Landsberger Tagblatt

Hat Einkaufen etwas mit Emanzipati­on zu tun?

Debatte Wirtschaft und Werbung haben die Frauenbewe­gung für sich entdeckt. Viele Feministin­nen befürchten jedoch, dass dadurch ein Ausverkauf ihrer Ideale stattfinde­t

- VON DORINA PASCHER »

„Feminist“steht in pinkfarben­en Lettern auf dem hellrosa T-Shirt. Es ist bei H&M für 9,99 Euro zu kaufen. Wer es etwas luxuriöser mag, der legt sich eine „Feminist“-Tasche der US-Designerin Michele Pred zu. Kleidung als Ausdruck der politische­n Haltung. Ganz gemäß dem feministis­chen Credo der 1970er Jahre: Das Private ist politisch. Kämpften die Feministin­nen von damals noch gegen das Abtreibung­sverbot, ist die Frauenbewe­gung mittlerwei­le in der Popkultur angekommen. Feminismus begeistert. Feminismus ist hip. Feminismus ist cool. Das haben auch Unternehme­n und die Werbeindus­trie erkannt. Sie nutzen feministis­che Rhetorik, um Frauen für ihre Produkte zu gewinnen. Den Preis zahlt die Frauenbewe­gung.

Eigentlich ist es der Durchbruch, den sich viele Feministin­nen wünschen. Serien wie „Girls“werden gefeiert, weil sie Frauen zeigen, die weder cellulitef­rei noch rasiert sind. Selbst Frauenmaga­zine, die früher noch mit Schlankmac­her-Pillen warben, geben sich feministis­ch: „20 starke Frauen, die du jetzt kennen musst.“Und im Internet wimmelt es von „feministis­chen“Produkten: Tragetasch­en mit dem Aufdruck „This is what a feminist looks like“(So sieht eine Feministin aus) oder eine Tasse mit der Aufschrift „Male Tears“(Männliche Tränen). Der Feminismus scheint im Alltag angekommen.

Doch viele Feministin­nen sehen die Verquickun­g von Emanzipati­on und Kommerz kritisch. Die Popkultur-Journalist­in Andi Zeisler hat in einem mehr als 300 Seiten langen Buch Kritik an dem – wie sie ihn nennt – „Wohlfühl-Feminismus“geäußert. Zeisler befürchtet: Produkte, die mit einer feministis­chen Botschaft werben, höhlen die Ziele und Ideale der Frauenbewe­gung aus. Statt für seine Rechte auf die Straße zu gehen und sich mit anderen Feministin­nen zu solidarisi­eren, reicht, so die Suggestion, ein schneller Griff in die Klamottenk­iste.

Der Feminismus aus dem Kleidersch­rank sei „dekontextu­alisiert“und „entpolitis­iert“, argumentie­rt Die Frauenbewe­gung werde zu einer schicken Mode ohne tiefere Botschaft. Um für Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er einzustehe­n, brauche es aber mehr als einen platten Abdruck auf dem Oberteil. Denn Klamotten haben es an sich, dass der Träger – oder in dem Fall eher die Trägerin – sie wieder ausziehen kann. Ob die feministis­che Gesinnung bleibt, wenn sich der Zeitgeschm­ack verändert? Das fragen viele Feministin­nen.

Auch die Werbewirts­chaft hat den Feminismus für sich entdeckt. Zusammenge­fasst in dem Neologismu­s „Empowertis­ement“. Das Wort setzt sich aus den beiden englischen Wörtern „Empowermen­t“, Selbstermä­chtigung, und „Advertisem­ent“, Werbung, zusammen. Das bedeutet: Werbekampa­gnen zunehmend den Eindruck erwecken, dass Konsum ein emanzipato­rischer Akt sei. In einem aktuellen Werbespot wirbt ein amerikanis­cher Rasiererhe­rsteller mit Frauen, die Achselhaar­e haben. Das Unternehme­n preist sich auf seiner Webseite als „die erste Damenrasie­rerMarke, die Haare zeigt“. Der Hersteller versucht, mit feministis­chen Rhetorik seine Rasierer an die Frau zu bekommen. Nur bewirken die Klingen das Gegenteil von dem, was in dem Werbespot propagiert wird.

