Landsberger Tagblatt

Stirbt das „Sie“aus?

Alltag Deutschlan­d macht sich locker und geht zum „Du“über

- VON MARGIT HUFNAGEL

Es wird so einiges gegeben haben, das ihn gestört hat an der eigenen Partei. Doch an einem Punkt, da zog er eine rote Linie, verließ sogar die wohlfeile Sprache der Diplomatie für eine Sekunde. „Ich muss sagen“, erklärte der inzwischen verstorben­e Altkanzler Helmut Schmidt einmal, „bei den Sozialdemo­kraten ist es üblich, dass die sich gegenseiti­g duzen.“Wahrschein­lich blies er erst einmal eine ordentlich­e Wolke Zigaretten­qualm in die Luft, um dann wieder anzusetzen: „Und ich finde das zum Kotzen. Ich finde das furchtbar.“Der Grandseign­eur der Politik war dafür bekannt, das Hamburger „Sie“zu pflegen: „Sie“plus Vorname. Wie aus der Zeit gefallen wirkt das heute, wo sich doch alle Welt duzt und das „Sie“eher als abfälliger Hinweis auf das eigene Alter verstanden wird. Das „Du“als Zeichen ewiger Jugend. Deutschlan­d macht sich locker und reißt sprachlich­e Barrieren ein. Die

Polizei wirbt im Kumpelton für Nachwuchs („Hast du das Zeug zum Cop?“), Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller lädt zum Fest der Deutschen Einheit mit dem Slogan: „Nur mit Euch“, und in den Berliner U-Bahn-Schächten mischt man das „Du“gleich mit einem Anglizismu­s. „Wenn ihr eure Fahrkarten nicht stempelt, habt ihr schnell 100 problems“, warnen die für flapsige Sprüche bekannten Berliner Verkehrsbe­triebe die Schwarzfah­rer. Stirbt das „Sie“also aus? „Im Zuge der Internatio­nalisierun­g verliert das Sie an Gewicht“, sagt der Wirtschaft­spsycholog­e Joost van Treeck. Vom Aussterben bedroht sei es aber nicht. „Insgesamt sind wir in Deutschlan­d noch sehr formal und werden noch lange beim Sie bleiben.“

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