Deutlich mehr Benz
Neuvorstellung Mercedes bessert nach und spendiert der X-Klasse einen V6-Motor. Ein paar schwierige Kompromisse bleiben aber
Ist er nun ein echter Stern oder nicht? Als Mercedes im Herbst 2017 seine Konzern-Neuheit, die X-Klasse, vorstellte, ließ sich über diese Frage trefflich streiten. Denn unter dem hübschen Benz-Kleid arbeitete Technik aus dem Nissan Navara. Antrieb, Getriebe und Motor stammten allesamt vom Japaner.
Umso größer waren die Erwartungen an das versprochene Upgrade, das die Stuttgarter nun vorgestellt haben und das den EdelPick-up näher an die eigene Marke rücken soll. Die X-Klasse in ihrer bisherigen Form wurde dafür regelrecht entkernt. Neben einem V6-Diesel bekam der X350d auch das hauseigene siebenstufige Automatikgetriebe 7G-Tronic Plus und den permanenten Allradantrieb 4MATIC eingebaut.
Bestellbar ist das neue Top-Modell in Europa allerdings auch zu neuen Top-Konditionen: Mit 47 490 Euro liegt der Einstiegspreis fast 10000 Euro über dem der Vierzylinder-Modelle.
Aber lohnt sich der Aufschlag? Für diejenigen, die in der X-Klasse SUV-Ersatz als Nutzfahrzeug sehen, auf jeden Fall. Schon nach den ersten Sekunden ist klar: Mit neuem Herz und neuer Lunge ist der Pick-up tatsächlich deutlich „benziger“. Der 3-Liter-Diesel beschleunigt die knapp 2,3 Tonnen in beachtlichen 7,5 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Und anders als etwa der V6 im Konkurrenten VW Amarok Mercedes dabei weitgehend auf Krawall und ungezügelte Kraftausbrüche. Die 258 PS arbeiten ihr Pensum markentreu kultiviert und ausgeglichen ab.
Der Gesamteindruck bleibt auch bei längerer Fahrt stimmig – egal ob auf oder neben der Straße. Der permanente Allradantrieb steuert die 550 Nm mit einer festen Momenmehr tenverteilung von 40:60 sauber und effizient über Vorder- und Hinterachse aus. Die heckbetonte Auslegung sorgt auf kurvenreichen Strecken für eine Dynamik, die man dem über fünf Meter langen Nutztier gar nicht zugetraut hätte. Und auch der Fahrkomfort liegt deutlich über dem Erwartbaren. Im Angebot sind neben der manuellen Schaltverzichtet Option über die Lenkradwippen vier klassische Fahrprogramme, von denen sich die Standard-Konfiguration „Comfort“jedoch deutlich ausgewogener präsentiert als der gelegentlich etwas aufgeregte SportModus. Das Fahrwerk mag für Mercedes-Verhältnisse zwar das Minimum an Komfort sein, in einem Pritschenwagen setzt es aber doch Maßstäbe. Pässe und gewundene Landstraßen erlebt man in sanftem Wiegen, wobei die Lenkung für einen derartigen Koloss relativ präzise bleibt.
Fürs Protokoll sei noch vermerkt: Wer will, kann mit dem X350d auch schweres Gelände erkunden. Längsdifferenzialsperre, Geländeuntersetzung und Hinterachs-Sperrdifferenzial lassen sich flexibel zuschalten. Bei Bergabfahrten kann zudem das Tempo über die Bremsanlage automatisch gehalten werden.
Letztendlich, und das wird an dieser Stelle deutlich, macht die X-Klasse aber einen Spagat, der zwangsläufig in Kompromissen endet. Und die dürften nicht jeden Kunden vollends glücklich machen. Punkten will Mercedes explizit auch bei der anspruchsvollen OutdoorZielgruppe, die auf Nutzwert und Lifestyle gleichermaßen Wert legt. Allerdings wird die Premium-Komponente trotz ordentlicher Infotainmentund Sicherheits-Ausstattung nicht konsequent durchgezogen. Das beginnt beim schmucklosen Plastik-Türöffner, setzt sich bei der teils nicht unterschäumten Innenraumverkleidung fort und endet bei einem ziemlich klobigen Kunststoff-Schaltkasten. Wer MercedesLuxus erwartet, muss bei der X-Klasse Abstriche machen.