Feminismus als Verkaufsar­gument, das ist nicht neu. Die britische Kulturtheo­retikerin Angela McRobbie hat in ihrem feministis­chen Standardwe­rk „Top Girls“bereits vor knapp zehn Jahren die Kommerzial­isierung des Feminismus als „Postfemini­smus“bezeichZei­sler. net. McRobbie kritisiert­e die neoliberal­e Prägung des modernen Feminismus. Am besten zusammenge­fasst in dem Motto: Frauen können alles erreichen – wenn sie nur wollen. Vorbild für diese Art des Feminismus ist Sheryl Sandberg, die seit zehn Jahren die operativen Geschäfte bei Facebook leitet. In ihrem Buch „Lean In“, zu Deutsch „Knie dich rein“, beschreibt Sandberg, was Frauen an einer erfolgreic­hen Karriere hindert.

Kulturtheo­retikerin McRobbie missbillig­t die Perspektiv­e des neoliberal­en Feminismus: Im Fokus würden gutsituier­te weiße Frauen aus der Mittelschi­cht stehen. Wäre Sandberg als zweifache Mutter alleinerzi­ehend gewesen oder hätte ihre Familie nicht ihr Studium an der Harvard Business School finanwolle­n zieren können, wäre sie niemals zu einer der bestbezahl­ten Frauen in den USA aufgestieg­en. Die Umstände, unter denen Frauen leben – Frauen mit anderer Hautfarbe, aus anderen Kulturen und mit geringen finanziell­en Mitteln –, lässt der neoliberal­e Feminismus außer Acht.

Ideell unterstütz­t wird McRobbie durch ihre Landsfrau Laurie Penny. Die Engländeri­n knüpft mit ihrem Buch „Fleischmar­kt“an die Rhetorik des Feminismus der 1970er Jahren an. Ihre These: Jeden Tag suggeriert die Werbung den Frauen, dass sie „nicht jung genug, schlank genug, hellhäutig genug und willfährig genug sind“. Frauen hungern, um nicht zu viel Raum zu beanspruch­en. Frauen kaufen Unmengen an Schönheits­produkten, weil sie erhoffen, dass Lippenstif­t, Shampoo oder Körperloti­on sie zu einer in der Gesellscha­ft anerkannte­n Person machen. Spitz formuliert Penny: „Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtsc­haft über Nacht zusammenbr­echen.“

Es gibt Tassen mit „Männlichen Tränen“

Nein zum Konsum unter feministis­chem Deckmantel

Der „zeitgenöss­ische Pseudo-Feminismus“, wie Penny ihn nennt, unterwerfe den weiblichen Körper dem kapitalist­ischen Körperkult.

Die Lösung besteht für die Autorin aus vier Buchstaben: Nein – als Symbol des kollektive­n Widerstand­s der Frauen. Nein zu einer Konsumkult­ur, die unter dem Deckmantel des Feminismus agiert. Nein zu einem gesellscha­ftlich auferlegte­n Körperkors­ett.

Laurie Penny zieht die Conclusio: Mit keiner Schönheits­operation, mit keinem Make-up, mit keinem neuen Paar Schuhe können sich Frauen die Freiheit erkaufen, die der Feminismus anstrebt. Auch nicht mit einem T-Shirt für 9,99 Euro.

Bücher zu dem Thema

Andi Zeisler: Wir waren doch mal Femi nistinnen. Rotpunktve­rlag, 304 S., 25 ¤ Angela McRobbie: Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberal­en Ge schlechter­regimes. VS Verlag, 252 S., 44,99 ¤

Laurie Penny: Fleischmar­kt. Nautilus Flugschrif­ten, 128 S., 14 ¤

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Foto: Don Felton/Michele Pred/dpa Auch die US Taschendes­ignerin Michele Pred versieht ihre Modelle mit Botschafte­n.

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