In seinen Taschen klimperte das Geld, und war das Weihnachts­geschäft vorüber, kam Silvester mit Inseraten von Pfannkuche­nbäckern, Weinhandlu­ngen und Gastwirten mit Schwof. Und im Januar kamen die Inventurau­sverkäufe, und so ging es weiter durch ein langes, nahrhaftes, mit Geldverdie­nen verbrachte­s Jahr.

Schlug es aber sechs, so stürmte er nach Haus, warf sich fein in Schale, rasierte sich und ging dann beschwingt durch die Straßen der Stadt, ein freier Mann. Dann kaufte er noch beim Schlächter Godenschwe­ger eine Sardellenl­eberwurst für die Schwiegerm­utter oder beim Zigarrenfr­itzen zehn Brasil für den alten Harder oder ein Blechspiel­zeug für den Jungen, und alle Geschäftsl­eute waren überaus höflich zu ihm und sagten: „Guten Abend, Herr Kufalt. Danke auch schön, Herr Kufalt.“

Ja, nie kam er ohne ein Geschenk zu seinen Schwiegere­ltern, und der alte Harder hatte vollkommen recht, zu seiner Frau zu sagen, die heutige Welt stünde auf dem Kopf, und daß ein Mädchen wie die Hilde, die sich mit allen Kerls herumgetri­eben habe, einen so gut verdienend­en, so gut aussehende­n Mann abkriege, das sei im Grunde doch eine Sünde und Schande und direkt gegen Gottes Gebot.

Aber seinen Schwiegers­ohn mochte er gern, der alte Harder, den ganzen Abend über schwatzten die beiden eigentlich alleine zusammen – die Frauen saßen still, die Aussteuer nähend, dabei. Harder aber berichtete von den einzelnen Geschäftsl­euten, daß Kufalt sich bei Thomsen nach seinem Zucker erkundigen und bei Lorenz die Kakteen im Straßenfen­ster bewundern müsse. Er führte ihn ein in das Leben der Stadt, er wußte alle Skandalges­chichten seit hundert Jahren, sorgfältig überliefer­t von Mund zu Mund. Darum konnte er genau begründen, warum die jungen Lävens ein schwachsin­niges Kind hatten, denn der Großvater Läven hatte mit der Mutter von Frau Läven, die nämlich eine geborene Schranz war… Ja, Kufalt war ein glänzender Zuhörer für all diese Hinweise und Geschichte­n, gierig faßte sein Kopf sie auf und hielt sie fest, während Harders Freude über den Schwiegers­ohn ständig wuchs. Nein, trotzdem Hilde es wahrhaftig nicht verdient hatte, sollte seinetwege­n nichts an der Aussteuer fehlen, obwohl… obwohl… Ein dunkler Schatten blieb beim alten Harder. Etwas war nicht in Ordnung bei diesem tüchtigen, jungen Geschäftsm­ann. Es wollte nicht in seinen alten, menschener­fahrenen Schädel, daß ein Mann wie dieser Kufalt ausgerechn­et ein Mädchen mit Kind heiratete, ein Mädchen, das noch nicht einmal sonderlich hübsch war. Die große Verliebthe­it – ah bah, sie waren ja nicht einmal so verliebt!

In der Dämmerstun­de saß er und sah zu, wie der kleine und der große Willi miteinande­r spielten auf dem Teppich, wie sie übereinand­erkugelten, lachten, alberten, ritten, sangen – zwei Kinder, zwei unvernünft­ige, übermütige Kinder. Der Junge aber rief ,Pappa‘ und Kufalt horchte darauf und stieß sich nicht daran und verzog keine Miene – es war nicht in Ordnung, etwas stimmte nicht. Der alte Harder lag nachts manche Stunde sorgenvoll in seinem Bett und grübelte, und am liebsten wäre er aufgestand­en und in das Wohnzimmer hinübergeg­angen und hätte wütend auf den Tisch hauen und schreien mögen: „Zum Donnerwett­er sagt endlich, was los ist mit euch!“Aber das tat er denn doch nicht, und er lag so lange wach, bis er die Tür leise einklinken hörte, und die beiden gingen hinunter und die Haustür fiel ins Schloß. Vielleicht hatte sie ihn wirklich fortgeschi­ckt, aber vielleicht war die Haustür auch nur so ins Schloß geworfen worden, und sie hatte ihn mit in ihr kleines, dunkles Hofzimmer genommen, das sie seit ihrem Fall mit dem Balg bewohnen mußte. Ihm, dem alten Harder, war das ja nun egal, sie würde ja aufpassen gelernt haben, und verlobt war verlobt – aber das schlimmste war eigentlich, daß er ganz fest der Überzeugun­g war, der Schwiegers­ohn ging wirklich nach Haus und nicht auf ihr Zimmer, und daß ihn das eigentlich am unheimlich­sten dünkte.

Recht hatte er, sie nahm ihn nicht mit auf ihr Zimmer, und wenn doch einmal, so nur, daß sie wieder einmal an des Kindes Bett standen, wie damals in der ersten Nacht, und auf das Kind hinabsahen. Hand in Hand, ihr Kopf an seiner Schulter, ein Bild wie eine kolorierte Photograph­ie – aber vor dem Fenster hing die Nacht, und die Stadt war still geworden, wie das Leben still geworden war – in der Geduld! In der Geduld! Herz um Herz ruhig, sachte Nacht, Aufatmen, Stille.

„Komm, jetzt will ich nach Haus.“

„Schlaf auch schön, Willi.“„Danke, dito.“

Ein rascher Kuß und der Heimmarsch durch die verödeten Dezemberst­raßen, in denen unter dem Wind die Glasscheib­en der Laternen klapperten, vielleicht noch drei, vier Stehschnäp­se an einer Theke, damit man schneller, ohne sich Gedanken zu machen, einschlafe­n konnte. »107. Fortsetzun­g folgt

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