Samstag, 4. August 2018
Märchen beginnen ja eigentlich so: Es war einmal ein 369-Seelen-Ort im Unterallgäu, der hatte ein eigenes Schwimmbad. Um das beneideten ihn viele andere Orte weit und breit. Es hatte sogar einen zwei Meter hohen Sprungturm. Doch eines Tages sollte Schluss mit dem Badespaß sein, denn das Bad war in die Jahre gekommen. Und dann geschah etwas, über das sich heute noch viele Bewohner freuen und das inzwischen sogar andere Gemeinden nachgeahmt haben…
Franz Schindele steigt aus dem Wasser, trocknet sich schnell ab und wirft sich das Handtuch über die Schulter. „Guten Morgen. Da hinten können wir sprechen“, begrüßt er seinen Gast. Eigentlich will er seinen Namen nicht in der Zeitung sehen, weil das ja die Geschichte einer außergewöhnlichen Gemeinschaft ist, aus der niemand herausstechen soll. Aber ohne Schindele kann man dieses Sommermärchen nicht erzählen, und so stimmt der 74-Jährige nach einigem Überredungsaufwand dann doch zu. Also setzt sich Schindele in Badehose auf eine Picknick-Bank neben dem Eingang. Dort, wo einst das Kassenhäuschen stand, das heute ja nicht mehr gebraucht wird und das der Knackpunkt dieses Sommermärchens war. Und dann fängt er an zu erzählen.
Die Geschichte von Rammingen und seinem Freibad beginnt 1937. Damals warb die Nazi-Regierung in Berlin dafür, neue Schwimmbäder im ländlichen Raum zu schaffen und zu fördern, weil Schwimmen gesund und billig sei. Das sah der Ramminger Gemeinderat genauso und entschied, auf dem fast 2500 Quadratmeter großen dreieckigen Grundstück zwischen dem Bahndamm und dem Klausenbach ein Freibad zu bauen, das vom Klausenbach gespeist wird. Franz Schindeles Großvater Josef besorgte als Bürgermeister Fördergelder von der Landesbauernschaft. Im April 1938 packte dann das ganze Dorf an, um den Klausenbach auf 150 Metern Länge auf die andere Straßenseite zu verlegen und das 25x20 Meter große und 1,80 Meter tiefe Schwimmbecken mit Schaufeln auszuheben. Am 26. Mai 1940 tauchten die Ramminger zum ersten Mal im neuen Bad ab – und viele Kinder lernten dort in den Folgejahren das Schwimmen. Um sich den 10-Pfennig-Eintritt zu sparen, krochen manche Buben und Mädchen unter der Hecke durch. Das Geld gaben sie lieber für „Schluzer“-Bonbons und Brausepulver am Freibadkiosk aus, erinnert sich Dorfchronist Manfred Leinsle in seinen Aufzeichnungen für die gerade entstehende 3. Ramminger Chronik.
1960 aber entsprach das Bad nicht mehr den hygienischen Standards und nicht mehr der Bayerischen Badeverordnung, zu unsauber, zu gefährlich – weshalb das Gesundheitsamt in Mindelheim die Schließung anordnete. Die Ramminger wollten sich den Spaß aber nicht nehmen lassen und badeten schwarz weiter. „Wir ließen das Becken einfach immer wieder volllaufen“, erinnert sich Schindele. 1978 aber duldete das Landratsamt das Wildbaden nicht mehr. Der Gemeinderat musste abstimmen: Für 500 000 Deutsche Mark sanieren und einen neuen Bademeister einstellen oder schließen. „Die Entscheidung fiel mit 9:3 Stimmen gegen das Bad, denn so viel Geld konnte die Gemeinde nicht aufbringen“, erinnert sich Schindele. Damals krachte es in Rammingen ordentlich und der kleine Ort war in zwei Lager unterteilt: die Schwimmbadgegner und die Schwimmbadbefürworter. Zu Letzteren gehörte Schindele. „Wir sind Landwirte, wir haben kein Italien. Das hier ist unser Urlaubsdomizil“, sagt er und wollte sich diesen Urlaub daheim nicht durch eine bürokratische Verordnung nehmen lassen. Außerdem hätten die Kinder dann künftig nach Türkheim ins Freibad radeln müssen. „Zu gefährlich!“
Und wie lebenswichtig das sein kann, was hunderte Ramminger in dem Wasser des Freibades gelernt haben, wusste er aus der eigenen Familie: „Mein Onkel erzählte mir, er hätte die Flucht als Soldat nicht überlebt, wenn er nicht hätte schwimmen können“, erzählt Schindele am Picknick-Tisch und ist noch heute ganz froh, dass er einst in der Landwirtschaftsschule aufgepasst hatte. „Daher wusste ich nämlich: Eine Verordnung gilt nur, wenn alle Voraussetzungen zutreffen“, sagt Schindele und rattert gleich noch mal eine Passage der Badeverordnung runter, die für Schwimmbäder gilt, für die Eintritt verlangt wird. Aber was, wenn es keinen Eintritt gibt…
Die Lösung: Die Ramminger gründen einen Schwimmverein, der sich um das Freibad kümmert, das fortan nur noch Mitglieder nutzen dürfen. Außerdem packen wieder alle an, um die Kosten für den Bau eines neuen Beckens mit Filteranlage und Umwälzpumpe niedrig zu halten. Wenn das nicht tiefer als 1,60 Meter ist, spart sich der Verein auch einen Bademeister. Also wurde am 24. August 1980 der Ramminger Schwimmverein e. V. gegründet, der sofort 400 Mitglieder