Was die Toten erzählen könnten
Geschichte In Denklingen haben Archäologen in frühmittelalterlichen Reihengräbern Skelette und Waffen gefunden. Ortschronist Paul Jörg hat sich mit den Alamannen beschäftigt
Bei Straßenausbauarbeiten in der Bahnhofstraße in Denklingen sind menschliche Knochen gefunden worden, die sich als Skelette entpuppten und in einem Reihengrab beerdigt waren (LT berichtete). Nach Schätzung der vor Ort arbeitenden Archäologen stammen die Relikte aus dem ausgehenden sechsten Jahrhundert. Dies veranlasste den Denklinger Heimatforscher Paul Jörg, einen Blick in die Verhältnisse und Vorkommnisse dieser Zeit in der Region zu werfen.
Denklingen Im ausgehenden sechsten Jahrhundert war das Voralpenland westlich des Lechs und östlich davon in einem Längsstreifen von den Alamannen besiedelt, die sich mit Kelten und Romanen vermischt hatten. In erster Linie waren sie einfache Bauern und handelten untereinander, mit Römern und mit anderen Germanenstämmen. Eine einheitliche Stammesführung der frühen Alamannen ist nicht nachweisbar. Mehrere Entscheidungsschlachten mit Niederlagen gegen die Franken zwischen 496 und 507 führten dazu, dass sie ihre nördlichen Gebiete an die Sieger verloren und auf ihrer Flucht in Rätien einfielen, das sich nach dem Abzug der Römer als ein neues Besiedlungsgebiet für sie erschloss. Viele heutige Siedlungen mit den Endungen -heim oder -ingen wurden in dieser Zeit von ihnen gegründet. Der Ostgotenkönig Theoderich stellte die Alamannen unter seinen persönlichen Schutz. Somit gerieten die Bewohner im allgäu-schwäbischen Voralpenland zu einem Puffervolk zweier miteinander rivalisierender Großmächte: den eher toleranten Ostgoten in Italien und den mit ihnen verfeindeten Franken. Im Frühjahr 743 kam es oberhalb von Epfach zu einer Auseinandersetzung mit den Franken, die, wenn auch nur als kurzer Vermerk, sogar in die Geschichtsbücher einging. Das Herzogtum Bayern war zu dieser Zeit ein unabhängiges, aber von den Franken abhängiges Reich.
Als die Franken nun vor 1275 Jahren auf der alten Römerstraße vom Bodensee kommend heranzogen, stießen sie an der Reichsgrenze bei Epfach auf ein natürliches Hindernis, den reißenden Lech. In Erwartung der fränkischen Streitmacht hatte sich Bayernherzog Odilo mit seinem Heer, in dem sich auch alemannische, sächsische und slawische Verbündete befanden, darunter auch etliche Einheimische, auf der gegenüberliegenden Hochebene verschanzt. Nach neueren Erkenntnissen soll sich auch der Alamannenherzog Theudebald an der Seite von Odilo befunden haben.
Ein päpstlicher Gesandter namens Sergius wurde von bayerischer Seite aus vermittelnd tätig und versuchte erfolglos, die Franken von einem Angriff abzuhalten. Nachdem sich die beiden Großheere 15 Tage lang gegenübergestanden hatten und die Franken deshalb bereits Spott und Häme über sich ergehen lassen mussten, überschritten diese im Schutze der Nacht – Historiker vermuten die Übergänge bei Mundraching und Apfeldorf – den Lech und fielen im Morgengrauen dem überraschten Heer in die Seite und in den Rücken. Es kam zu einem mörderischen Kampf, der trotz großer Verluste der Franken mit einer völligen Niederlage der bayerischen Liga endete. Das Schlachtfeld sucht man auf der Ebene zwischen Pürgen, Reichling, Apfeldorf und Rott.
Die Sieger durchstreiften danach 52 Tage plündernd und brandschatzend das Land, was vor allem zulasten der Zivilbevölkerung ging. Theudebald gelang es erneut, sich abzusetzen und der Bayernherzog konnte sich mit den letzten Resten seines Heeres hinter den Inn zurückziehen. Der zustande gekommene Friede glich nicht entfernt dem harten Strafgericht im Jahre 746 in Cannstatt, wo nach weiteren Aufständen ein Großteil der alamannischen Führungsschicht wegen Hochverrats hingerichtet wurde. Das Herzogtum Alamannien wurde nunmehr in fränkische Grafschaften aufgeteilt, was dessen Ende bedeutete. Bayern wurde unter fränkische Oberhoheit gestellt.
Beim Bestattungsritual der Alamannen fällt auf, dass sie ab Mitte des fünften Jahrhunderts die Bestattung in Reihengräbern von den Franken übernahmen. Bisher waren in alamannischer Tradition Brandbestattungen in kleinen Grabgruppen oder gar isolierten Gräbern üblich. Archäologisch sind solche Gräber schwer zu erfassen und durch die Verbrennung auch schlecht auszuwerten. Mit dem Wechsel zu den Reihengräbern ändert sich für die Archäologie die Quellenlage zum Positiven. Nun wurden umzäunte Friedhöfe angelegt, in denen die Toten in christlich zu deutender Ost-West-Ausrichtung, dicht nebeneinander gereiht, mit mehr oder weniger Grabbeigaben wie Schmuck, Waffen und Gefäßen mit Trank- und Speiseninhalt bestattet wurden. Dies spiegelt eine Gemeinschaft wider, die auch im Totenbrauchtum ihre Zusammengehörigkeit ausdrückt.
Ab dieser Zeit – bis um das Jahr 800 die Reihengräberfelder durch die Christianisierung wiederum zugunsten der Bestattung um die Kirche aufgegeben wurden – sind detailreichere Aussagen zu Sachkultur, Handwerk, Bevölkerungsstruktur, Krankheiten, Kampfverletzungen und Sozialstruktur möglich. Man darf deshalb gespannt sein, welche Erkenntnisse die Untersuchungen der in Denklingen gefundenen Skelette bringen werden.
Viele Siedlungen wurden damals gegründet
Von den Franken übernahmen sie Rituale